Odyssee durch ein verrohtes Land

■ Lucian Pintilies „Die Eiche“ – Eine Schimäre aus Rumänien

Machen Sie sich auf alles gefaßt bei dieser Schimäre aus Rumänien unter Ceausescu. Durch sumpfiges Grasgelände rast die Kamera, dicht über dem modrigen Boden auf eine Plattenbausiedlung zu, die Treppe hoch, eine Tür wird aufgestoßen – so bahnt sich in Horrorfilmen das Gemetzel an. Aber es ist eine Weihnachtsfeier im Rumänien der 60er Jahre, der Familienvater sieht aus wie Papa Stalin mit ordensgeschmückter Brust; alle lachen, alle freuen sich. Die Kleine hat eine Pistole in der Hand, noch immer lachen alle, aber dann nicht mehr, denn die Kleine ballert drauflos. Mutter, Tanten, Schwestern und Onkels fallen, purzeln, schreien – allerdings stumm, denn was wir sehen, ist nur ein Homemovie.

Was genau sich damals abgespielt hat, wird sich nie ganz aufklären. Ein ratternder Projektor steht auf dem Bett, ein alter Mann liegt darin und eine junge Frau. Um sie herum modert und müllt es, sie werden im Dreck ersaufen.

Der Film rollt ab, der alte Mann stirbt, der Arzt meldet sich zwei Minuten nach seinem Tod: Wenn die Außenwelt ins Privatleben eindringt, ist's stets zum Schaden, Hilfe ist weder von außen noch von innen zu erhoffen. Wie in Polanskis „Ekel“ vermodert die Welt von beiden Seiten, aber innen ist's am schlimmsten.

Was wie ein großes Schlachtengemälde angelegt ist, wird aus Angst, nicht laut und deutlich genug zu sein, sehr schnell zum Comic-Strip. Die Heldin will die Leiche ihres Vaters der medizinischen Fakultät übereignen. Die wollen sie aber nicht, denn sie haben kein Formalin, überhaupt sei der Vater kein interessanter Fall, und Leichen hätten sie weiß Gott genug – „Immer Ärger mit Harry“ auf rumänisch. Vater war einst ein hohes Tier in der Partei, bis er dann den Arm unter die Eisenbahn legte, um nicht in den Krieg zu müssen. Bei seiner Einäscherung sieht man im Hintergrund einen Krüppel – ein Land voller Versehrter.

Dann beginnt eine Odyssee der jungen Frau (wirklich fulminant: Maia Morgenstern als Nela) durch ein verrohtes Land mit Verfolgung durch die Securitate, Vergewaltigung, großer Liebe, Folter, Militärmanövern und so fort – eine völlig unnötige Überfrachtung. Mariam Niroumand

Lucian Pintilie: „Le chêne“ (Die Eiche – Baum der Hoffnung). Mit Maia Morgenstern, Razvan Vasilescu, Victor Rebengiuc. Frankreich/Rumänien 1992, 105 Min.