Früchte des Zorns

Die „Toronto Blue Jays“ erreichten als erstes Baseball-Team, das nicht aus den USA kommt, die Worldseries/ Gegner sind die „Atlanta Braves“  ■ Von Andreas Lampert

Frankfurt (taz) – Als sich Candy Maldonado von den „Toronto Blue Jays“ im linken Außenfeld zum letzten Aus bereit machte und Ruben Sierras Flugball im neunten Inning lässig abfing, brannten bereits die Lunten für das Feuerwerk, das Sekunden später im Sky Dome von Toronto losfackelte. Auf dem Spielfeld erwuchs ein gigantischer Fleischberg aus grau-blauen Uniformen, während die Zuschauer auf den Rängen wild durcheinanderhüpften.

Sie waren Zeugen eines historischen Moments geworden. Zum ersten Mal in der Baseball-Geschichte konnte sich eine Mannschaft von außerhalb der Grenzen der USA für den Höhepunkt der langen Saison, die „Worldseries“, qualifizieren, die am heutigen Samstag beginnt.

Obwohl die Blue Jays seit Jahren als Spitzenteam in der American League respektiert sind, mußten sie den zweifelhaften Ruf mit sich herumtragen, stets im entscheidenden Moment alles zu vermasseln. „The Blew Aways“ nannte man spöttisch die Baseballtruppe aus Ontario, die sich nun bereits zum vierten Mal in den letzten zehn Jahren anschickte, das Endspiel der American League zu gewinnen.

Auch diesmal traute ihnen keiner den Coup zu, die berühmten „Athletics“ aus Oakland in einer „best of seven“-Serie in die Knie zu zwingen. „Cito Gaston hat sicher einen geladenen Revolver in seiner Trainingsjacke, falls es diesmal wieder nicht klappt“, witzelten die Kommentatoren im Vorfeld über Torontos Manager. Nachdem auch noch das erste Heimspiel verloren ging, schienen die Experten erneut Recht zu behalten. Doch im vierten Spiel, im kalifornischen Oakland, kam es zu einer leidenschaftlichen Trotzreaktion, die den Blue Jays so recht keiner zugetraut hätte. Obgleich nur noch zwei Innings zu spielen waren, konnten sie einen 1:6-Rückstand noch zu einem Sieg umbiegen. Und das, obwohl sie gegen Dennis Eckersley anzutreten hatten, den besten closing pitcher, den es bisher im Baseball gegeben hat.

Eckersley sollte nichts anderes tun, als den klaren Vorsprung Oaklands über die Runden zu bringen. Eine reine Routineangelegenheit für ihn. Doch auch die bisher als unschlagbar Geltenden können irren. „The Eck“ zeigte Nerven und verlor die Kontrolle über seine Würfe. Nach dem vorletzten Durchgang stand es nur noch 6:4 für Oakland. Wenig später leistete sich der sonst so sympathische und besonnene Eckersley gar einen groben Schnitzer. Er ballte die Faust und pumpte sie ordinär in Richtung gegnerische Spielerbank. Die ungewöhnliche Geste weckte Emotionen und hob die Adrenalinspiegel bei den Blue Jays. Voller Wut glichen sie im letzten Durchgang gegen den verdutzten Eckersley aus und gewannen in der Verlängerung. Ihren Zorn konservierte die Mannschaft aus Toronto bis zum sechsten Spiel, in dem sie die „A's“ zum entscheidenden vierten Sieg mit 9:2 vom Feld fegte.

Nicht minder mitreißend ging es in der Meisterschaftsserie der National League zu. Hier kam es nach 162 Saisonspielen zur Wiederholung des letztjährigen Finales zwischen den Pittsburgh Pirates und den Atlanta Braves. Als leicht favorisiert galten die Braves, da sie schon letztes Jahr die Pirates in sieben dramatischen Play-Off-Spielen bezwingen konnten. Die ersten beiden Begegnungen bestätigten diese Einschätzung. Pittsburgh spielte völlig verkrampft, und das Herz ihrer Schlagformation, Andy van Slyke und Barry Bonds, trat zum jeweiligen Duell gegen Atlantas-Werfer an, als hätten sie nicht mehr als Mikadostäbchen zwischen den Händen. 2:0 nach zwei Spielen; es sah nach einem Spaziergang für Atlanta aus.

Doch als im dritten Spiel Pittsburgh seine Geheimwaffe, den „Knuckleball“-Pitcher Tim Wakefield zum Vorschein brachte, kippte die Überlegenheit der Südstaatler. Der knuckleball ist ein hinterlistiger Wurf, der unverschämt langsam und völlig unberechenbar durch die Gegend trudelt und erst im letzten Moment in die strikezone tanzt. Atlantas Spieler waren so verunsichert, daß sich die Frustrationen am Schlag, die ihnen Wakefield beibrachte, zu Fehlern in der Verteidigung wandelten. „Die Braves spielen ja wie eine Highschool-Mannschaft“, vermeldeten Augenzeugen, nachdem die Pirates zum 3:3 nach Spielen gleichgezogen hatten.

Das siebte und entscheidende Spiel wurde zu einer unglaublich spannenden und intensiven Auseinandersetzung zweier ausgeglichener Mannschaften. Pittsburghs Werfer Doug Drabek, ein wie ein Seeräuber aussehender Bursche, gab eine exzellente Vorstellung seines Könnens ab. Nachdem seine Mannschaft früh mit 2:0 in Führung gegangen war, servierte er mutig, nervenstark und präzise seine Würfe und brachte damit Atlantas Spieler zur Verzweiflung. Erst nachdem sein Arm nach 120 Würfen ermüdete und er im letzten Inning ausgewechselt werden mußte, bekamen die Braves ihre Chance. In einem Herzattacken- Finish, welches seinesgleichen suchte, gelang es ihnen noch mit 3:2 an Pittsburgh vorbeizuziehen und sich damit für die Worldseries zu qualifizieren. Andreas Lampert

Die Worldseries werden vom Sportkanal live übertragen. Termine: Sa., So., Di., Mi., Do., Sa., So., jeweils nachts 1.30 Uhr.