Kubas Dollar-Revolution

Seit dieser Woche stehen die Devisen-Shops auf der Karibikinsel den Einheimischen offen / Im ruinierten Land entsteht eine Zweiklassengesellschaft  ■ Aus Havanna Thomas Schmid

Die Schnalle am Gürtel verrät die Gesinnung: ein fünfzackiger Stern aus Messing, darüber wölbt sich eine kleine Wohlstandswampe, eingepackt in einem T-Shirt mit der Aufschrift Cuba si – Kuba ja. Der Mann liest die Granma, das Parteiorgan, und nuckelt an einer dicken Zigarre, Marke Montecristo. Unverkennbar ein Polittourist, ein bißchen in die Jahre gekommen wie die kubanische Revolution eben auch. Doch die abgetragenen khakifarbenen Klamotten schrecken die junge Mulattin im Foyer des Hotels nicht. Sie unterscheidet nicht zwischen solchen und andern Ausländern. In hautenger Bluse und superkurzem Mini rückt sie dem Fremden förmlich auf die Pelle, beginnt ein Gespräch und folgt dem Unbekannten schon wenige Minuten später in sein Zimmer. Von der „zweideutigen Atmosphäre der Stadt“, die Graham Greene einst so genossen hat, ist im heutigen Havanna wenig zu spüren. Wie Abertausende andere auch ist die junge Kubanerin eindeutig auf Dollars aus.

Wenn sie wieder ins Foyer des Hotels herunterkommt, dürfte sie mit etwas Glück um ein kubanisches Jahresgehalt reicher sein. Die 240 Pesos, die ein durchschnittlicher Kubaner monatlich nach Hause trägt, bringen auf dem Schwarzmarkt gerade noch drei Dollar ein, das wiederum reicht im Ausländerhotel gerade für einen Mojito, diesen köstlichen kubanischen Drink aus zerquetschtem Eis, Zitronensaft, karibischem Rum und Pfefferminz. Nachdem Fidel Castro am 26. Juli, dem 40. Jahrestag des mißglückten Sturms auf die Moncada-Kaserne, der hier als Beginn der kubanischen Revolution gewertet wird, die Legalisierung des Besitzes von Devisen angekündigt hat, ist der Wert des Peso auf dem Schwarzmarkt gefallen. Offiziell wird er immer noch ungefähr eins zu eins getauscht – selbstredend nur in eine Richtung –, doch auf der Straße gibt es nun bereits 80 Pesos für einen Dollar.

Die ganze vergangene Woche über wurde gemunkelt, daß die Kubaner ab diesem Montag in den bislang Ausländern vorbehaltenen Intur-Läden mit Dollars einkaufen könnten, was bislang offiziell mit Gefängnisstrafe geahndet wurde. Noch steckten überall an den Eingängen der Devisen-Shops die Einheimischen den Touristen Dollars zu, mit der Bitte, für sie Seife, Tomatendosen, Zahnpaste oder andere Raritäten zu erstehen. Am Freitag dann verdichteten sich die Gerüchte, daß mit der Öffnung der Läden für Kubaner gleichzeitig sämtliche Dollar-Preise um 50 Prozent ansteigen würden. Am Samstag waren die meisten Shops leergekauft. Und spätestens als sie am Sonntag allesamt wider allen Usus „wegen Inventur“ geschlossen waren, wußte man, daß nun neue Etiketts geklebt würden. Am Montag schließlich waren die Intur-Läden tatsächlich für alle offen, mit vollen Regalen und um die Hälfte heraufgesetzten Preisen. Die „grüne Revolution“ hat begonnen, spotten böse Zungen, die Jagd nach den grünen Scheinen des Erzfeindes im Norden. Nicht mehr socialismo o muerte, Sozialismus oder Tod, scheint die Devise zu lauten, sondern dólares o muerte.

Natürlich ist das gehörig übertrieben. Wer keine Dollars hat, wird nicht des Hungers sterben. Anders als auf den andern großen Inseln der Karibik und anders als in Nicaragua, El Salvador oder Guatemala sieht man in Kuba keine aufgeschwollenen Kinderbäuche, keine Slums aus Karton und aufgeschlitzten Cola-Dosen. Doch daß es am untern Rand der Gesellschaft Hunger gibt, läßt sich nicht mehr bestreiten. Sämtliche Lebensmittel sind rationiert. Was jedem kubanischen Haushalt laut libreta, dem „Büchlein“, in dem jeder Einkauf vermerkt wird, zu Billigstpreisen zusteht, reicht allerdings nicht aus, zumal einige Lebensmittel – vor allem Frischgemüse – nicht oder nur höchst selten angeboten werden. Aber immerhin gab es pünktlich zum 40. Jahrestag des Sturms auf die Moncada sogar Geflügel. Die Revolution läßt sich nicht lumpen. Sie will gefeiert werden.

