„Bis zur Grenze, was der Rechtsstaat hergibt“

Interview mit dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU) über Innere Sicherheit, Rechtsextremismus und Asyl / Das Telefongeheimnis ist für Beckstein sekundär gegenüber dem Recht des Bürgers, vor Verbrechen geschützt zu werden  ■ Von Bernd Siegler

taz: Sie haben in den vergangenen Wochen dreißig Pfund abgenommen. Haben Sie die Stimmenverluste, die nach den letzten Umfragen für die CSU zu erwarten sind, geradezu ausgeschwitzt?

Beckstein: Das Motto heißt zwar in Bayern abspecken, aber nicht bei den Wahlergebnissen. Wir werden im nächsten Jahr auch wieder 52 plus x Prozent bekommen, davon bin ich überzeugt. Ich fühle mich mit dreißig Pfunden weniger wohler, bin beweglicher und auch etwas bissiger.

Der neue Bundesinnenminister Kanther hat kürzlich erklärt, man müsse eine Politik der Inneren Sicherheit machen, die die Reps überflüssig macht. Kann der Schuß nicht auch nach hinten losgehen?

Die Partei der Republikaner interessiert mich nur als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Wir müssen aber die Wähler der Republikaner wieder zurück für die demokratischen Parteien gewinnen. Das erfordert, daß wir den Bürgern deutlich machen, daß die Innere Sicherheit ein hohes Rechtsgut ist, das wir umfassend gewährleisten. Daß wir die Alarmsignale, also die Steigerung der Kriminalität in den letzten Jahren ernst nehmen, daß wir den Mißbrauch des Asylrechts endlich stoppen. Das bewegt den Bürger ebenso wie die Problematik einer verstärkten illegalen Zuwanderung. Wenn wir diese Themen ordentlich bearbeiten, dann wird sich die Frage des Erstarkens rechtsextremer Kräfte sehr schnell wieder als historisches Phänomen herausstellen, wie es in der Geschichte der Bundesrepublik wiederholt bereits der Fall war.

Die Republikaner werden nicht nur gewählt, weil sie Themen ansprechen, sondern weil sie auch entsprechende Lösungen anbieten.

Es ist das Zeichen einer extremen Partei, daß es ihr darum geht, Stimmungen und Ängste hochzuputschen, um auf diese Weise Trittbrett fahren zu können, aber nicht Lösungen anzubieten.

Bedeutet Ihre Forderung, Innere Sicherheit zum „Schicksalsthema der Zukunft“ zu machen, nicht auch ein Schüren von und Anknüpfen an den Ängsten des deutschen Kleinbürgers?

Wir hatten im letzten Jahre eine Steigerung der Kriminalität von über 10 Prozent. Das besorgt viele Bürger ganz massiv. Politiker werden diese Sorge entweder ernst nehmen oder sie werden weggefegt. Das wird auch die SPD merken. Sie wird bei der Organisierten Kriminalität ebenso ihre Meinung ändern wie beim Asylrecht.

Ein Mehr an Sicherheit bedeutet immer ein Weniger an Freiheit. Sie gaukeln den Wählern vor, Sicherheit und Freiheit gewährleisten zu können.

Der Bürger hat heute keine Angst mehr davor, daß der Staat ihm seine Freiheit nimmt. Was hilft es denn einem 19jährigen Mädchen, wenn es zwar das Recht auf freie Bewegung hat, sich aber abends nicht mehr aus dem Haus traut. Die moderne Problematik heißt, wie sorge ich dafür, daß der Bürger seine Freiheit ausnützen kann, trotz der bestehenden Kriminalität, bzw. wie kann ich die Kriminalität so weit reduzieren, daß er diese Freiheit auch nützen kann. Demgegenüber sind die Belästigungen, die durch erhöhte Sicherheitsmaßnahmen für den einzelnen möglicherweise erfolgen, sekundär.

Nur Belästigungen? Es stehen doch massive Einschränkungen von Grundrechten zur Diskussion. Stichwort: großer Lauschangriff oder verstärkte Telefonüberwachung.

Das Grundrecht des Verbrechers auf ungeschützten Telefonverkehr ist für mich sekundär gegenüber dem Grundrecht des Bürgers, daß er von Verbrechen freigehalten wird.

Als Begründung zur Forderung, das Demonstrationsstrafrecht zu verschärfen oder den Tatbestand des Landfriedensbruchs auszuweiten, wurden von CDU und CSU auch die rechtsextremen Übergriffe herangezogen. Solche Straftaten entstehen aber in den seltensten Fällen aus Demonstrationen heraus.

Ich trete ganz konsequent dafür ein, daß wir gegen rechtsextreme Erscheinungen mit aller Härte vorgehen. In Bayern haben wir den Verfassungsschutz und die Polizei angewiesen, rechtsextreme Gruppierungen auf das heftigste zu stören. Wir haben bis zur Grenze dessen, was der Rechtsstaat hergibt, Veranstaltungsverbote ausgesprochen. Auf diesem Weg werden wir weitermachen. Ich bin überzeugt, daß die Maßnahmen, die wir hier durchgesetzt haben, dazu beigetragen haben, daß wir im Freistaat etwas weniger fremdenfeindliche und rechtsextremistische Gewalt- und Straftaten haben als im übrigen Bundesgebiet. Unsere Forderung nach Änderung des Landfriedensbruchparagraphen wird auch etwas dazu beitragen – und wir werden dies durchsetzen können.

