■ Bischofferode wird immer noch unterschätzt
: Ein besonderer Menschenschlag

Die Vollstrecker des Urteils über die Südharzregion Bischofferode wären gut beraten gewesen, vorher abzuklären, mit wem sie sich da anlegen. Die Gegend war ein Zentrum des Bauernkrieges, hier hatte Thomas Müntzer die treuesten Anhänger, hier floß das Blut der Aufständischen in Strömen und von hier stammt auch jener bisher nicht eingelöste Spruch: „Die Enkel fechtens besser aus.“ Vielleicht schaffen sie es ja dieses Mal. Das Eichsfeld war eine der ärmsten Gegenden Deutschlands. Unzählige gingen nach Amerika oder durchstreiften das Reich als ambulante Handwerker und Musikanten. Und gerade hier, weil sie ihre Pappenheimer und deren Selbstbewußtsein kannten, investierten die DDR-Mächtigen nach Kräften: Textilindustrie, das größte Zementwerk der DDR, Bergbau. Das freilich änderte nichts an der tiefen katholischen Gläubigkeit. Der Kollektivierung der Landwirtschaft wurde hier am längsten und erbittersten Widerstand geleistet. Ohne den Herrn Pfarrer geht hier nichts. Nur wenn er bereit war, am Sonntag nach der Kirche zu den DDR-Wahlen zu marschieren, ging auch die Gemeinde. So war es auch bei den ersten demokratischen Wahlen 1990. Damals glaubten die Gläubigen im Eichsfeld noch den Versprechungen des dicken Mannes in Bonn.

Noch immer wird der Hungerstreik von denen, die ihn zu verantworten haben, völlig unterschätzt. Sie überhören die eindringliche Warnung eines bewunderungswürdigen Menschenschlages, dem alle Ordnungen in vielen Jahrhunderten nicht das Genick zu brechen vermochten. Er markiert auch das Ende einer der friedlichen Wegstrecken nach dem 89er Umbruch. Die Zeit des hoffnungsvollen Abwartens, des gläubigen Ausharrens, der Lammsgeduld, aber auch der Hinhaltestrategien ist seit Bischofferode endgültig vorbei. Wie groß der Zweifel mittlerweile an der Glaubwürdigkeit von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaft geworden ist, beweist nicht nur das souveräne Zurückweisen des Köders von 700 Dauerarbeitsplätzen. Auch die Austritte ganzer Dörfer aus der CDU signalisieren höchsten Alarm nach Bonn. Unüberhörbar auch die landesweiten Solidarisierungseffekte. In Zukunft wird wohl machtvoll gehungert werden in Deutschland, weil es nurmehr das einzige Instrument zu sein scheint, das die ideenlosen Verwalter der Macht überhaupt noch zur Kenntnis nehmen.

Die Alternative? Künstliche Ernährung der Protestierenden? Oder wie wär's mit Nachgeben: „Produziert euer gutes Salz halt, gute Leute“? So weit aber wird die Einsicht wohl nicht reichen. Die BASF wird solches nicht erlauben und, so ein Bischofferöder Bergmann voller Bitterkeit: auch jene nicht, die sich hier wieder mal ein mächtiges Vermögen zusammenschustern. Henning Pawel