„Wir Kubaner haben nur zwei Probleme“, sagt Tania, „das Mittagessen und das Abendbrot.“ Seit ihr Verlag wegen Papiermangels schließen mußte, ist die 29jährige Lektorin arbeitslos. Nachdem sie ohne Verdienst war, mußte sie ihre Wohnung aufgeben. So lebt sie nun wieder bei ihrer Mutter, wo sie mit ihrer erwachsenen Schwester ein Zimmer teilt. Aussicht auf eine Arbeit hat Tania keine; aber was noch schlimmer ist: sie hat nicht nur ihren Job, sondern auch ihre Träume von irgendeiner Zukunft überhaupt verloren. Daß das Land in absehbarer Zeit aus der wirtschaftlichen Talsohle wieder herauskommt, glaubt sie nicht. Sobald es irgendwie geht, will sie die Insel verlassen und anderswo neu beginnen, in den USA oder in Europa. Schlimmer als in Kuba mit seiner alles erstickenden Atmosphäre von Armut und Angst könne es ja wohl nirgends sein – „außer vielleicht in Nordkorea“, fügt sie korrigierend hinzu.

Pedro hingegen, gerade sieben Jahre alt geworden, kann noch träumen. Auf die Frage, was er denn mal gern werden möchte, wenn er groß ist, antwortet er, ohne zu zögern: „Tourist.“ Touristen fahren Taxi, Touristen können in den vollen Intur-Läden einkaufen, Touristen wohnen in Hotels, wo es alles zu essen gibt, und vor allem haben Touristen jede Menge Dollars. Marisa, seine Mutter, Universitätsprofessorin, will noch nicht kapitulieren. Vielleicht zwei, drei Jahre, hofft sie, und dann geht es wieder bergauf. Zwei, drei Jahre lang will sie also weiterhin mit ihren 340 Pesos monatlich auskommen, wo ein Paar Schuhe für ihren Sohn 600 Pesos kosten.

Ein Pfund Reis kostet zwar nur 20 Centavos, ein Fünftel eines Peso, aber die sechs Pfund, die die libreta pro Person und Monat zugesteht, eine tägliche Ration von 100 Gramm, reichen nicht mehr aus, seit es zu wenig Brot und nur noch selten Fleisch gibt. Also wird sie wieder ein zusätzliches Pfund Reis zum zwanzigfachen Preis auf dem Schwarzmarkt einkaufen müssen. Den täglichen Liter Frischmilch für einen Viertelpeso gibt es nur für Kinder bis zu sieben Jahren. Doch Pedro soll gesunde Zähne haben, und so wird sie nun den Liter Milch für 20 Pesos schwarz besorgen. Und vieles gibt es ohnehin nur auf dem illegalen Markt. Lange hat sich Marisa, Parteimitglied, geweigert, dort einzukaufen, doch nun kann sie einfach nicht mehr anders. „Ich verlange, bezahle und sage dann auch noch brav: danke“, sagt sie verbittert.

Daß sie nach der Legalisierung des Besitzes von Devisen in der neuen Zweiklassengesellschaft zur untern Klasse, derjenigen ohne grüne Scheine, gehören wird, damit kann sich Marisa abfinden. Sie hat ihre politische Überzeugung, liebt ihre Arbeit und wird an der Universität bleiben. Mit der Tourismusbranche hat sie nichts zu tun, Verwandte in den USA hat sie auch nicht, und so wird sie nicht in den Besitz von Devisen kommen.

Aber die Dollarisierung schreckt sie trotzdem. Nein, nicht weil sie viele Produkte des täglichen Bedarfs auf dem illegalen Markt möglicherweise schon bald nicht mehr erstehen kann, weil immer mehr Schwarzhändler nur Dollars annehmen. „Das Problem ist doch: Wer will denn – in der Fabrik, auf dem Land, im Büro – noch 40 Stunden pro Woche arbeiten, wenn andere dasselbe Geld an einem Nachmittag, ja vielleicht in einer Stunde verdienen – einige wenige Dollars schwarz getauscht in Pesos, im touristischen Milieu, als Kofferträger, als fliegender Händler, als Prostituierte?“ Und daß dann auch die Straßenkriminalität, in Havanna bis heute ein fast unbekanntes Phänomen, rapide zunehmen wird, steht für Marisa außer Frage. „Überfälle auf Touristen werden zum Alltag gehören. 20 Dollar haben die immer bei sich, und das ist hier eben ein halber Jahreslohn.“

