Short Stories from America
: Tätscheln, wo man es merkt

■ Drinsein und Draußensein unter Bill und Hillary

Ein offener Brief an Somalia, die Westbank, Israel, die Zone zwischen Israel und dem ehemaligen Libanon, an das ehemalige Jugoslawien, die ehemalige Sowjetunion, Irak, Iran, China, Hongkong, das weiße Südafrika, das schwarze Südafrika, farbige Völker mit Problemen und nichtfarbige Völker mit Problemen: Ihr wurdet im Stich gelassen von denen, deren Hilfe Ihr erflehtet, vergessen von der Presse und vertrieben aus der öffentlichen Diskussion in den Vereinigten Staaten. Ihr steht an einem Kreuzweg zwischen Hoffnung und ewigem Dunkel. Carpe diem; nutzt die Zeit und erobert Euch Euern Platz in den Herzen der amerikanischen Öffentlichkeit zurück: Zieht Schwule in Euer Militär ein. Das ist die einzige Möglichkeit.

Amerika beschäftigt sich nur noch mit dem Thema der Homosexuellen in der Armee und wird sich auch weiterhin nur damit beschäftigen. Kümmert Euch nicht darum, daß homosexuelle Männer und Frauen immer im Militär gedient haben und daß man nichts gegen sie hatte, als die Überlebenschancen geringer waren, zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg. Heute hat die Nation den Kopf voll mit der Frage, ob diejenigen, die drin waren, auch drin sein sollten, ob Präsident Clinton das Verbot ihres Drinseins aufheben sollte oder ob General Colin Powell recht hat: daß das Drinsein jener, die drin gewesen sind, die Moral zugrunde richten und ein militärisches Chaos auslösen werde.

Als sich am 23. Januar Verteidigungsminister Les Aspin und die vereinigten Staatschefs zum ersten Mal trafen, sprachen sie fast ausschließlich über das Drinsein. Einer der Stabschefs erklärte, über Bosnien, Somalia und Irak habe man „gegen Ende ein paar Minuten“ diskutiert. Als sich am 26. Januar Präsident Clinton und die Vereinigten Stabschefs zum ersten Mal trafen, wurde bei dem eindreiviertelstündigen Treffen ausschließlich über das Drinsein diskutiert, ohne die internationale Lage auch nur zu erwähnen, auch nicht „gegen Ende“. Die Affäre füllte die Titelseiten in den Zeitungen, überflutete das Fernsehen und CNN, zwei Wochen lang.

Kurz, das Land steckt in einer kollektiven Krise wegen Powells Shorts. Ein offener Brief an Sears, Roebuck & Company, Boeing, Mac Donnell Douglas und Pratt & Whitney: Ihr steht im Abseits. Ihr habt 50.000 bzw. 30.000 bzw. 10 Prozent Eurer Belegschaft bzw. 6.700 Arbeitsplätze allein in Connecticut streichen müssen — aber Ihr wurdet beiseite geschoben und aus den Talkshows verdrängt. Es gibt nur eine Lösung: Stellt Schwule ein. Selbst Deutschlands Neonazis sind von den Titelseiten verschwunden. Ich schlage vor, sie bilden eine neue Gruppe: Schwule für den Faschismus. Mit den Nationalsozialisten als Modell haben sie immerhin einen Präzedenzfall. Man beachte, was die Affäre Senator Sam Nunn und General Colin Powell gebracht hat. Als Vorsitzender des Senatskomitees für die Streitkräfte bzw. der Vereinigten Stabschefs hatten sie seit Ende des Kalten Krieges nur noch die Aufgabe, sich selbst abzuschaffen oder wenigstens ihr Personal zu vermindern, genauso wie Sears und die anderen. Aber mit der Geschichte um das Drinsein stehen sie wieder im Zentrum der Macht.

Das ist auch viel besser als der Ministerjob, auf den Nunn sich einige Hoffnungen machte, bis Clinton einen anderen nahm. Als Minister wäre Nunn ein untergeordneter Gefolgsmann gewesen. Jetzt aber steht er mitten im Scheinwerferlicht. Am besten gefällt mir der Vorschlag, der jetzt in den Dienststellen von General Colin Powell (der ist übrigens schwarz) zirkuliert: die homosexuellen Soldaten abzusondern. Verstehe ich das richtig: Will Powell die weißen homosexuellen Soldaten von schwarzen homosexuellen Soldaten absondern? Wenn er die homosexuellen Soldaten von den heterosexuellen absondern will, bin ich nur dafür. Endlich mal eine Gruppe, die der Armee einen gewissen Stil verleiht, die Kasernen neu gestaltet und anständige Tanzmusik einführt. Werden die Schwulen dafür bezahlt werden?

Kehren wir für eine Minute zu den sozialen und politischen Fragen zurück, die durch die ganze Angelegenheit verschleiert wurden. Man sollte nicht die neuen Abtreibungsbestimmungen vergessen. Clinton hat Bushs Verbot der Abtreibungsberatung in Kliniken, die Bundesgelder erhalten, aufgehoben, ebenso das Verbot amerikanischer Finanzhilfe für internationale Programme, die Abtreibung einschließen, sowie das Verbot von Abtreibungen in Militärkrankenhäusern — wenn ich auch kaum zu glauben vermag, daß unter all diesen Homosexuellen noch jemand schwanger werden könnte. Eigentlich bin ich sicher, daß Clinton die ganze Affäre um das Drinsein als Ablenkung gemeint hat, um die ganze Powell-Shorts-Bande zu beschäftigen. Dadurch konnte er nicht nur seine Abtreibungspolitik, sondern auch die Ernennung von Hillary Rodham (Clinton) zur Leiterin seiner Arbeitsgruppe für Gesundheitsfürsorge durchbringen — beide konnten so gerade einen Tag lang die Titelseiten füllen.

Ich bin fest überzeugt, daß die ganze Angelegenheit eine Ablenkung war, weil das der einzige vernünftige Grund für die ganze Geschichte ist, und ich bin sicher, daß Bill vernünftig ist, weil ich ihm meine Stimme gegeben habe. Oder könnte die ganze Drinseinsgeschichte eine Ablenkung von der Bird-Affäre sein, um die Leute von der Frage abzuhalten, warum niemals männlichen Kabinettskandidaten Fragen nach ihren Kindermädchen gestellt werden? Nun, vermutlich sollten nicht „die Leute“ davon abgehalten werden, sondern die Frauen, und besonders Hillary. Seit der ganzen Geschichte sind übrigens die Frauen überhaupt aus den Nachrichtenseiten verschwunden, sogar die Frauen in den Streitkräften. Ich verstehe das. Wie können sie mit Colins Colon konkurrieren? Wenn sie wieder ins Rampenlicht wollen, müssen sie dorthin gehen, wo die Action ist.

Powell hat sich so schrecklich das Maul über Schwule, Hintern und Moral zerrissen, daß ich vorschlage, die Frauen in den Streitkräften sollten ihre Hände dorthin tun, wo Colins Mund ist, und die Männer jeden Morgen dort tätscheln, wo sie es merken. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning