Jugendarrest und Bewährungsstrafen

■ Die juristische Aufarbeitung des Pogroms ist nahezu abgeschlossen

„Für uns ist die Sache seit einem halben Jahr so gut wie abgeschlossen.“ Peter Häfner, Direktor des Rostocker Amtsgerichts, rechnet nur noch „mit ein paar Nachzüglerverfahren“ im Zusammenhang mit den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen vor einem Jahr. Aus den 260 Festnahmen, 32 Haftbefehlen und 300 Ermittlungsverfahren nach der pogromartigen Randale resultierten insgesamt 32 Anklagen zur Verhandlung vor dem Amtsgericht. Daneben wurde eine Reihe von Verfahren außergerichtlich, also mit Geldbußen und Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflagen, geregelt.

Drei Jahre Jugendstrafe wegen gemeinschaftlichen schweren Landfriedensbruchs und schwerer Brandstiftung ist das höchste Strafmaß, das die Rostocker Amtsrichter in diesem Zusammenhang ausgesprochen haben. Mitte April wurde dazu ein Jugendlicher verurteilt, der zusammen mit zwei anderen in eine Wohnung der tagelang belagerten Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber eingedrungen war, das Mobiliar zertrümmert und in Brand gesteckt hatte. Die Mehrzahl der Verfahren endete aber mit Jugendarresten, Betreuungsauflagen wie der Teilnahme an sozialen Trainingskursen und mit geringen Bewährungsstrafen.

Strafmildernd gestanden die Rostocker Jugendrichter den Angeklagten häufig den hohen Blutalkoholwert zur Tatzeit oder die schlechte Situation für Jugendliche in Ostdeutschland zu. Mitte Dezember werteten sie beispielsweise das Verhalten eines wegen schwerem Landfriedensbruch angeklagten Gewalttäters als „lediglich symbolisches Aufmucken“. Die Angeklagten selbst bekundeten vor Gericht, sie hätten nur geworfen, weil „sie nicht wie ein Klops dastehen“ wollten, oder sie hätten „sich nichts dabei gedacht“.

Solche Urteile stießen in der Öffentlichkeit oft auf Unverständnis. Kurz nach Ende des Pogroms hatten Politiker aller Couleur ein hartes Durchgreifen der Justiz gefordert, um Nachahmungstäter abzuschrecken. Nach dem Brandanschlag in Mölln hatte der Schweriner Generalstaatsanwalt Alexander Prechtel seine Oberstaatsanwälte darauf hingewiesen, daß er das Werfen von Brandsätzen als versuchtes Tötungsdelikt gewertet wissen will. Doch nur einmal mußte sich in Rostock ein Beteiligter wegen versuchten Mordes verantworten. Anfang März ließ das Landgericht diesen Vorwurf jedoch fallen und verurteilte einen 22jährigen Mann aus Berlin wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug. Der Täter hatte einen Molotow-Cocktail auf einen Polizisten geworfen.

Auch der damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl konnte sich bei den Rostocker Anklägern nicht recht durchsetzen. In einem taz-Interview forderte Stahl die Strafverfolgung der Claqueure wegen „psychischer Beihilfe“: „Wer Beifall klatscht, wenn Molotow-Cocktails und Steine in Asylantenheime geworfen werden, macht sich strafbar, das würde ich gerne vor Ort einmal durch die Strafverfolgungsbehörden verdeutlicht sehen.“ Spitzfindig setzten sich die Rostocker Staatsanwälte über die Vorgabe hinweg. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß eine „Sympathiekundgebung erst nach Beendigung einer Tat erfolgte“.

Von Volksverhetzung will die Anklagebehörde schon gar nicht reden. „Anläßlich der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen konnte bei keinem der beteiligten Gewalttäter der Nachweis einer Volksverhetzung geführt werden“, heißt es in einer Einstellungsverfügung. Rufe wie „Ausländer raus“ seien zwar „im weiteren Sinne diskriminierend und ausländerfeindlich“, nicht jedoch volksverhetzend.

Von „zu milden Urteilen“ will Amtsgerichtsdirektor Peter Häfner nichts wissen. Er verweist darauf, daß in der Mehrzahl „nicht vorbestrafte Jugendliche und Heranwachsende“ vor Gericht gestanden hätten. „Eine Sonderbehandlung der an den Ausschreitungen Beteiligten ist rechtlich nicht vertretbar“, argumentiert Häfner. Jeder, der dies wolle, müsse zuerst das Jugendstrafrecht „in seinem Wesensgehalt“ ändern. Bernd Siegler