Kanada: Gruppenbild mit Dame

■ Premierminister Mulroneys Nachfolgerin heißt Campbell / Neuwahlen im Herbst

Washington (taz) – Es gibt wieder ein Gruppenbild mit Dame. Wenn am 7. Juli die Regierungschefs der G-7, der reichsten westlichen Industrienationen, in Tokio zusammenkommen, wird sich zum Fototermin erstmals nach Margaret Thatcher wieder eine Frau in die Herrenrunde mischen. Kim Campbell, 46jährige Anwältin und Shooting-Star der regierenden „Progressiven Konservativen Partei“ in Kanada, wurde am Sonntag auf einem Parteitag in Ottawa zur Nachfolgerin des scheidenden Premierministers Brian Mulroney gewählt. Mulroney hatte im Februar nach neun Jahren Amtszeit seinen Rücktritt angekündigt. Er wird vermutlich nächste Woche die Amtsgeschäfte an Campbell übergeben.

Wie lange sich die Politikerin aus Vancouver in der Provinz British Columbia ihres neuen Postens erfreuen kann, bleibt abzuwarten. Für Oktober oder November stehen in Kanada Neuwahlen an. Politiker genießen in dem Land, das durch eine lange Rezession sowie Sezessionsbestrebungen der frankophonen Provinz Quebec geschüttelt wird, ebenso hohes Ansehen wie in anderen westlichen Industrienationen – besonders dann, wenn sie aus dem Regierungslager kommen.

Letzte Meinungsumfragen zeigen, daß Campbell gegen den Kandidaten der Liberalen Partei, den Quebecer Jean Chretien, im Hintertreffen liegt. Nun mag das an dem Umstand liegen, daß sich die amtierende Verteidigungsministerin mit ihrer Vorliebe für eine unverblümte Ausdrucksweise nicht nur Freunde gemacht hat. Ihre bis vor kurzem noch unbestrittene Popularität geriet ins Wanken, als sie in einem Interview ihre politischen Gegner als „Feinde aller Kanadier“ und die Nichtwähler und Politikverdrossenen als „überhebliche Hurensöhne“ bezeichnete. Die empörten Reaktionen auf diese Äußerungen gaben ihrem innerparteilichen Rivalen, Umweltminister Jean Charest, unverhofften Auftrieb, der am Ende den Ausgang des Parteitags noch einmal spannend machte.

Kim Campbell, die unter Mulroney schon das Amt der Justizministerin bekleidete, hat ihr Programm nach Clintonscher Art auf Arbeitsplätze und Defizitreduzierung ausgericht. Dem Haushaltsdefizit, das für dieses Jahr auf 41,4 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, will sie nicht durch Steuererhöhungen, sondern durch Einsparungen zu Leibe rücken – auch im sozialen Bereich. Gerade von Seiten einige Frauenorganisationen, die zu Zeiten Campbells als Justizministerin noch äußerst zufrieden mit ihren Gesetzentwürfen gegen sexuelle Gewalt waren, gibt es jetzt Kritik an der neokonservativen Politik der zukünftigen Premierministerin.

Campbell hat sich durch ihre vorbehaltlose Unterstützung des Freihandelsabkommens zwischen Kanada, den USA und Mexiko (Nafta) einen Namen gemacht. Das Abkommen, das am 1.Januar in Kraft treten soll, muß noch von den Legislativen der drei Länder abgestimmt werden, und Campbell wird sich im kanadischen Parlament nachdrücklich für eine Ratifizierung einsetzen. Sie hat sich zudem mehrfach dafür ausgesprochen, auch asiatische Länder in das Abkommen zu integrieren.

Was immer sie davon umsetzen wird, hängt davon ab, wie sie sich in den verbleibenden Monaten bis zur Neuwahl als Premierministerin präsentieren kann. Positiv könnte sich ihre Herkunft auswirken: Campbell, die englisch und französisch spricht, stammt aus einer westlichen Provinz, ihr zukünftiger Gegenkandidat aus der Provinz Quebec, aus der fast alle Regierungschefs der letzten 25 Jahre stammten. Die Zeit, so heißt es in Kanada, sei nun endlich reif für ein neues Gesicht aus dem Westen. Andrea Böhm