Polizeioffensive sabotiert Nürnberger Drogenhilfe

■ Jugend- und Drogenhilfe „Mudra“ stellt ihre Arbeit vorläufig ein/ Eine Reaktion auf Polizeivorgehen gegen offene Drogenszene im Bahnhofsviertel

Nürnberg (taz) – Seit heute bleibt der offene Bereich der alternativen Jugend- und Drogenhilfe „Mudra“ in Nürnberg geschlossen. Diese Maßnahme ist eine Reaktion auf das repressive Vorgehen, mit dem starke Polizeieinsatzkräfte seit Anfang Februar versuchen, die offene Drogenszene aus der Innenstadt zu verdrängen. Die Devise dazu hatte Bayerns Innenminister Edmund Stoiber ausgegeben: „Solange ich die Verantwortung für die Polizei in diesem Lande habe, werde ich die offene Drogenszene mit all ihren unappetitlichen Konsequenzen auch mit polizeilichen Mitteln massiv bekämpfen.“

Seit Anfang Februar patrouillieren Streifenbeamte, Bereitschaftspolizisten sowie Rauschgift- und Fahndungsspezialisten der Polizei durch die Nürnberger Bahnhofsgegend. Ständige Kontrollen und Ermittlungen in diesem Bereich sollen verhindern, daß sich in diesem Viertel ein offener Markt bilden kann. Seither sind Platzverweise, Personenkontrollen, Durchsuchungen und Verhaftungen an der Tagesordnung. Die Justiz erklärte ihre Bereitschaft, diese Polizeioffensive durch Schnellverfahren zu flankieren. Eine „nachhaltige Verunsicherung der Szene“ hat sich Polizeieinsatzleiter Werner Jakstat als Ziel gesetzt.

Dieses Ziel hat er erreicht. Täglich drängten sich bis zu hundert Drogenkonsumenten in den beengten Räumen der „Mudra“. Deren eigentliche Arbeit, die Kontaktaufnahme zu und die Beratung von Drogenkranken sowie die Vermittlung von Therapieangeboten, war zum Erliegen gekommen. „Wir haben den Überblick verloren, alles gerät zusehends außer Kontrolle“, schilderte „Mudra“- Geschäftsführer Bertram Wehner schon nach einer Woche Polizeioffensive die Lage. Selbst die Aids- Prävention durch Abgabe von Spritzen an Drogenkranke sei angesichts der massiven Polizeipräsenz zum Erliegen gekommen. Wehner hat „deutliche Hinweise“, daß Injektionsnadeln wieder mehrfach benutzt werden. „Die Spritzenabgabe gleicht nun konspirativen Treffen“, berichtet „Mudra“-Streetworker Heinz Ausobsky.

Der Hilferuf der „Mudra“ hat bei den Verantwortlichen der Polizeiaktion im Münchner Innenministerium keine Wirkung. Innenminister Stoiber und sein Staatssekretär Günther Beckstein verteidigen das nicht einmal mit dem bayerischen Sozialministerium abgesprochene Vorgehen der Polizei. „In Bayern wird es keine offene Drogenszene geben – weder in Nürnberg noch anderswo“, erklärte Beckstein und verwies auf „ausreichend freie Therapie- und Entzugsplätze“. Von freien Plätzen könne „gar keine Rede“ sein, weiß Bertram Wehner aus seinen bisherigen Erfahrungen. Die Warteliste für entzugswillige Drogenkranke in Mittelfranken ist lang. Lediglich in den sogenannten „Drogenknästen“ wie beispielsweise in Parsberg gebe es noch freie Plätze. Dorthin dürften aber Drogenkranke nur per Gerichtsbeschluß eingewiesen werden.

Als Reaktion auf den unkontrollierten Ansturm auf die „Mudra“ schließen die Streetworker-Läden und der offene Bereich der Drogenhilfe nun ihre Pforten. Lediglich die konkrete Beratungstätigkeit wird aufrechterhalten. Inzwischen hat auch Nürnbergs Sozialreferentin Ingrid Mielenz ihre Bedenken gegen die Polizeioffensive geäußert. Die Stadt sei zwar vorab informiert gewesen, trage aber die Aktion nicht mit. „Drogensucht und Drogenkriminalität werden nicht behoben oder gemildert, indem man die sogenannte offene Szene polizeilich offensiv verfolgt“, betonte Mielenz. Sie hat Polizei und Staatsanwaltschaft zu einem Krisengespräch gebeten. Das soll nun am Mittwoch stattfinden – ohne die „Mudra“. Bernd Siegler