Konzeptionslosigkeit nach Kaltem Krieg

■ Diskussion der „Dreierbande“: Henry Kissinger, Valentin Falin und Egon Bahr kritisieren Ratlosigkeit in der Politik

Das größte Problem der Politik seit Ende des Kalten Krieges besteht in der allgemeinen Konzeptionslosigkeit. Einig sind sich darin Henry Kissinger, früherer US-Außenminister, Valentin Falin, Botschafter der ehemaligen Sowjetunion, und Ex-Bundesminister Egon Bahr einig. Die „Dreierbande“, die mit dem Berlin-Abkommen von 1971 neue Wege in der Ost-West-Annäherung geschaffen hatte, beklagte auf zwei Veranstaltungen in Berlin die Ratlosigkeit innerhalb der großen Politik. Nach Wegfall der ideologischen Konfrontation gäbe es für viele Probleme keine endgültige Lösung mehr, meinte Kissinger im überfüllten Festsaal vom Haus der Kulturen der Welt.

Vordringlich sei die Stabilität in Osteuropa. Auch darin stimmten Falin, Kissinger und Bahr in den Gesprächsrunden am Sonntag und Montag auf Initiative der „Fördergemeinschaft zur Gründung einer Friedensuniversität“ überein. Stabilisiere sich die wirtschaftliche Lage innerhalb der GUS-Staaten nicht, gehe der Zerfall rasch weiter, sagte Falin. „Wenn das in Rußland richtig beginnt, dann wird Jugoslawien dagegen nur ein sanftes Säuseln gewesen sein.“

Wirtschaftliche Stabilität in den GUS-Staaten erwartet Friedensforscher Bahr jedoch nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre. Daher müsse eine Ausbreitung jugoslawischer Verhältnisse durch verbindliche Verträge verhindert werden. „Wir kommen gar nicht daran vorbei, Rußland und die Nachfolgestaaten in militärischer Hinsicht zu kontrollieren“, sagte Bahr. Dadurch würden sie „vielleicht daran gehindert, in außenpolitisches Abenteurertum zu verfallen“, und könnten sich den eigentlichen Aufgaben widmen. Kissinger warnte zudem vor einem „erstarkten Rußland“, mit dem sich nur schwierig zusammenleben ließe. Ein „extrem neues internationales System“ müsse errichtet werden, so der Friedensnobelpreisträger vor führenden Wirtschaftsvertretern im Axel Springer Verlag. Über die Art des anzustrebenden globalen Systems schwieg sich der Begründer der „Kissinger Associates Inc.“, die sich ihre Ratschläge pro Auftrag mit, wie es heißt, rund 600.000 Mark bezahlen läßt, jedoch aus. „Man muß damit beginnen, Rechtsgrundlagen zu schaffen“, sagte Falin. Alle heutigen Wirtschaftsprojekte seien sonst auf Sand gebaut. In Rußland, wo nach neuesten Umfragen 69 Prozent aller Menschen der alten Sowjetunion nachtrauerten, gebe es jede Woche neue Gesetze. Falin wies mehrfach auf Milliarden-Verluste durch Mißwirtschaft in den GUS- Staaten hin: „So lange bei uns keine eigene Arbeit und Verantwortung beginnt, spielen Ihre Millionen überhaupt keine Rolle.“ dpa