Energie mit Schönheitsfehlern

Der Einsatz von Solarstrom scheitert bislang nicht nur an den Kosten. Auch technische und ökologische Probleme sind ungelöst  ■ Von Michael Berger

Hamburg (taz) – Unsere Energieprobleme mit ihren Kohlendioxid- und Schadstoff-Fahnen wären so einfach zu lösen – mit einem bißchen guten Willen und hochwertigem High-Tech: Die Fachleute vom Freiburger Öko-Institut belehren uns, daß die Sonne in deutschen Landen das Achtzigfache der Energiemenge bereitstellt, die von Industrie und Haushalten verbraucht wird. Um den gesamten Strombedarf der alten Bundesländer emissionsfrei zu decken (für das Beitrittsgebiet liegt noch keine Berechnung vor), müßten lediglich 3.300 Quadratkilometer mit Solarzellen bedeckt werden.

Niemand käme indes auf die Idee, eine geschlossene Fläche von solchem Ausmaß – viermal so groß wie Berlin – unter Siliziumkristallen verschwinden zu lassen. Vielmehr träumen die Anwälte umweltfreundlicher Energieformen davon, sämtliche Gebäude in Städten und Dörfern neu einzudecken: mit Photovoltaikanlagen. In Westdeutschland stehen immerhin 2.800 Quadratkilometer Dachfläche zur Verfügung. Um auf eine Solarstromkapazität von 100 Prozent zu kommen, könnten – einem Vorschlag aus dem Hause RWE folgend – weitere Anlagen auf Brachflächen und wenig ertragreichen landwirtschaftlichen Böden installiert werden.

Solche wohlmeinenden Rechenexempel haben – man ahnt es schon – kleine Schönheitsfehler. Der Anteil des Solarstroms an der Energiediskussion ist groß, sein Anteil an der Energieversorgung aber mehr als bescheiden: Er beträgt hierzulande etwa 0,0002 Prozent. Der große Sprung nach vorn scheitert bislang nicht nur an den ideologischen Blockaden der atomstromfixierten Versorgungsunternehmen, sondern insbesondere an den Kosten, an technischen und natürlichen Grenzen.

Haushalte, die sich eine Photovoltaikanlage auf dem Dach leisten, produzieren ihren Strom nach Berechnungen des Öko-Instituts zum Preis von 1,30 bis 1,70 Mark pro Kilowattstunde. Industrievertreter kalkulieren gar mit bis zu 3,20 Mark. Demgegenüber verursacht Strom aus fossilen Brennstoffen lediglich 15 Pfennige an Kosten.

Man könnte zu Recht einwenden, in diesen Preis flössen die ökologischen und sozialen Folgebelastungen nicht ein – die Kosten der Waldschäden oder der Gesundheitsrisiken, für welche die Kraftwerksemissionen verantwortlich sind. Dem wäre entgegenzuhalten, daß auch der Solarstrompreis ein künstlicher, indirekt subventionierter ist. Nach einer Untersuchung der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik werden Photovoltaikanlagen weit unter den Herstellungskosten verkauft. Dies ist nur möglich, weil die öffentliche Hand die Solarforschung und die Entwicklung der Zellen generös mitfinanziert.

Der Staat zahlt ein zweites Mal: Private Photovoltaikanlagen werden von Bund und Ländern mit einem Großteil der Investitionskosten gefördert. Und selbstverständlich wären Vorzeigeprojekte wie das 600-Kilowatt-Sonnenstromwerk auf der Nordseeinsel Pellworm oder die 140-Kilowatt-Anlage auf der Ostseeinsel Fehmarn ohne Investitionsspritzen durch das Forschungsministeriums nicht gebaut worden.

Immerhin wird der sauberen Energieproduktion so der Weg auf den Markt geebnet. Gehen Solarzellen in kommenden Jahrzehnten in die Massenproduktion, und stellen sich die Anlagen als langlebig heraus – die Technologie ist noch zu jung, um darüber zu befinden –, könnte der Preis für den hausgemachten Sonnenstrom auf 40 bis 50 Pfennige pro Kilowattstunde fallen, prognostizieren die Freiburger Öko-Rechenkünstler.

Große Hoffnung setzt die Solarstromgemeinde in die Weiterentwicklung der Technik. Immerhin wurde schon vor Jahren erreicht, daß die Solarmodule (ein verkabeltes Set von Zellen) energiewirtschaftlich rentabel wurden. Mußte für die Produktion der ersten Generation von Siliziumzellen noch mehr Energie eingesetzt werden, als aus ihnen während ihrer gesamten Lebensdauer herauszuholen war, so beträgt die sogenannte „Energierücklaufzeit“ (der Break- even-Point von Energieeinsatz und Energieertrag) heutiger Module zwischen fünf und sieben Jahren – bei einer erhofften Lebensdauer von 10 bis 35 Jahren.

