„Donau gestaut – Heimat versaut“

Mit Milliarden-Aufwand soll die Donau kanalisiert werden / Staustufen und künstliche Kanäle sollen den Fluß für schwere Schubverbände schiffbar machen – doch der Widerstand wächst  ■ Von Bernd Siegler

Grauer Beton überragt die Landschaft. Schon von weitem signalisiert ein roter Turm aus Glas und Stahl: Hier beginnt der Fortschritt. Die Donauschleuse im niederbayerischen Straubing mit ihren überdimensionalen Schleusenkammern ist bereits fertig – nur die riesigen Planierraupen donauaufwärts Richtung Regensburg bis zur nächsten Schleuse bei Geisling brauchen noch gut ein Jahr. Dann werden die Vertreter der bayerischen Staatsregierung unisono mit dem Bundesverkehrsminister und den Vorstandsherren der Rhein- Main-Donau-AG (RMD) wieder vom „Menschheitstraum einer durchgehenden Wasserstraße für schwere Schubverbände von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer“ schwärmen. Die Naturschützer aber werden Trauer tragen, denn wieder werden unersetzliche Auenlandschaften zerstört sein.

Für Hubert Weiger, den Landesbeauftragten der bayerischen Sektion des „Bundes für Natur und Umweltschutz Deutschland“ (BUND), bedeutet genau die Schleuse bei Straubing die Schmerzgrenze. „Bis hierher – und keinen Zentimeter weiter“, hat er sich geschworen. Westlich der Straubinger Schleuse ist die Donau dann kein Fluß mehr, sondern ein Kanal. Östlich davon gibt es derzeit noch intakte Auenlandschaften mit Altwässern und Feuchtwiesen und dementsprechender Artenvielfalt. Im Jahre 2010 sollen aber auch dort die Planierraupen ganze Arbeit geleistet haben. Sie werden die einst grünen Uferstreifen in Mondlandschaften verwandelt und die Donau in ein enges Korsett gepreßt haben, um den Fluß mit einer ganzjährigen Wassertiefe von 2,80 Metern für schwere Transportschiffe schiffbar zu machen.

Die bayerische Staatsregierung und die RMD-AG werde ein „Debakel im Stile von Wackersdorf“ erleben, sollte sie es wagen, den Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen, auf dem letzten noch freifließenden Abschnitt der Donau auf bayerischer Seite zu realisieren, prophezeiht Weiger. 60.000 Unterschriften gegen das 1,3 Milliarden-Projekt sind bereits gesammelt, die Bürgeraktion „Rettet die Donau“ bekommt täglich mehr Mitglieder.

Der Großbauer Franz Mittermeier ist eines von ihnen. Seit sechs Generationen bewirtschaften die Mittermeiers ihren Hof in der Nähe von Osterhofen. Mais, Weizen und Zuckerrüben im Intensivanbau, das begeistert keinen Naturschützer. Doch die Allianz der so unterschiedlichen Charaktere und Weltanschauungen steht. „Donau gestaut, Heimat versaut – Wir kämpfen gegen den Kanal“, prangt weithin sichtbar ein großes Transparent an der Scheunenwand.

Franz Mittermeier ist ein gestandener Bauer. Er artikuliert bedächtig, der Scheitel sitzt exakt, die goldene Uhr lugt aus dem grünen Lodenjanker hervor und der rote BMW zeugt von wirtschaftlicher Prosperität. Der 40jährige ist zum Oppositionellen geworden – und das in der tiefschwarzen Region Niederbayern, wo die CSU bislang auch eine Vogelscheuche als Kandidaten hätte aufstellen können, und sie wäre gewählt worden.

Vor einem dreiviertel Jahr hat Bauer Mittermeier Besuch von der RMD-AG bekommen. Ob er denn gegen entsprechendes Entgelt bereit wäre, seinen Hof ganz aufzugeben, hatten die Herren angefragt. Mittermeier lehnte ab. Er will weiter Bauer bleiben und das in Osterhofen. Durch den Donauausbau sieht er seine Existenz „total gefährdet“. Die Planer der RMD-AG wollen nämlich des reibungslosen Schiffsverkehrs wegen die ihnen lästige Donauschleife bei Osterhofen einfach durch einen zehn Kilometer langen Stichkanal abschneiden – und der geht quer durch Mittermeiers Besitz. Nicht nur die Hälfte seines Landes wäre dann verloren, die Mittermeiers fänden sich dann auf einer Insel zwischen dem Kanal mit seinen bis zu sieben Meter hohen Dämmen und der alten Donau wieder. „Die Schiffe sollen auf der Donau fahren und nicht durch unsere Felder“, betont Bauer Mittermeier. „Wir wehren uns bis zum Letzten“, fügt seine Frau Luise hinzu.

