1992

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland,

ja, gerade sagt Ute Lemper es wieder

auf der Rock nach Rechts Bühne, Fft/Main.

Der Tod ist ein Meister von hier, ja, ja

erwacht grad aus seiner Totalanästhesie,

hat endlich ausgeschlafen der Bursche,

und wir werden sagen können,

wir sind dabei gewesen,

Arsch offen, Lied zwischen den Zähnen,

ich bin Rassist, ich hasse Dialekte:

wieso die Rhein- und Mainländer dran hindern,

ordentlich Englisch zu lernen, wenigstens.

Ein unerhörtes Verbrechen ist geschehn.

Deutsche Menschen (ein deutscher Staat!),

– so geht die Sage –

haben im ausgehenden 20. Jahrhundert

einem Menschen etwas Gutes getan,

der es nicht verdient hat.

Wir können

das nicht

auf uns

sitzen

lassen.

Asyl

Mißbrauch.

Der Tod ist ein Lehrling aus Deutschland,

zweites Lehrjahr. Kann noch nicht viel.

Kanzlerlehrling übt Heer aus dem Sandkasten,

den Welthunger erschießen mit deutschen Gewehren,

woher soll er's können.

Azubi: eine deutsche Armee, antifaschistisch (2. Versuch).

Der Lehrling im Rollstuhl

– woher soll er's können –

Anatomiegrundkurs an der Grundgesetz-Leiche.

Oppositionslehrling, Grünholz,

mit Herz für Verfolgte,

verhindert das Schlimmste,

fördert das Zweitschlimmste,

– woher soll er wissen?

Gemeinsam sind wir stark,

solidarpaktetisch die faktische Lehrlings-Großkoalition

in Deutschland hinter der Mauer.

Wenn wir sie noch höher bauen

sieht uns keiner

(im Wald, mit der Heckler & Koch,

wo Skin übt richtiges Objekt erkennen).

Woher soll er können?

Polizeicheflehrling sucht verzweifelt Nachwux,

woher soll er kriegen?

:es kloppt sich besser in freier Wildbahn,

ohne feste Arbeitszeit

und ohne Hundemarke,

in einem anständigen Outfit,

Leder-,

nicht grüner Amtsfaschismus.

(Sieht doch nicht aus: Mütze auf Glatze).

Der Tod ist ein Lehrling,

Friseur aus Deutschland ...

1992 wurde kein neuer Kontinent entdeckt,

auch nicht der Herkunftsplanet der Ufos,

(die unbedingt auf deutschem Acker

ihren bevorstehenden Erdeintritt planen.)

1992 entdeckt sich Deutschland,

als Land der unschuldigen Seelen, endlich.

Is' ja auch was.

Kein einziger Schuldiger lebt hier mehr,

was für ein frohes und leichtes Zuhause!

Keinen Menschen getroffen, der noch an was schleppt,

Schuld, Geschichte! Was denn, wo? Unsere Eltern –?

Doch die schon nicht mehr! Hitler ist 1786 geboren,

vor Mozart, du Kugel,

ich hätt was zu tun mit toten Juden?

Nie einen gesehen, Wichser,

verpiß dich –

Keiner vermißt dich.

Keiner vermißt dich,

Else Lasker-Schüler.

„Und deine Lippe, die der meinen glich,

Ist wie ein Pfeil nun blind auf mich gezielt.“

In Deutschland lebten 500.000 Juden vor 1933,

Groß-Deutschland,

ein Drittel davon in Berlin, das die Fakten.

„Die Deutschen“ haben tatsächlich nie einen gesehen

(außer in der Zeitung oder in der Führerrede)

und, wo sie dann massiert auftraten, im KZ,

zusammengekarrt von überall, wohin ein deutscher Besatzerfuß reichte.

„Zu viel“ ... „too much“ ... wo man hintrat ein Jud ...

wo man hinsieht ein Kameltreiber,

Teppichhändler auf Sozialhilfe,

betrügerischerweise doppelt bezogen,

hochinfamer Wohnraumverknapper,

Zigeunerkinder Drogenschlepper

LSD für unsre ganz Kleinen,

getarnt als Coca Cola Bonbon.

Hat je ein Deutscher gedealt

mit unreinem Koks?