In der Partei, berichtet die Kommunistin Marisa, war die Stimmung eindeutig gegen die Freigabe des Devisenbesitzes, die es einer Minderheit von Dollar- Kubanern erlaubt, in Spezialläden einzukaufen, zu denen die Mehrheit der Peso-Kubaner weiterhin keinen Zutritt hat. Auch ihr selbst widerstrebe die Entscheidung zutiefst. Doch gebe es angesichts der dramatischen wirtschaftlichen Lage wohl keine Alternative. Das habe auch Fidel Castro begreifen müssen.

Der hat am 26. Juli nichts beschönigt. „Von nun an wird es also Leute geben, die Privilegien haben, weil sie irgendeinen Verwandten, irgendeine Beziehung haben, weil man ihnen Geld schickt“, erklärte er in seiner historischen Rede, „aber uns darf deshalb nicht die Galle hochkommen, denn das wäre nicht die korrekte Haltung eines Revolutionärs, der sich vielmehr ein Leben lang aufopfert.“ Letztlich, sagt Marisa, sei sie optimistisch, es gebe immer eine Lösung. Und dann, zum Abschied, kommt es doch anders: „Wenn ich an die Zukunft denke“, gesteht die Professorin, „habe ich vor allem eines: Angst.“

Es ist die Angst vor den Unabwägbarkeiten einer Zukunft, die mit der Legalisierung des Besitzes von Devisen bereits begonnen hat. Niemand vermag die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen dieses einschneidenden Schrittes abzuschätzen. Werden genügend Gelder – man spricht von 200 bis 500 Millionen Dollar – aus dem Untergrund nun in legale Kanäle geleitet? Werden genügend zusätzliche Devisen von der exilkubanischen Gemeinde in Miami und anderswo auf die Insel gelockt, um die darniederliegende Wirtschaft anzukurbeln, die katastrophale Versorgungslage der Bevölkerung zu verbessern und dem Regime wieder Luft zu verschaffen? Wird die neue Zweiklassengesellschaft die sozialen Spannungen verschärfen und auch den herrschenden Machtblock sprengen? Wird die ökonomische Öffnung auch zu einer politischen führen? Wird Castro den Übergang in diesem Fall selbst dirigieren oder wird er ihm zum Opfer fallen?

Natürlich kann sich hier kaum jemand ein Kuba ohne Fidel, den Oberkommandierenden, den Staatschef, den Revolutionsführer, den Máximo Lider vorstellen, der in der Granma, der inzwischen einzigen Tageszeitung der Insel, täglich für die Schlagzeile sorgt – gewöhnlich dadurch, daß er Orden verleiht, Reden hält oder Nordkoreaner empfängt. Bloß, so hofft man in oppositionellen Kreisen, konnte sich im Sommer 1989 jemand vorstellen, daß im Herbst desselben Jahres die Berliner Mauer fallen würde?

Havanna leidet mehr denn je unter der sommerlichen Hitze. Seit dieser Woche wird der Strom täglich 16 Stunden lang abgeschaltet. Das bedeutet: kein kaltes Wasser zur Erfrischung, weil der Kühlschrank stillsteht. In vielen Haushalten gibt es überhaupt kein fließendes Wasser, weil die Pumpen bei Stromsperre nicht arbeiten, es gibt keinen kühlenden Ventilator, es gibt kein Licht und vor allem kein Fernsehen, das die Nöte des Alltags vergessen läßt.

Doch es ist nicht die tropische Hitze, es sind Hoffnungslosigkeit und Ungewißheit darüber, was die Zukunft bringt, die Havanna in diesen Tagen zu lähmen scheinen. Es ist nicht die schwüle Luft, sondern die stickige politische Atmosphäre, wie sie einem aus jeder Seite der Granma entgegenschlägt und wie sie täglich über Rundfunk und Fernsehen in den Äther dringt, die jede offene Auseinandersetzung über die Zukunft verunmöglicht. Castro beschwört die Revolution und die Revolutionäre. Die Leute meckern, tuscheln und ducken sich. Im Freundeskreis diskutiert man, in der Öffentlichkeit hält man die Klappe. Man hat Angst, die Arbeit zu verlieren oder gar als Konterrevolutionär hinter Gittern zu landen. Nein, es ist nicht die Stunde der Politiker, es ist die Stunde der Geschäftemacher. Dólares o muerte!