Hinrichtung eines Juristen vor Gericht

■ Waldheim-Prozeß fortgesetzt

Leipzig (taz) – Wenn Richter über Richter zu Gericht sitzen, die ihrerseits über Juristen zu Gericht gesessen haben, wird es kompliziert. Der im ersten Nachfolgeprozeß der sogenannten Waldheimer- Prozesse angeklagte Richter und Staatsanwalt Otto Jürgens (86) hat am dritten Verhandlungstermin Aussagen zu dem Tatvorwurf gemacht. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, als beisitzender Richter den Staatsanwalt Heinz Rosenmüller 1950 zum Tode verurteilt zu haben. Das Waldheimer Gericht hatte den Staatsanwalt Rosenmüller in einer kurzen Verhandlung zum Tode verurteilt, weil dieser in 15 Fällen bei einem Dresdner Sondergericht für Nichtigkeiten die Todesstrafe beantragt hatte. Die Frage, inwieweit diese Verurteilung wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 rechtens war, wurde in der gestrigen Verhandlung noch nicht einmal gestriffen. In dem mehrstündigen Gespräch vor dem Bezirksgericht in Leipzig zwischen dem vorsitzenden Richter Wolfgang Helbig und dem angeklagten Jürgens ging es allein um das damalige Prozedere, was ohne einen Verteidiger, ohne die Anhörung von Zeugen und unter Ausschluß der Öffentlichkeit jedem rechtsstaatlichen Verfahren Hohn sprach.

Der Angeklagte Jürgens hatte zunächst gesagt, daß die Verurteilungen sich auf sowjetische Protokolle gestützt hätten. Nachdem diese verlesen wurden, präzisierte er seine Aussage. Nicht die sowjetischen, sondern Protokolle der Volkspolizei hätten den Beweis für die Strafbarkeit der Angeklagten geliefert. Zeugen hätte man nicht gebraucht, weil es „keine Widersprüche zwischen den Protokollen und der Beweisaufnahme“ gab. Auf die Frage, welche Strafe er damals für Rosenmüller als Beisitzer gefordert hätte, sagte Jürgens: „Ich war für lebenslänglich“ und wurde von dem Vorsitzenden und den Schöffen überstimmt. Julia Albrecht