Die Roma-Arbeiter bei BASF

hatten klar ihre Finger mit drin

im Zyklon B Business,

daher so oft beschleunigter Tod,

mußten dauernd Nachschub anfordern,

laßt noch ein paar übrig vorm Ofen,

wir brauchen sie noch ...

Welcher große bescheuerte Meister

gewährt den Deutschen, wieder und wieder,

wider besseres Wissen, Asyl

auf dem Erdball. Wider alle Vernunft.

„Kein Gedicht mehr nach Auschwitz“ –?

„Nur noch Gedichte!“ –

wäre die Parole gewesen.

Vielleicht wär was andres im Kopf jetzt

als Scheiße. Versepegel statt Kontostände

und Ausländer-Über-Zahlen.

Plus mal minus,

die Schädeldecke ein.

„Wie lange war kein Herz zu meinem mild ...

Die Welt erkaltete, der Mensch verblich“

... schrieb 1934 „Die Verscheuchte“.

Die Deutschen haben kein Gesicht mehr

nach Auschwitz

(jedenfalls keins, das irgendein Mensch sehn will wo.)

Zu viel ... too much ...

Antisemitismus geht ohne Juden, sah Günter Anders.

Zu viel in Deutschland gibts immer nur eins,

Deutsche,

lebende Deutsche,

das sah, 1989,

jeder versgestählte hier Lebende

beim Abstandhalten

von der fallenden Mauer.

(Jubelpack mit Hintergedanken)

„Jetzt freue dich ...

Götterfunke!“

Nicht erst nach Willy Brandts Tod, bewahre.

Der Willy, ein Meister aus Deutschland, zuletzt.

Wer nicht mit den Toten spricht

tötet die Lebenden.

Deutschfeindlich-Sein ist auch Rassismus,

schreibt so ein Deutsch-Neger an die taz,

empfindsam; wie wahr, Klugscheißer:

Noch nie gehört, daß Nazis ein Wort ist für Deutsche?

Das zutreffendste, das sie haben, in Dänemark, Frankreich, USA.

Kein Mensch nennt einen Italiener Nazi, nirgendwo.

Nirgendwo.

Nicht mal Mussolini.

„Nun freue dich, Götterfunke!“

Befreit von den Fesseln

des Denkens und des Anstands,

aus der Schuld gelöscht

in der dritten Generation

wachsen aus deutschen Kernen

fast unerwartet

aber willkommen

Parlamenten Bevölkerungen zu.

Frisches Gemüse

wohin man schaut,

ich weiß auch nicht,

warum –

warum sie die Bombe auf Japan schmissen.

:Hier

hätte sie hingehört,

fand Rolf Dieter Brinkmann vor dreißig Jahren,

lohnt den Aufbau nicht, weg mit der Scheiße.

Zugegeben,

einiger Spaß wär mir entgangen,

(das Leben war nicht schlecht zu mir),

aber stand es mir zu? Nein, es war Glück,

und gewiß, reichlich, vom unverdienten

(für das ich freundlich danke).

Galt als „böse“, Brinkmann,

haßgetrübt, unverantwortlicher Schreiber,

„Faschist“, sagte Walser (den ich baden sah

in thüringisch-erdhaftem Delirium, 1990.

Wurzelversessen. Deutsch-deutscher Wichser.)

„Das schulden wir der Gerechtigkeit“,

als Deutsche,

daß Honecker blute vor einem Gericht.

Nicht, daß ich Mitleid hätte mit dem Mann, aber–

„Bluten sollen sie bis ins tausendste Glied“,

sagte Hitler,

„die Juden, dafür daß –.“

Sagten die antisemitischen Polen,

„dafür daß –“

sie(die Römer)

„unseren Herrn, den sanften Christ,

ans harte Judenholz genagelt, einst.“

Bluten: Endlösungs-, Endzeitjuden,

spät kommt die Gerechtigkeit,

aber sie kommt,

so viele von ihnen, wie sie nur kriegen konnten

(als Römer) in die Öfen,

1942,

da bin ich geboren,

meine Mutter ahnungslos,

mein Vater half nicht mal direkt bei den Transporten,

zu weit östlich sein Bahnhof im ostpreußischen Wald,

östlicher als das östliche Treblinka,

er war Antisemit, beide waren Antisemiten,

ahnungslos meinetwegen (über das Ausmaß, wie sie sagten),

aber ich weiß.

