Der kurze Arm der Justiz gegen Rechts

Der Paragraph 129a findet gegen Rechtsradikale so gut wie keine Anwendung/ Die Bundesanwaltschaft mag keinen „Rechtsterrorismus“ entdecken, obwohl die Vernetzung von rechtsradikalen Gruppen voranschreitet  ■ Von Bernd Siegler

Eckhart Werthebach, oberster Verfassungsschützer der Republik, schlägt Alarm: nach der wochenlangen Welle rassistischer Ausschreitungen in Deutschland sieht er „erste Anzeichen für terroristische Ansätze“ in der rechtsextremen Szene. Kurz darauf schreitet die Erfurter Staatsanwaltschaft zur Tat und nimmt den Chef der „Deutsch Nationalen Partei“, den 29jährigen Thomas Dienel, unter anderem wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129) in Untersuchungshaft. Dienel, der sich selbst als neuer Führer der rechten Szene in Ostdeutschland sieht, nimmt damit eine herausragende Stellung ein. Er ist der einzige deutsche Rechtsextremist, der derzeit wegen §129 beziehungsweise §129a (Bildung, Mitgliedschaft, Werbung und Unterstützung für eine terroristische Vereinigung) in Haft sitzt.

Lediglich drei Ermittlungsverfahren gegen eine rechtsterroristische Vereinigung sind derzeit im Gange — teilweise schon seit fast einem Jahr ohne Ergebnis. Im Mittelpunkt steht dabei die offen militante „Nationalistische Front“ mit Sitz in Detmold-Pivitsheide. Gegen ihren Stützpunkt „Gau Nord“ in Braunschweig ermittelte zunächst die Bundesanwaltschaft (BAW), jetzt die Oberstaatsanwaltschaft Celle. Gegen NF- Mitglieder im Raum Herford und NF-Sympathisanten in Königs Wusterhausen ermittelt die BAW, weil diese maßgeblich an den Aktivitäten des Ku-Klux-Klan (KKK) in Deutschland beteiligt sind. Bei Hausdurchsuchungen in 21 Objekten in ganz Deutschland im Mai dieses Jahres hat man zwar überall Unterlagen gefunden, die eine Zugehörigkeit zum KKK belegen. Doch geschehen ist seitdem nichts.

Schon seit Anfang dieses Jahres ermittelt die BAW gegen führende Funktionäre der NF wegen Gründung eines „Nationalen Einsatzkommandos“. Nach dem Vorbild der Waffen-SS wollte man für ein „völkisches Deutschland“ sowie „gegen Ausländerverbrecherbanden und Linke“ kämpfen, so der Aufruf vom September 1991. Auch hier wurde bei einer Vielzahl von Hausdurchsuchungen belastendes Material gefunden. Schon Ende März 1992 konnte jedoch die NF-Organisationsleitung Entwarnung geben: der Kriminalisierungsversuch sei „gescheitert“.

Inzwischen konnte sich die NF gar in aller Ruhe umorientieren. Sie schmiß ihren ehemaligen Vorsitzenden Meinolf Schönborn aus der Partei und verkündet in der internen Postille Aufbruch, daß das NEK „reine Privatsache Schönborns“ gewesen sei. Die NF sollte als Organisation nicht durch das Ermittlungsverfahren beeinträchtigt werden, den Parteisitz will man nach Berlin verlegen. In Zukunft will die NF „verstärkt Schulungsarbeit“ betreiben, um eine „schlagkräftige Kadertruppe, die nichts mehr zu erschüttern vermag“, zu werden. Zur Schlagkraft behilflich ist der NF-Truppe im Raum Rhein-Sieg der „Deutsche Hochleistungs Kampfkunstverband“. Die Auswahl der Opfer übernehmen ebenfalls die Bonner NF-Kameraden, die maßgeblich an einer örtlichen „Anti-Antifa-Kampagne“ beteiligt sind.