Bauer Hans Schmid (67) aus dem benachbarten Herzogau würde es gar noch schlimmer treffen als die Mittermeiers. Sein Anwesen würde ganz in den Fluten der neuen Schiffsfahrstraße untergehen. Vier Millionen Mark wäre dies den RMD-Unterhändlern für die 20 Hektar Land samt Bauernhof wert gewesen. Doch auch Bauer Schmid lehnte dankend ab. Andere Bauern lassen sich da leichter ködern und verkaufen zu günstigen Konditionen. Konrad Weckerle, Vorstandsvorsitzender der RMD-AG, gibt unumwunden zu, bei seinen Verkaufsverhandlungen von der Krise in der Landwirtschaft zu profitieren. „Die Bauern sind nicht gerade unglücklich über unser Angebot.“

Weckerle beruft sich bei der Verteidigung der Ausbaupläne auf den 1966 zwischen dem Bund und Bayern vereinbarten Duisburger Vertrag. Damals wurde festgelegt, daß die Donau ganzjährig für schwere Viererschubverbände (zwei Schiffe neben- und hintereinander) auch bei Niedrigwasser befahrbar sein soll. Heute besitzen solche Konvois jedoch Seltenheitswert. Auf der Donau müssen sie sowieso spätestens flußaufwärts in Kelheim aufgelöst werden, denn der RMD-Kanal ist dafür zu schmal. Das gleiche gilt flußabwärts für die Wachau.

Für den RMD-AG-Chef Konrad Weckerle ist das Milliardenprojekt dennoch „keine Frage der Ideologie, sondern der Naturwissenschaft“. Er glaubt die Landwirte mit dem Versprechen gewinnen zu können, der Ausbau bedeute eine vollständige Hochwasserfreilegung der Donauregion. Als Maßstab legen die Planer bei ihrer vollständigen Kanalisation der Donau dazu ein 500jähriges Spitzenhochwasser zu Grunde.

Die Folgen eines solchen Ausbaus können bereits nach dem RMD-Kanalbau im Altmühltal besichtigt werden. Dort trockneten Auwiesen und Feuchtgebiete entweder aus oder wurden durch den Rückstau der Staustufen überflutet. Häuser wurden in ihren Fundamenten zerstört, seltene Pflanzen- und Tierpopulationen ausgerottet, der Fluß wurde zum stehenden Kanal.

Dieses Schicksal steht jetzt dem Donau-Altwasser der Gmündner Au bei Wörth zwischen Regensburg und Straubing bevor. Wo sich heute noch das Schilf und die Pappeln im Wind wiegen, wo ganze Blaukehlchenpopulationen brüten und seltene Pflanzen- und Tierarten leben, wird es in einem Jahr „Land unter“ heißen. Um in Geisling bei Regensburg die Wassertiefe von 2.80 Meter ganzjährig zu garantieren, muß im 60 Kilometer entfernten Straubing auf sieben Meter hoch aufgestaut werden. Der Rückstau überschwemmt dann die ganze Aue.

Sogenannte „landschaftsplanerische Ausgleichsmaßnahmen“ gaukeln zwar später wieder eine intakte Natur vor. Alles wird wieder schön grün sein, Bäume wachsen nach, Fische gibt es auch noch – aber nurmehr Allersweltsflora und -fauna. Hubert Weiger nennt das eine „Potemkinsche Natur“. Was sich unterhalb des Wasserspiegels und der Bodenoberfläche abspielt, das sei Kriterium für die ökologische Qualität. Strömungsliebende Fische, eine Vielzahl von Muschel-, Schnecken- und Pflanzengattungen sowie seltenste Vogelarten wie der Purpurreiher oder der Lanzettfroschlöffel wird es dann auch zwischen Straubing und Vilshofen nicht mehr geben – trotz der Landschaftsschutzmaßnahmen der RMD-AG.