Gerechtigkeit ist es nicht

(daß sie die Bombe auf Japan schmissen).

Gerechtigkeit ist vielleicht,

daß unser unschuldiger Kanzler (Lehrling)

unsre ganze Unschuld

für uns trägt,

ganz alleine,

was für ein Gewicht, mein Gott,

selbst für einen Dreizentnerleib.

Tonnenweise totale Unschuld in der dritten Generation.

(Seine Mutter wußte auch nichts

von deutschem Antisemitismus

als sie das unschuldige Bündel gebar.)

Frau Minister Lehrling unterschreibt gegen Vergewaltigung,

Spende für Frauenhaus im kroatischen Zagreb,

während ihr Spezi, Außenstellenlehrling, Terrain absteckt

für Bundeswehrkriege (garantiert vergewaltigungslos, diese).

Und ohne Lager aller Art, versteht sich.

Wohltuend, Gerechtigkeit: endlich mal

vorm Unwort „Lager“ nicht das Vorwörtchen „deutsch“

in der eigens abonnierten Morgenspalte.

Pazifist. dt. Menschen, auch weibliche darunter, fordern

militärische Intervention in Bosnien-Herzegowina

(den Krieg abzuschaffen durch Vermehrung der Schlächter).

Ich seh ihn schon wieder, den guten dt. Soldaten,

Friedenstrüppler, Blauhelm auf der Eichel,

wenn er in den Krieg reist, pazifistisch schaumgeboren,

und seine Braut, das Gewehr mitnimmt

(was wird er noch fremde Frauen brauchen).

„Dunkle Zypressen ...

die Welt ist gar zu lustig ...

es wird doch alles vergessen ...“

1971, Krieg in Bangladesh

„während des neunmonatigen Krieges 200.000 bengalische Frauen

von pakistanischen Soldaten vergewaltigt.“

Später erhöht auf geschätzte 400.000,

in Lagern, außerhalb von Lagern, Tausende schwanger.

(Susan Brownmiller: Vergewaltigung und Männerherrschaft,

dt. bei Fischer seit 1978).

„Es wurde derart systematisch und allenthalben vergewaltigt,

daß nur bewußte militärische Taktik dahinter stehen kann“ –

Mulk Raj Anand, indischer Schriftsteller, Augenzeuge.

Wofür bekam Rigoberta Menchú den Friedensnobelpreis?

Hatte glaub ich was zu tun mit Indiofrauen in Guatemala.

Die guatemaltekische Armee, –

Lesen Sie, was sie mit ihrer Mutter machten,

(mir stehn seit zwei Jahren die Haare zu Berge),

beispiellos nicht, was in Bosnien geschieht,

es ist Alltag der Kriege und Bürgerkriege.

„Soldaten sind Mörder“,

sagt Zwerenz, beschönigend. Mörder sind sie,

gelegentlich, auch. Vergewaltiger meistens.

In Lagern und ohne Lager, mit und ohne „Demütigungs“-Absicht,

„neue Rasse“ zeugend oder alte vermindernd.

Wo gab es den letzten Krieg ohne Massenvergewaltigung,

den postmodernen, ja, aus dem Flugzeug gepeepshowt,

da übernehmen es die Raketen (mit ihrem bekannten Liebesrasen).

Warum sind die deutschen Soldaten aus WK II

jetzt noch so beliebt in besagten Gebieten?

Weil sie immer Achtung hatten vor der serbischen Mutter, vermutlich.

Die vergewaltigten Frauen in Bosnien,

in der deutschen Zeitung hingestreckt,

freigegeben zum Verzehr,

Blut und Eingeweide vom Balkan,

eine alte deutsche Lieblingsspeise,

Säure (vom weiblichen Tier) für den Weihnachtsmagen,

viel Details, kein Fett, bitte,

oder glauben Sie,

die Zeitungen hätten Mitleid mit nur Einer?

Tonnenweise Mitleid in der 3. Generation ...

Deutschland putzt

sein verschlucktes Gedärm jetzt.

Schuldreinigung ist Weihnachtsgeschäft.

