Viel zu spät reagiert

■ Weltweit wird die Bonner Asylpolitik für die Zunahme rechtsradikaler Gewalt verantwortlich gemacht

Zu spät, zu wenig und das Falsche habe Bonn gegen Rechtsradikale im eigenen Land unternommen. So lautet der Tenor der internationalen Reaktionen auf die Morde von Solingen. Vor allem die Beschneidung des Asylrechts sei in die falsche Richtung losgegangen, meinen PolitikerInnen und JournalistInnen in aller Welt. Anstatt sich auf die Eindämmung rassistischer Gewalt zu konzentrieren, habe die Bundesregierung das Grundgesetz eingeschränkt. Das habe Rechtsradikale zu neuen Gewalttaten ermuntert oder zumindest nicht davon zurückgehalten.

In Israel appellierte die Knesset an den Bundestag, derartige Taten mit aller Macht zu verhindern. Die Regierung bat Deutschland, eine Wiederholung solcher Tragödien zu verhindern. Das Außenministerium zeigte „Erschütterung und Betrübnis über die Gefahren des Fremdenhasses“. Die Jerusalem Post schreibt, daß die Grundgesetzänderung von Neonazis als Sieg ihrer Gewaltmethoden angesehen wird. Mit Genugtuung nähmen Neonazis zur Kenntnis, daß ihre Vorurteile von rechtsextremen Politikern übernommen werden, während das demokratische Zentrum im Chaos zusammenbricht. Die Taktik der Neonazis gegen die Türken sei klar: unter genügend starken Terror gesetzt, könnten sich Türken zu Gegenschlägen verleiten lassen, die dann Zusammenstöße auslösen, von denen sich die Neonazis weiteren Auftrieb erhoffen.

In den USA hatte vor knapp zehn Monaten die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ angesichts der Vorfälle in Rostock Innenminister Rudolf Seiters daran erinnert, daß deutsche Behörden das Recht auf Sicherheit und auf körperliche Unversehrtheit allen Bürgern gewähren müßten – ungeachtet ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft. Doch dann kamen die Lichterketten und Verbote einiger rechtsradikaler Gruppierungen und mit ihnen der trügerische Eindruck, in Deutschland hätte sich womöglich eine Art Massenbewegung gegen Ausländerhaß und Neonazismus gebildet – wenn auch mit reichlicher Verspätung.

Nach dem Brandanschlag in Solingen haben die Printmedien diesen Eindruck korrigiert. Zwar wird allenthalben auf die Spontandemonstrationen der Bevölkerung hingewiesen. Doch im Mittelpunkt der Kritik steht vor allem das Verhalten der Bonner Regierung und des Bundestags. „Closing the gate“ – diese Formulierung ist in der US- Presse mittlerweile Synonym für die Abschaffung des Grundrechts auf politisches Asyl in Deutschland. „So sehr sich deutsche Politiker das wünschen“, kommentierte am Sonntag die Washington Post, „es war nicht das liberale Asylrecht, das die anhaltende Welle der Gewalt in Deutschland hervorgerufen hat.“ Die New York Times konstatierte, daß Deutschland vor allem in den letzten beiden Jahren sehr viel mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als zum Beispiel die USA. Doch mit der Grundgesetzänderung sei ein „stolzes Zeichen“ der moralischen Wiedergeburt Deutschlands geopfert worden, weil „sich ein reiches und mächtiges Land nicht in der Lage zu sehen scheint, die Angriffe von Gewalttätern gegen Ausländer zu verhindern“.

Auch in Japan, wo Deutschland jahrzehntelang als Vorbild für Vergangenheitsbewältigung und demokratische Moral gepriesen wurde, schenken die Medien dem Thema große Aufmerksamkeit. „Angst und Wut unter den Türken“, titelt Asahi Shinbun, die führende Tageszeitung des Landes mit einer Auflage von acht Millionen. Ihr Konkurrenzblatt, die – Mainichi Shinbun hat das Bild von den trauernden Türken vor dem ausgebrannten Haus in Farbe auf der Titelseite abgedruckt. Nicht etwa, weil man das Verbrechen von Solingen leicht in die Kategorie neuer Nazi-Verbrechen einordnen könnte, sondern weil die schrecklichen Geschehnisse immer noch nicht ins fleckenlose Deutschlandbild passen. Der Asahi-Reporter vor Ort meldete: „Die Welle der Ausländerfeindlichkeit, die nicht mehr aufhaltbar scheint, erschüttert die deutsche Gesellschaft in ihren Grundfesten“, lautete dessen Resumé.

Asahi Shinbun ist freilich das Flaggschiff der liberalen Öffentlichkeit, die daheim gegen Verfassungsänderungen und Vergangenheitsverharmlosung votiert. In diesem Sinne wurde hier auch die deutsche Grundgesetzänderung in Sachen Asylrecht kritisch kommentiert. Ganz anders dagegen die regierungsnahe Presse, die, wie die englischsprachige Japan Times, im deutschen Grundgesetzentscheid einen „Triumph des Realismus“ feierte, während man innerhalb Japans darauf bedacht ist, die Friedensverfassung für militärische Einsätze im Ausland zu ändern.

Zusätzlich abschreckende Wirkung drohen die Untaten von Solingen auf das Investitionsverhalten japanischer Unternehmen zu haben. Nach rassistischen Angriffen auf Japaner in Ostdeutschland kündigte die japanische Airline „JAL“ bereits letztes Jahr ihren Berlin-Direktflug. Inzwischen läßt der japanische Unternehmerverband „Keidanren“ schlicht mitteilen, daß „andere Produktionsstandorte in Europa im Vergleich zu Deutschland lohnender seien“. Zahlreiche japanische Quellen aber nennen die rassistischen Ausschreitungen in Deutschland als einen Grund für die Zurückhaltung der japanischen Unternehmen.

Als „richtige Antwort“ deutscher Politiker empfiehlt die regierungsnsahe polnische Zeitung Rzeczpospolita eiin „völliges Verbot der Tätigkeit von chauvinistischen und extrem nationalistischen Parteien“. In dieser Richtung argumentieren auch zahlreiche französische und italienische Medien. Sie erinnern an die radikale – und erfolgreiche – Verfolgung der RAF in den späten siebziger Jahren. „Warum“, so rätseln jetzt JournalistInnen in Frankreich und Italien, zögert die Bundesrepublik immer noch, diese Methoden heute gegen Rechtsextreme anzuwenden.

Amos Wollin (Tel Aviv) /Andrea

Böhm (Washington) /Georg

Blume (Tokio) /taz (Berlin)