Reinhard Buchner aus Bogen von der Aktion „Rettet die Donau“ stehen angesichts der Planungen „die Haare zu Berge“. Der 40jährige Oberstudienrat wirft der RMD-AG „Gigantomanie“ vor. Man sollte seiner Meinung nach nicht die Flüsse den überdimensionalen Schiffen anpassen, sondern umgekehrt. An Buchners musischem Gymnasium in Straubing haben Schüler und Ehemalige bereits den Walzer von Johann Strauß „An der schönen blauen Donau“ in eine Zerstörungsmusik mit eingebauten Disharmonien umkomponiert. So macht das klassische Ensemble „Collegium Musicum“ bei jedem Auftritt auf „eine der brutalsten Naturzerstörungen in Europa“ aufmerksam.

Seit Dezember 1992 läuft nun das Raumordnungsverfahren für den Abschnitt Straubing-Vilshofen. Jetzt hat Bayerns Umweltminister Gauweiler, sehr zum Verdruß der RMD-AG, angeordnet, daß das Raumordnungsverfahren ohne die Prüfung der vom BUND vorgeschlagenen Alternativen, insbesondere des Vorschlags des Wiener Wasserbau-Experten Harald Ogris, nicht abgeschlossen werden dürfe. Ogris, Leiter des Instituts für konstruktiven Wasserbau in Wien, hatte die Pläne der RMD in Frage gestellt. Nach seiner Meinung könne man durch die Errichtung seitlich in den Fluß hineinreichender Dämme und durch Zugabe von Steinen eine deutliche Niedrigwassererhöhung erreichen und die Flußssohle stabil halten. Nicht nur eine ökologisch schonende, sondern auch eine billige Variante. „Allenfalls 500 Millionen Mark“, errechnet Ogris für seine Maßnahme.

Inzwischen bezweifeln andere hochrangige Wissenschaftler den Effekt der Hochwasserfreilegung und befürchten eine drastische Verschlechterung der Trinkwasserqualität in der ganzen Region. Der renommierte Nürnberger Geografie-Professor Eugen Wirth nennt es angesichts der zu erwartenden Frachtaufkommen „fast schon absurd“, den Ausbau zwischen Straubing und Vilshofen für Viererverbände zu realisieren. Für Wirth sind Kanal und Donauausbau sowieso nur „Symbole, um Präsenz, Glanz und Macht des Staates darzulegen“.

In die Reihe der Ausbaukritiker hat sich auch Mitte Juni der Bayerische Oberste Rechnungshof (OHR) eingereiht. In ihrem Gutachten kritisieren die Rechnungsprüfer die Dimensionierung des Projekts und weisen auf den massiven Rückgang der beförderten Mengen auf der bayerischen Donau in den letzten Jahren hin. Rechnungshofpräsident Walter Spaeth mahnt gar eine baldige Entscheidung über die Zukunft der RMD-AG an, deren öffentlicher Auftrag mit dem Bau der Main-Donau-Wasserstraße eigentlich zu Ende sei.

Nach Vorlage des Gutachtens gab auch die CSU ihren bislang heftigen Widerstand gegen die Forderung nach einer Kosten-Nutzen-Analyse des Projekts auf. Auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber versprach, jede ökologische und ökonomische Variante vorurteilsfrei zu prüfen. BUND-Chef Hubert Weinzierl wertet dies als „wichtiges Signal“ und wünscht Stoiber die Kraft, sich von der „Abhängigkeit der RMD zu emanzipieren“.

Weinzierl setzt im Widerstand gegen das Ausbauprojekt nicht nur auf die Landwirte, sondern auch auf die Jugend. Der 23jährige Zivildienstleistende Stefan Fischerländer arbeitet von Anfang an in der Osterhofener Aktionsgemeinschaft mit. „Wir lassen unsere Heimat nicht kaputtmachen, damit die RMD überleben kann“, argumentiert er. Nach dem Vorbild der großen Anti-WAA-Festivals organisiert er für den 10. September ein „Anti-Kanal-Festival“ im beschaulichen Osterhofen. Auch Bauer Mittermeier wird dann wieder mit von der Partie sein. Es macht ihm nichts aus, von anderen Bauern als „grüner Spinner“ angesehen zu werden. Für ihn ist die Sache klar: „Die Donau soll Donau bleiben.“

Hubert Weiger hat es sich zwar abgewöhnt, „an Wunder zu glauben“, diesmal ist er aber vom Erfolg überzeugt. Für Weiger steht zwischen Straubing und Vilshofen viel auf dem Spiel. Wenn dort der Ausbau realisiert würde, würde der „Druck auf die Wachau“ wieder wachsen. Und: „Wenn die Donau fällt geht es als nächstes der Elbe und der Oder an den Kragen.“