Stagnation ist bei der Entwicklung leistungsfähigerer Halbleiterelementen zu vermelden. Die heute den Markt beherrschenden Siliziumzellen haben einen Wirkungsgrad von etwa 13 Prozent. Das heißt, sie wandeln lediglich ein Achtel der einfallenden Sonnenenergie in Strom um. Schon vor Jahren vermeldeten die Forscher Zellentwicklungen mit Wirkungsgraden von über 30 Prozent. Aber weder die Greenschen Pyramidenzellen, die, seriengefertigt, einen Wirkungsgrad von 18 Prozent haben sollen, noch die doppelgesichtigen MIS-Zellen (23 Prozent) des Göttinger Professors Hezel, noch die vom Fraunhofer-Institut für solare Energieerzeugung entwickelten Galliumarsenid-Paneele (22,3 Prozent) und schon gar nicht die als extrem billig angekündigten Titandioxid-Zellen (15 Prozent) des Eidgenossen Grätzel sind auf dem Markt zu haben. Ihr Weg heraus aus den Labors, hinein in die Massenproduktion ist offenbar von unvorhergesehenen technischen Problemen verstellt.

Das Pfund, mit dem die Sachwalter des Sonnenstroms wuchern, ist die Sauberkeit der Photovoltaikanlagen. Unterschlagen wird, daß sowohl bei der Herstellung der Komponenten als auch bei ihrer Entsorgung Schadstoffe im Spiel sind. Neben Säuren und Gasen, die in der Produktion eine Rolle spielen, können – je nach Halbleitertyp – die hochgiftigen Elemente Cadmium, Arsen, Selen, Gallium und Tellur oder deren Verbindungen anfallen. Ein Mitarbeiter der Nukem, die auch Solarzellen produziert, hat ausgerechnet, daß, wenn fünf Prozent des weltweiten Energiebedarfs mit Strom aus sogenannten Dünnschichtzellen gewonnen wird, das Hundertfache der heute verwendeten Tellurmenge, das Zwanzigfache an Selen und das Doppelte an Cadmium verarbeitet werden müßte.

In unseren Breiten ist allerdings kaum zu befürchten, daß Solarenergieanlagen einen nennenswerten Beitrag zur Umweltvergiftung leisten. Denn der Sonnenstromernte sind enge natürliche Schranken gesetzt: Nicht nur lange Winternächte, auch Schlechtwettertage reduzieren das Angebot. Das Öko-Institut schätzt, daß höchstens vier Prozent des jährlichen Stromverbrauchs photovoltaisch gedeckt werden können – trotz des rechnerischen Überangebots an Sonnenenergie. Doch bei aller Skepsis: „Jede photovoltaisch erzeugte Kilowattstunde vermeidet den Einsatz der dreifachen Energiemenge fossiler Brennstoffe.“

Nach einem Kostenvoranschlag der Hamburger Solartechnikfirma „ad fontes“ kostet eine 1,5 Kilowatt-Photovoltaikanlage 35.174,53 Mark – inklusive Wechselrichter (für 220-V-Betrieb), Anschluß an das öffentliche Stromnetz (zur Abgabe überschüssiger Energie und zur nächtlichen Stromentnahme), Installationen, Montage und Mehrwertsteuer. Eine solche Anlage reicht aus, um ein Einfamilienhaus mit vierköpfigem Lebendinventar weitgehend zu versorgen. Steht das Eigenheim in Hamburg, beteiligt sich der Stadtstaat mit 16.896 Mark. Jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde vergütet das örtliche Elektrizitätswerk mit 36 Pfennigen – dem Betrag, der auch für die Entnahme in Haushalten berechnet wird.

Mehr zahlt lediglich ein privates Förderprogramm, das vor einigen Jahren vom Solarenergie-Förderverein Achen geschaffen wurde: Jedem Haushalt, der eine Photovoltaikanlage betreibt, wird die ins Netz abgegebene Kilowattstunde mit zwei Mark vergütet. Das Geld stammt aus Spenden.

Den größten Nutzen aus all den Subventionen und Fördermitteln zieht allerdings bisher nicht die Umwelt, sondern die Industrie. Das zeigte sich schon vor drei Jahren, als der damalige Forschungsminister Riesenhuber sein „1000-Dächer-Programm“ ausrief (das wegen der großen Nachfrage zum 2.250-Dächer-Programm wurde). In den Genuß eines siebzigprozentigen Zuschusses kamen Hausbesitzer, die sich Module aus heimischer Produktion aufs Dach bauen ließen. Schon die Ankündigung führte dazu, daß die deutschen Solarzellen sprunghaft teurer wurden.