Der Überfluß, die schlechten Gewissen

(wer weiß nicht ums eigene Wohlergehn?),

sogar Weltkrieg zwei, nachträglich gewonnen,

lag unterm Baum schon letztes Jahr,

all dieses Glück, unverdient vom Himmel,

Deutschlands letztendliche Wiederverkupplung,

und – hatten wir nicht RECHT:

der Kommunismus darnieder –

so viel historische Bestätigung,

sackweis gekippt vom deutschen Gott,

ohauaha, wer hält das aus

ohne ehrfürchtiges Opfer,

dem Herrn was des Herrn ist:

Tonnenweis' Zerfetztes (bosnisch, weiblich), –

auf schuldverminderndem Zeitungsaltar.

Und: serbisch ist der Scheißfaschismus,

so serbisch wie deutsch die Saar immerdar,

wie deutsch die Namen auf der Unterschriftenliste.

Balkanesisch ist das Kriegsverbrechen

(wie das vorige moslemisch ... ein anderes jüdisch)

balkanesisch in Wilhelms „erstem“ schon,

auch WK I jetzt zurückgewonnen ...

Was schert eine vergewaltigte Frau

aus Serbien, Kroatien, Bosnien, Guatemala, Kuweit,

das öffentliche deutsche Herz.

Nichts, glaube ich. Sie wird verzehrt.

Wie im verzehrenden Licht der Kerzen

der deutsche Sozialcharakter sich reinigt

zum ewig schuldlosen deutschen Reh.

Folter und Sprache: die Berichte von den Schrecken der Folter

stammen fast immer von den Tätern selber oder von Augenzeugen

und so sind sie gebaut, ausbeutend, Grauen erregend,

in der Magengrube, nicht Opfer-, sondern Opferergefühle,

die Gefolterten selbst sind meist stumm, wenn nicht tot,

der Sprache und des Sprechens beraubt fürs Leben,

auch das ein Ziel der Vergewaltigung.

Wer foltert denn uns,

daß wir verstummen –?

Aschermittwoch, und alles vorbei, immer schon,

Schuld, Geschichte ... Gedächtnis ... Gesichte ...

Schuldlosigkeitssiegel ab drittem Glied,

ein Neuanfang in Deutschland, warum nicht dieser:

„der Faschismus ist serbisch“, und „Ausländer raus“,

die Schuld geht gleich mit, wunderbarerweise,

Der Tod ist ein Neuling im meisterlichen Deutschland.

Und reingewaschen kehrt zurück

das deutsche Marzipanschwein

aus Taiwan.

Demokratisch muß gesagt sein,

„Gib Tod 'ne Chance“,

dem seltenen Gast.

Und wir,

frei –

entlastet,

entsühnt,

freigesprochen

in der Talkshow,

demokratisches Round Table Habit,

gebadet im Drachenblut des Gesendetwerdens

und Empfangens,

neusachlich Siegfrieds gesänftete Zunge,

Talkshowlehrlinge, wohin die Augen reichen,

sie lernen sitzen und reden in Sesseln,

direkt aus dem Sessel ans Volk geredet

(hatte nicht mal Goebbels),

drittes Lehrjahr, wie man Macht hat, erstaunlich,

während eine Kamera sie ungläubig betastet,

(während Menschen aus Deutschland, ungesendete,

deportiert werden wohin sie nicht wollen,

per gültigem Gerichtsbeschluß) –

– sie waren noch nie so frei,

Lehrlinge,

Talkshow haltend

Macht zu haben,

sie lernen

das ganze geriebene Lehrlingsgemüse lernt:

gut sein,

es ist Führerscheinstunde,

Überholspur auf der Autobahn

reserviert für das Gut-Sein im guten Menschen,

(„Ingenieursspur“ sagten die Nazis)

reserviert für gekochte Talkshow-Gebrühte.

Der Rest,

Kerze in der Hand,

trifft sich in der Innenstadt,

Nathans Ring erleuchten.

Der Welt den guten

Deutschen

zeigen.

Gute Deutsche, das gibts.

Dies war eine gute Deutsche

(in Israel begraben) –:

„Es ist am Abend im April.

Der Käfer kriecht ins dichte Moos.

Er hat so Angst – die Welt so groß!“

Deutschland,

so klein.

(und so ohne Angst,

demnach. Logisch).