Gerade hier im Freistaat Bayern haben aber viele bundesweit aktiven rechtsextremen Gruppierungen ihren Sitz.

Das ist richtig. Wir können uns nicht heraussuchen, wo der Herr Frey seine Nationalzeitung herausgibt. Auch Extremisten haben das Recht, sich dort niederzulassen, wo sie das wollen. Und auch Rechtsextremisten finden offenbar Gefallen daran, sich an schönen Orten im Voralpengebiet niederzulassen und die Schönheiten einer attraktiven Gegend zu genießen.

Bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutzberichts wurde der Rechtsextremismus erstmals als ernsthafte Gefährdung dargestellt. Hätte das nicht zwei oder drei Jahre früher passieren müssen?

Die Situation hat sich verändert, wir hatten im letzten Jahr 17 Tote durch Rechtsextremismus, das war früher nicht. Ich nehme aber für Bayern in Anspruch, daß wir frühzeitig die sich aufbauende Gefahr des Rechtsextremismus erkannt haben. Wir haben 1991 und 1992, also zu Zeiten, als die anderen Länder den Verfassungsschutz drastisch abgebaut haben, die Kapazität für die Beobachtung des rechtsextremen Bereiches um etwa ein Drittel erhöht.

Rechtsextremismus ist nicht über Nacht entstanden. Zwischen den Jahren 1980 und 1989 hatten wir in der Bundesrepublik insgesamt 36 Tote durch rechtsextremistische Gewalttäter...

...Wir haben den Rechtsextremismus immer sehr ernst genommen, ich erinnere nur an die Wehrsportgruppe Hoffmann...

...Die mußte ja auch erst vom Bundesinnenminister verboten werden, weil man in Bayern nichts Entsprechendes unternommen hat...

...Natürlich, wenn etwas über ein Land hinaus tätig ist, ist der Bundesinnenminister zuständig. Ein Verbot, ausgesprochen vom bayerischen Innenminister, wäre rechtswidrig gewesen.

Gerade der bayerische Innenminister hatte doch Hoffmann lange Zeit als „harmlosen Waffennarren“ bezeichnet.

Der Bundesinnenminister konnte nur verbieten, weil wir in Bayern entsprechendes beweiskräftiges Material zur Verfügung gestellt hatten. Für Bayern nehme ich in Anspruch, daß wir den Rechtsextremismus ohne ideologische Scheuklappen schon immer konsequent verfolgt haben.

Werden Sie in der Vorstellung des 93er Berichts auch auf Ihre ehemalige Schwesterpartei DSU eingehen, die ja inzwischen ganz offen mit Rechtsextremisten zusammenarbeitet?

Das kommt darauf an, wie sie sich entwickelt. Heute gibt es keine Berechtigung, sie als eine extreme Partei anzusehen. Momentan habe ich keinen Anlaß zu reagieren, zumal ich kein einziges DSU- Mitglied in Bayern kenne.

Peter Recknagel aus München, vormals Republikaner und jetzt bei der Deutschen Liga, ist zuständig, den Aufbau der DSU in Bayern voranzutreiben.

Die DSU ist momentan in einem schwierigen Prozeß. Für den bayerischen Innenminister ist sie noch kein Problem, weil es sie hier noch nicht gibt. Für die CSU ist sie ein Problem, weil unser Weg in der ehemaligen DDR offenbar gescheitert ist.

Eine Studie des Bundesjugendministeriums kam vor kurzem zu dem Ergebnis, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Eskalation der Gewalt und der Asyldebatte. Bei der Asyldiskussion war Ihre Partei an der Spitze vertreten, hat also damit die Eskalation selbst verursacht.

Ich halte diese Studie nicht für überzeugend und für höchst oberflächlich. Ich vertrete genau die umgekehrte These. Derjenige, der die ernsthaften Probleme der Bürger nicht ernst nimmt, der muß dann realisieren, daß solche Dinge eskalieren und in extremen Fällen bei entsprechenden Psychogrammen und charakterlichen Fehlern bis hin zu Fremdenfeindlichkeit und Gewalt ausufern können.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat inzwischen die Abschiebung von mehreren Flüchtlingen verhindert. Sie haben nach den Urteilen angeregt, man solle doch über eine Abschaffung des Artikels 16 nachdenken. Ist das schon wieder ein Anheizen der Asyldebatte?

Das neue Asylrecht beginnt zu greifen, aber das reicht noch nicht. Die Zahl der Asylbewerber muß sich weiter drastisch reduzieren. Die BVG-Urteile waren eine böse Überraschung. Ghana ist zum Beispiel ein Land mit einer Anerkennungsquote von unter einem Prozent. Wenn wir das nicht mehr als sicheres Herkunftsland nehmen können, dann bleibt nur noch der Weg, das individuelle Grundrecht auf Asyl zu beseitigen und durch eine Institutsgarantie zu ersetzen. Auch die Rechtsweggarantie muß man dann aufheben und dazu kommen, daß es nicht mehr ein rechtsförmliches Verfahren der Asylgewährung gibt, sondern eines über parlamentarisch verantwortliche Entscheidungsgremien.