„Eine Haupttat ist nicht feststellbar“

Für die politisch Verantwortlichen in Mecklenburg-Vorpommern werden die Rostocker Pogrome keine Folgen haben/ Ermittlungen eingestellt/ Urteile haben keine präventive Wirkung  ■ Von Ulla Küspert

Hamburg (taz) – Die Verantwortlichen in Polizei und Politik werden wegen der Rostocker Pogrome am 24.August vermutlich nicht zur Rechenschaft gezogen: Die Aufnahme der Ermittlungen hätte scheitern müssen, erklärt der Rostocker Staatsanwalt Albert, weil anläßlich der Ausschreitungen im Stadtteil Lichtenhagen bei keinem der beteiligten Gewalttäter der Nachweis einer Volksverhetzung geführt werden konnte.

Die häufig gehörten Rufe wie „Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“ erfüllten die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen nicht, weil sie gegen das Bleiberecht eines Ausländers und damit im „weiteren Sinne“ zwar diskriminierend, „nicht aber gegen ihr Lebensrecht in der Gemeinschaft gerichtet sind“. „Ist aber eine Haupttat nicht festzustellen, fehlt es an der Tat, an der sich Innensenator Magdanz – vorsätzlich – hätte beteiligen können.“ Da der Innensenator „als kommunaler Beamter der Stadt Rostock gegenüber der Polizei keine Kompetenzen besitzt“, hätte er, so Albert, im übrigen auch keine Hilfeleistung unterlassen haben können. Dies gelte auch für Bürgermeister Wolfgang Zöllick.

Damit sind für die Rostocker Staatsanwaltschaft drei Strafanzeigen gegen die staatlichen Akteure der Pogrom-Nacht vom 24./25. August letzten Jahres weitestgehend erledigt.

Erstattet wurden die Anzeigen vor vier Monaten vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, der Düsseldorfer Landtagsfraktion der Grünen und von einer Gruppe von mehr als 30 Persönlichkeiten, darunter Daniel Cohn- Bendit, Renan Demirkan, Kabarettist Matthias Beltz und Emma- Herausgeberin Alice Schwarzer. Die Vorwürfe sind unter anderem Beihilfe zu menschengefährdender Brandstiftung, Landfriedensbruch, Strafvereitelung im Amt und unterlassene Hilfeleistung. „Gewaltbereiten Straftätern das Feld zu überlassen und deren Handeln zu befördern“, resümiert der Frankfurter Anwalt Armin Golzem die achtseitige Prominenten- Anzeige, „ist ein Verhalten, für das es keine Entschuldigung gibt, und zwar weder im stafrechtlichen noch im politischen, noch im moralischen Sinne.“

Trotz mehrfacher Vorwarnungen und bereits zwei vorangegangenen Pogrom-Nächten war die Polizei damals nur schwach vertreten und plötzlich ganz abgezogen worden. Daraufhin hatten rechtsextremistische Gewalttäter zwei von Ausländern bewohnte Häuser angezündet. Polizeichef Kordus hatte sich, wie Innenminister Kupfer auch, zuvor nach Hause abgesetzt, um sich frisch zu machen. Kordus schrieb anschließend in seinem Bericht, die Menschen in den Häusern seien weniger gefährdet gewesen als die Poizei. Kupfer erklärte gar, niemandem sei ein Schaden zugefügt worden.

„Ich habe die Staatsanwaltschaften gebeten, hier sehr, sehr sorgfältig in jeder Richtung zu ermitteln“, betont der Generalstaatsanwalt von Mecklenburg- Vorpommern, Alexander Prechtel. „Wenn Anzeigen gegen Politiker zu schnell eingestellt werden, heißt es: Ihr habt die Sache gar nicht richtig geprüft, Ihr habt sie abgebürstet.“

Als Prechtel das sagt, hat die Staatsanwaltschaft Rostock bereits kräftig gebürstet. Nicht einmal Fahrlässigkeit im Handeln der Politiker wollte sie ausmachen. Einsilbig bestätigt Presse-Staatsanwalt Slotty, daß sie die Verfahren gegen die Beschuldigten Rudolf Seiters (CDU, Bundesinnenminister), Berndt Seite (CDU, Ministerpräsident von Mecklenburg- Vorpommern), den Rostocker Innensenator Peter Magdanz (SPD) und Bürgermeister Wolfgang Zöllick eingestellt hat.

Auch die „unbekannte Zahl beifallklatschender Bürger“ – von den Düsseldorfer Grünen gleichfalls angezeigt – hat nichts zu befürchten. Die Auswertung der Bild- und Tondokumente hätte „keinen sicheren Nachweis dafür erbracht, daß eine Sympathiekundgebung der Unterstützung einer strafrechtlich relevanten Aktion galt“.

Lediglich die den damaligen Polizeichef Siegfried Kordus (FDP- nahe) betreffenden Akten sind – wie auch die über den Innenminister Lothar Kupfer (CDU-Ost) – von den Staatsanwälten noch nicht endgültig geschlossen worden. Kupfers Auftritt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß in Schwerin wurde dank der CDU-Mehrheit immer wieder hinausgeschoben.

Der rechtsextremistischen Gewalt meint Generalstaatsanwalt Prechtel, zuvor 13 Jahre lang Pressesprecher des Generalbundesanwalts in Karlsruhe, mit einer speziellen Strategie beizukommen: „Meine Zielrichtung war schnelle Urteile gegen die Masse der einfachen Straftäter. Weil eine schnelle Strafe auch generalpräventiv wirkt.“ Bisheriges Ergebnis: 400 Ermittlungsverfahren wegen der Überfälle in Lichtenhagen, dazu landesweit 300 weitere, rund 80 Haftbefehle und etwa 30 Urteile. Strafmaß: Gefängnis und Jugendstrafe bis zu einem Jahr, oft ohne Bewährung. Anfang Dezember dann mit zweieinhalb Jahren die erste höhere Strafe. „Generalpräventiv“ wirkt das kaum. Brandanschläge und Überfälle reißen auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht ab, wie zuletzt am Wochenende nach Neujahr in Malchow.

Nächste Woche soll in Rostock nun der erste von zwei „schweren Fällen“ vor Gericht verhandelt werden. Zwei Gewalttäter, die des versuchten Mordes in Lichtenhagen beschuldigt werden, wurden überhaupt erst kurz vor Weihnachten verhaftet.

„Insgesamt muß ich sagen, daß die Justiz hier die Aufarbeitung eigentlich recht ordentlich betrieben hat“, lobt Prechtel. „Das soll aber nicht selbstgefällig klingen.“ Wie könnte es das.

Gegen die Einstellungsverfügung aus Rostock hat Rechtsanwalt Golzem Beschwerde eingelegt.