Ein Jahr auf Bewährung für NPD-Chef

Günter Deckert leugnete Vergasungen im Vernichtungslager Auschwitz/ Pseudowissenschaftlicher „Leuchter-Report“ als Propagandamittel der Rechtsradikalen  ■ Aus Mannheim Susanne Wolf

Zu einer einjährigen Haftstrafe auf Bewährung und einer Geldbuße in Höhe von 10.000 Mark verurteilte das Mannheimer Landgericht den NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert. Die 4.Große Strafkammer des Landgerichts sprach den 52jährigen Deckert in allen Anklagepunkten – üble Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Volksverhetzung – für schuldig. Deckert kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung Revision an.

Der Stadt- und Kreisrat Deckert hatte am 10. November 1991 in seiner Heimatgemeinde Weinheim (Nordbaden) eine öffentliche Veranstaltung mit dem US-amerikanischen Nazi-Revisionisten Fred Leuchter durchgeführt. Leuchter, Autor des „Leuchter- Gutachtens“, ist einer des bekanntesten Vertreter des internationalen Revisionismus. Im Auftrag des deutsch-kanadischen Neonazis Ernst Zündel flog Leuchter 1988 nach Polen. Mit einem Team inspizierte er dort die ehemaligen Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz. Wenige Wochen später legte Leuchter seinen Bericht vor, demzufolge in den Konzentrationslagern keine Gaskammern betrieben worden seien. Der Holocaust an den europäischen Juden wurde mit dem „Leuchter-Report“ in Abrede gestellt. Das kanadische Gericht, dem Zündel im April 1988 die Ergebnisse von Leuchter vorlegte, lehnte die revisionistische Arbeit ab. David Irving, britischer Publizist und Hitler-Apologet, steuerte das Vorwort für das 1989 in London als „The Leuchter Report. The First Forensic Examination of Auschwitz“ veröffentlichte „Gutachten“ bei.

Dankbar griff die wachsende Neonazi-Gemeinde auf die vorgeblich wissenschaftlichen Ergebnisse des „Leuchter-Reports“ zurück. Zahlreiche Übersetzungen und Ausgaben liegen bis heute vor. Hellmuth Auerbach vom Münchener Institut für Zeitgeschichte schreibt über die Revisionisten, sie „negieren Forschungsergebnisse, die ihnen nicht passen, oder versuchen, sie lächerlich zu machen. Sie beziehen sich mit Vorliebe auf ihresgleichen, schreiben voneinander ab. Durch ständiges Wiederholen derselben Argumente in Büchern, Aufsätzen und Pamphleten soll diesen Glaubwürdigkeit verliehen werden.“ Der Bundesgerichtshof entschied 1979, daß das Leugnen des Holocaust strafbar sei.

In den drei Verhandlungstagen mußte das Gericht klären, inwieweit sich Deckert mit dem Inhalt des Vortrages von Leuchter identifiziert habe. Ein von Deckert selbst vertriebener Videofilm der Weinheimer Veranstaltung spricht dazu eine deutliche Sprache. Veranstalter Deckert übersetzte, kommentierte und glossierte die pseudowissenschaftlichen Ausführungen des „Hinrichtungsexperten“ Leuchter. Leuchter, gegen den in einem anderen Verfahren ermittelt wird, sprach von einer „Gaskammer- Lüge, die dem deutschen Volk aufgezwungen wurde“. Deckert – von der Bundesregierung im März diesen Jahres in der Antwort auf eine kleine Anfrage als „führender Revisionist“ bezeichnet – resümierte den Vortrag: „Mit Fred Leuchter haben wir einen Teilerfolg errungen.“ Auf die direkte Frage des Gerichts nach der Identifikation mit dem Werk von Leuchter wich Deckert jedoch aus: „In der Geschichte sterben ab und zu ein paar heilige Kühe.“ Für Staatsanwalt Hans Heiko Klein stellte das „Leuchter-Gutachten“ lediglich „Müll, unter dem Entsorgungsgesichtspunkt Sondermüll“ dar.

Verteidigt wurde der 1988 aus dem Schuldienst entlassene Deckert vom Mannheimer Rechtsanwalt Ludwig Bock. Der ehemalige Bundestagskandidat der NPD zählt zu seinen Klienten neben ehemaligen Südtirol-„Bumsern“ auch SS-Angehörige und Rechtsextreme jeder Couleur. Darunter befindet sich auch Otfried Hepp, ein ehemaliges Mitglied der rechtsterroristischen „Wehrsportgruppe Schlageter“. Bundesweit bekannt wurde Bock 1977 als Anwalt der KZ-Wärterin Hildegard Lächert im Düsseldorfer Majdanek-Prozeß.

Im Publikum tummelten sich zahlreiche SympathisantInnen Deckerts. So manches Gesicht der meist älteren Generation ließ sich in den zur Beweisaufnahme gezeigten Filmaufnahmen der Weinheimer Veranstaltung wiedererkennen. Im Gerichtssaal fand sich der Biedermann mit der Deutschen National-Zeitung ebenso wieder wie der einstige Gründer und langjährige Bundesvorsitzende der neonazistischen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP), Martin Pape. Zwei Mitglieder des obskuren „Bundes gegen Anpassung“ forderten im einvernehmlichen Gespräch mit rechten ZuschauerInnen die Freiheit für Günter Deckert. Ein Neonazi- Führer in roter Bomberjacke machte im Foyer des Landgerichts Werbung in eigener Sache und für seine „Aktionsfront Nationaler Kameraden“ (ANK) aus Heidelberg. Die Urteilsverkündung des souveränen Richters Dr. Jürgen Nußbruch am späten Freitag abend nahm das gemischte Publikum ruhig entgegen. Beim Verlassen des Gerichts bemerkte ein Deckert-Vertrauter: „Ein Jahr auf Bewährung. Das schafft der Günter nie!“