Pausenlos geht es voran!

■ Jewgeni Popow beweist „Die Wunderschönheit des Lebens“

Es war einmal ein Land, in dem der Schmelzkäse „Freundschaft“ oder „Neuheit“ und die Schokolade „Roter Oktober“ hieß, an dessen Himmel Düsenflugzeuge die Stärke der Heimat versinnbildlichten und frohe Menschen ein wunderschönes Leben führten. Dieses Land muß eine gewisse Existenzberechtigung in den Weltläuften genossen haben, und der russische Graphomane Jewgeni Popow, Jahrgang 1946, schrieb in 25 Kapiteln die semidokumentarische Chronik dieses Landes, um dessen Wunderschönheit eindrucksvoll zu beweisen.

Ein Vierteljahrhundert Sowjetunion, begonnen mit dem Jahr 1961, als ein gewisser Popow sich zum ersten Mal ernstlich mit Literatur befaßt, und endend mit dem Einsetzen des ideologischen Tauwetters 1985. Zwischen diesen Eckdaten wird in Popows Roman vor allem kräftig einer gehoben; die Helden sind der gutgefüllten Wodkagläser auch arg bedürftig. Sorgen sie sich doch um nichts Geringeres als die Menschheit und jene oben erwähnte Wunderschönheit des Lebens, die es unermüdlich gegen die Widrigkeiten des Alltags zu verteidigen gilt.

Dienstreisende, Urlauber, einfache Sowjetmenschen, Gauner, robuste Waldarbeiterinnen und idealistische Privatphilosophen holen russische Fläschchen hervor, um gemütlich über russische Themen zu plaudern und einmütig zum selben Schluß zu kommen. Chaos in der Konfektionsfabrik „Rotes Echo“ oder fehlende Autoreifen ändern nichts daran, „daß du dir über die unerschütterlichen Grundlagen für das Voranschreiten der Wunderschönheit des Lebens im klaren bist“ – Heroismus und Optimismus nämlich. So ist es nun einmal beschlossen, und so wird es sein. Sollten den vorgeblich naiven Moskauer Wilhelm Meister auf seiner Zeitreise durch das Mutterland des Kommunismus doch Zweifel ankommen, so erweist sich die sozialistische Parteilichkeit als zuverlässiger „Kompaß“, um „verleumderischen Skizzen“ und kapitalistischer „Schweinemusik“ standzuhalten. Popows russische Menschen sind vielleicht nicht ganz ausgefüllt „in den ihnen von der Gesellschaft anvertrauten Tätigkeitsbereichen, wo sie nie dagewesene Leistungen vollbringen“. Aber sie kompensieren das durch ein genial überschwengliches Verlautbarungsrussisch, wenn sie nur voller Rührung an die heimatliche Erde denken.

„Hauptsache, Genossen, der Mensch ist gesund!“ Und ein weiteres Prost auf unversöhnliche Kämpfe an der Chemiefront, auf „Flirtwolken in der arbeitsfreien Zeit“, auf „den unerschütterlichen Aufschwung des staatsbürgerlichen sowjetischen Selbstbewußtseins“. Aktiv wird ins Leben eingegriffen, und so geht Jahr um Jahr dahin – „aber schon schreitet ein weiteres Jahr über den Planeten“. Pausenlos geht es voran.

Jahreszahl ist bei Jewgeni Popow gleich Kapitelzahl. In fröhlicher Anarchie entwirft der Autor eine Collage aus einander kommentierenden Episoden, Losungen, Gedichten und Pressedokumenten. Die sich dabei auftuende Kluft zwischen real existierender Praxis und blumig propagierter Theorie wird heiter-fatalistisch bei noch einem Gläschen wegphilosophiert. Popows Figuren gebärden sich als Schelme, Märchenerzähler und Marktschreier, und da der Sozialismus innerhalb der vierhundert Seiten gesetzmäßig und ohne absehbares Ende voranschreitet, können auch keine Geschichten mit Schlußfolgerung oder Moral erzählt werden. (Aber die Moral erblüht ja sowieso „als üppige Blume“!) Popows „brüderlich zusammengeschweißte“ Herzensbrüder leben einer großen Vergangenheit, einer wunderschönen Gegenwart und einer lichten Zukunft, was die Entspannung zu Amerika nicht ausschließt ... Schöne neue Welt auf russisch.

Jewgeni Popows Roman ist eine Satire par excellence. Weitschweifig moralisierend, persifliert er weitschweifiges Moralisieren und steckt zudem voller intelligenter Anspielungen auf verblichene Wunderschönheiten, etwa in der sowjetischen Kulturpolitik. Popow gab 1979 gemeinsam mit Viktor Jerofejew den Literaturalmanach „Metropol“ heraus, so etwas wie eine Kompilation des sowjetischen literarischen Undergrounds, und wurde dafür aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Inzwischen ist der gebürtige Sibirier mit vier Titeln allein im Jahr 1989 der meistverlegte zeitgenössische Russe. Seine „Wunderschönheit des Lebens“ ist als russischer Ausläufer der Moderne in seiner spröden Montagetechnik vielleicht nicht sehr gut, als tiefkomisches, bissiges Poem ohne hehre Helden jedoch ohne Zweifel ganz ausgezeichnet. Also Prost, Väterchen! Anke Westphal

Jewgeni Popow: „Die Wunderschönheit des Lebens. Kapitel aus einem Roman mit Zeitung, der niemals begonnen wurde und niemals beendet wird“. Aus dem Russischen von Alfred Frank, S. Fischer-Verlag, 1992, 398 Seiten, geb., 39,80 DM