Trotz dieser Entwicklung läßt Generalbundesanwalt von Stahl keine Gelegenheit aus, zu betonen, daß es zur Zeit keinen Rechtsterrorismus gebe. Um dies zu untermauern, fügte er jüngst hinzu, daß schließlich die seit 1977 festgestellten rechtsterroristischen Gruppierungen zerschlagen und viele ihrer Mitglieder teilweise zu hohen — und darunter auch lebenslangen — Haftstrafen verurteilt worden wären. Stahls Versuch, die Öffentlichkeit zu beruhigen, ist verständlich, geht aber an den Tatsachen vorbei.

Der Wehrsportgruppen-Führer Karl-Heinz Hoffmann und Manfred Roeder, der Chef der „Deutschen Aktionsgruppe“, die Ende der 70er mehrere Ausländerwohnheime überfallen und in Brand gesteckt hatten, sind seit langem wieder auf freiem Fuß. Das letzte Strafdrittel wurde ihnen erlassen, obwohl zum Beispiel Roeder aus dem Gefängnis heraus seine nationalsozialistische Propaganda weiterbetrieb. In der ganzen Geschichte des Umgangs mit Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik hat es bislang nur zwei lebenslange Freiheitsstrafen gegeben: im Falle der Roeder-Mittäter Sybille Vorderbrügge und Raimund Hörnle wegen Mordes. Zudem wurde bis auf Roeders Truppe keine einzige rechte Gruppe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung verurteilt — weder die Wehrsportgruppe Hoffmann, das „Kommando Omega“ oder Michael Kühnens „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ in den 70er und 80er Jahren noch heute die offen mit der NSDAP und sich in der SA-Tradition verstehenden Kader von Kühnens „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“. So bemüht die Richter deutscher Oberlandesgerichte sind, linke Gruppen aller Art zu terroristischen Vereinigungen hochzustilisieren, so phantasievoll argumentieren sie, um den §129a nicht auf Attentäter aus neonazistischen Organisationen und militante Rechtsextremisten anwenden zu müssen. Obwohl der §129a wie kein anderer dazu geeignet ist, Organisationsstrukturen aufzuspüren, durch abstruse Konstruktionen und durch eine exzessive Ausweitung des Begriffs der Werbung und Unterstützung den Kreis der Betroffenen willkürlich auszuweiten, ist er kein Paragraph, der gegen rechte Gruppen verwandt wird. Müßte man doch dann eine nationale und internationale Vernetzung der rechten Gruppen zumindest in Erwägung ziehen.

Die Zahlen der letzten beiden Jahre sprechen für sich. Im Bereich des sogenannten Linksterrorismus wurden 297 Verfahren nach §129a eingeleitet, davon allein 157 Verfahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung und 50 wegen Unterstützung. Bis auf ein Verfahren wurden zwar alle wieder eingestellt, doch gegen insgeamt 41 Beschuldigte wurde Untersuchungshaft vollzogen.

Die blieb den sogenannten Rechtsterroristen gänzlich erspart. Ganze sechs Verfahren nach §129a gegen elf Beschuldigte wurden eingeleitet und alle wieder eingestellt. Gegen keinen einzigen Rechtsextremisten wurde wegen Werbens für eine derartige Vereinigung ermittelt, obwohl schon Ende 1991 in vielen einschlägigen Zeitschriften Hoyerswerda als Erfolg gefeiert worden war.

Nach Rostock konnte auch Roman Dannenberg aus Hoyerswerda, Chef der dortigen „Deutschen Alternative“ verkünden, daß der Pogrom „nur der Anfang“ gewesen sei. Während die brandenburgische Landesregierung inzwischen ein Verbot der DA erwägt, hört man aus Karlsruhe zur DA, die in ihrer Mitgliederliste Adolf Hitler, Ernst Röhm, Rudolf Heß und Joseph Goebbels als Traditionsmitglieder führt, nichts.