Entäußerte Leere für Berlin

■ Zwei Publikationen über Konzeption und Arbeit des Architekten Daniel Libeskind

Am Montag, dem 9.November, wurde in der Lindenstraße der Grundstein für den Bau des Jüdischen Museums gelegt. Man braucht hier nicht die zu diesem Anlaß gesprochenen Worte der Politiker wiederzugeben — aber die gedruckten Vor-Worte des Bürgermeisters Diepgen in einer Publikation zu diesem Bau sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: „Trotz finanzieller Schwierigkeiten“, schreibt Diepgen, „hat der Senat von Berlin im Oktober 1991 beschlossen, den außergewöhnlichen Entwurf Daniel Libeskinds zu verwirklichen.“

Hier wird diskret verschwiegen, daß der Beschluß nur nach zahlreichen Protesten aus dem In- und Ausland zustande kam, nachdem der Baubeginn wegen Geldmangels zunächst auf einen unbekannten Zeitpunkt verschoben werden sollte — auf Empfehlung von Herrn Diepgen. Bekanntlich aber geben Politiker niemals Geld für etwas aus, weil sie dieses Geld haben. Geld wird ausgegeben, weil man damit dem Verlangen nach dem Objekt Ausdruck verleiht, das man dafür bekommt — etliche Jäger90 zum Beispiel oder einen für 260 Millionen Mark ausgebauten Preußischen Landtag.

Daß es sich bei dem Entwurf für diesen Erweiterungsbau um eine ganz außergewöhnliche Konzeption und eine eigenwillige Interpretation des Zusammenhangs von Funktion, Architektur, Symbolik und Geschichte handelt, haben nicht nur Architekten erkannt. Man sieht es den Zeichnungen und Modellfotos unmittelbar an: vorherrschend sind die Kunstform, das Materiale, ein nicht zeitgebundenes, sich vorschneller Interpretation sperrendes Konzept. Der jahrzehntelang gültige Leitspruch in der Architektur — form follows function (Louis Sullivan) — wird mit Libeskinds „Feuerlinie“ dorthin verbannt, wo er hingehört: in die Mottenkiste der „Moderne“, der selbsternannten Avantgarde. In diesem Gebäude findet alles Platz: die auszustellenden Gegenstände ebenso wie die sie umgebende Leere — ein Topos Libeskinds, der sich als voided void, als entäußerte Leere, im gebauten Museum wiederfinden wird: geschlossen konzipierte leere Luft- und Mahnräume, in die man Einblick nehmen, die man aber nicht betreten kann.

„Der neue Erweiterungsbau ist als Emblem konzipiert, in dem das Nicht-Sichtbare sich als Leere, als das Unsichtbare manifestiert. Der Grundgedanke ist eigentlich ganz einfach: nämlich das Museum um einen leeren Raum herumzubauen, der sich durch das Gebäude zieht und von den Besuchern erlebt werden soll. Physisch ist von jüdischer Präsenz in Berlin sehr wenig übriggeblieben — nur kleine Gegenstände, Dokumente, Archivmaterialien, die eher eine Abwesenheit als eine Präsenz heraufbeschwören. Deshalb dachte ich, daß diese Leere, die sich ja mitten durch die zeitgenössische Kultur Berlins zieht, sichtbar und zugänglich gemacht werden sollte. Die Leere sollte sich als strukturelles Element an diesem Standort in der Stadt herauskristallisieren und sich in einer Architektur manifestieren, in der das Ungenannte überdauert, weil die Namen bewegungslos bleiben.“ Soweit der Architekt in seinem Text „Between the lines“.

Dieser Text findet sich wieder in dem auch optisch außerordentlich gelungenen Buch über das Berlin- beziehungsweise Jüdische Museum. Beide Museen nämlich gehören zusammen, wie es schon der Ausschreibungstext des Architekturwettbewerbs 1988 formulierte: „Ein eigenständiges Jüdisches Museum ist ohne die Geschichte Berlins kaum denkbar, wie umgekehrt ein stadthistorisches Berlin Museum ohne Berücksichtigung seiner jüdischen Bürger jeden Sinn verlieren würde.“ Kurt W.Forster klärt auf über das Verhältnis der Architektur- und Kunstgeschichte zu jüdischem Denken, zum Mahnmal Libeskinds und dessen Form im besonderen: Bannstrahl, Blitz und Klees „Schlange kurz nach dem Fluch“. Von Rolf Bothe wird die Museumskonzeption anhand des Entwurfs erläutert, beziehungsweise der Entwurf überzeugend vorgeführt als eine Möglichkeit, das künstlerische Programm logisch zu erfüllen.

Als Ergänzung zu diesem Band muß man das Buch „Counterdesign“ von Libeskind sehen: Erst hier stellt sich die künstlerische Wucht des Architekten dar, zeigt sich die konsequente Arbeit und Erarbeitung seines im Moment singulär dastehenden Architekturschaffens. Als Dekonstruktivismus ist diese Les-Art des Denkens in der architekturtheoretischen Debatte bekannt geworden, und bei Libeskind findet sie sich — neben der Arbeit der aus dem Irak stammenden Architektin Zaha Hadid — am einprägsamsten wieder. Ein Buch ist Lesen — Lesart — Text. Immer ist bei Libeskind einerseits die visuelle Seite des geschriebenen Wortes und anderer Zeichen gemeint und zu sehen (wie Laut- oder konkrete Poesie). Und immer sind andererseits die gebaut-visualisierten Ideen als erzählte Geschichte lesbar — mittels Zeichnungen und Modellen etwa, denen Texte als Schnipsel aus Adressenlisten zum Beispiel von in Berlin lebenden Juden appliziert werden. Mit seinem poetischen Verfahren gewinnt Libeskind viele Bilder für die Architektur zurück. Er verbindet dabei beispielsweise Bildmomente des russischen Konstruktivismus der zwanziger Jahre mit der unlesbar gemachten Text- und Buchstabenpoetik des in Paris lebenden Tschechen Jiri Kolar.

Das Buch „Counterdesign“ zeigt frühe Arbeiten Libeskinds, beispielsweise seine „Three Lessons in Architecture“, das „Berlin City Edge“ und eben auch seine Erweiterung des Berlin Museums. Das Buch — die erste Monographie des 1946 in Polen geborenen und seit Jahren in Berlin lebenden Architekten — ist künstlerisch gestaltet, mit Texten von und über Libeskind versehen, und es ist das erste, das in solcher Breite Auskunft gibt über die intellektuelle Les-Art dekonstruktivistischen räumlichen Disponierens in der Architektur. Martin Kieren

Daniel Libeskind. Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum / Extension to the Berlin Museum with Jewish Museum Department; Hrsg. von Kristin Feireiss. 148 Seiten mit 87 teilw. farbigen Abb., Texte: Deutsch, Englisch, Hebräisch; Verlag Ernst & Sohn, Berlin 1992, 48 DM.

Architectural Monographs No 16 Daniel Libeskind — Counterdesign. Mit Texten von Daniel Libeskind, Peter Eisenmann, Kurt W.Forster, John Hejduk und Aldo Rossi; 140 Seiten, mit sw. und Farbabb., Academy Editions, London 1991; gebunden 82 Mark, jetzt als Paperback, 57 DM.