■ Die größte rumänische Zeitung will einen Volksentscheid
: Für öffentliche Hinrichtungen

Bukarest (taz) – Die Frontseite handelt von Bestien, Mutationen und perversen Zigeunern. Auf Seite drei erscheinen zumeist „ultrageheime Dokumente“, und unter der Rubrik „Kultur“ werden nackte Frauen angeboten. Die rumänische Zeitung Evenimentul Zilei (Das Ereignis des Tages) produziert mit Vorliebe Schlagzeilen der folgenden Sorte: „Die Bestie berichtet exklusiv, wie sie die kleine Suzana aufhängte“. Oder: „Mit dem Messer bedroht, wurde Otilia Marinescu von einer lesbischen Zigeunerin vergewaltigt – dann klaute die Angreiferin eine gerade bezahlte Goldkette.“

Doch Ion Cristoiu, dem ebenso beleibten wie eitlen Chefredakteur der mit Abstand größten und einflußreichsten rumänischen Zeitung genügt die Sensationsmache längst nicht mehr. Vor kurzem startete das Blatt eine landesweite Kampagne zur Wiedereinführung der Todesstrafe. Der Erfolg: Das Thema wird in allen rumänischen Zeitungen diskutiert, Prominente und Politiker äußerten sich bereits zustimmend. Und die Resonanz der Evenimentul-LeserInnen ist – laut Aussage des Blattes – überwältigend.

Anfang Juli war von der Zeitung, die sich bei der Aufdeckung von diversen Korruptionsskandalen in Regierung und Staatsapparat verdient gemacht hat, eine LeserInnenumfrage über die Todesstrafe veranstaltet worden. Von angeblich 100.000 Befragten sprachen sich laut Evenimentul Zilei 99,3 Prozent für die Wiedereinführung aus, und nur 0,7 Prozent waren gegen die Todesstrafe. Seitdem führt die Zeitung eine „Kampagne für ein Referendum über die Wiedereinführung der Todesstrafe“. Täglich erscheinen kleine Coupons, auf denen die LeserInnen Namen, Adresse, Ausweisnummer und Unterschrift angeben können, falls sie mit der Kampagne einverstanden sind.

Die Coupons werden manchmal mit einem Verbrechensbericht garniert – zum Beispiel über einen Mord an einem Kind. Schlagzeile: „Alle Bewohner von Marghita fordern die öffentliche Hängung der Bestie in Menschengestalt.“ Die Redaktion will 500.000 Unterschriften sammeln – dann kann sie ein Referendum beantragen.

„Ein Blatt, das zu Ihrer Verfügung steht“ – mit diesem Slogan ist Evenimentul Zilei vor einem Jahr auf den Markt gekommen, und schon wenige Wochen später lag die Auflage bei mehreren Hunderttausend. Dabei scheut Evenimentul Zilei keinen Unsinn und keinen noch so hämischen Rufmord. Mal wird „Diktator Ceaucescu, der noch immer nicht in der Hölle angekommen ist, in einem Kind wiedergeboren“, mal sind „Bukarester Homosexuelle an öffentlichen Orten in Erscheinung getreten“, und ein anderes Mal wurde das „Skelett einer Alten, nachdem es sieben Jahre in einem Koffer im Schrank herumstand, aus der vierten Etage aus einem Fenster geworfen – die Täterin ist die Tochter des Skeletts.“

Chefredakteur Cristoiu schreibt außerdem täglich Kommentare, in denen er entweder den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton arrogante Ratschläge erteilt oder mit Vorliebe damit angibt, wieder einmal recht gehabt zu haben. Auch wenn Cristoiu in seinen politischen Vorhersagen meist irrt – der millionennahen Auflage tut das keinen Abbruch. Cristoiu, vor 1989 stellvertretender Chefredakteur bei der Zeitung des Kommunistischen Jugendverbandes, nennt sein Erfolgsrezept: „Wir haben uns die Aufgeschlossenheit gegenüber den Sensibilitäten des Lesers zum obersten Ziel gesetzt.“ Sein Kommentar zu Justizminister Petre Minosu, der die Wiedereinführung der Todesstrafe ablehnt: „Bei den Gegenargumenten ist eins europäischer und sophistischer als das andere.“ Keno Verseck