■ Rechtsextreme Gruppen und Organisationen bilden zunehmend Kampfsportgruppen und Bürgerwehren — in Westdeutschland ebenso wie im Osten der Republik. Die Fäden ziehen auch hier die Westler. Angriffsziel sind Flüchtlinge und linke Gruppen. Polizei und Justiz tun sich schwer mit den Ermittlungen.
: Rechtsradikale rüsten auf

Irgendwie müssen wir uns ja gegen die Russen- und Türkenbanden und gegen die Asylantenheime als Zentren der Kriminalität wehren.“ Thomas Dienel, Vorsitzender der nach eigenen Angaben 500 Mann starken neonazistischen „Deutsch Nationalen Partei“ in Weimar, plädiert für die Aufstellung von Bürgerwehren und ist froh, daß es mittlerweile „Kameraden“ gibt, die auf „Häuserkämpfe und Straßenkämpfe spezialisiert“ sind.

Allwöchentlich trainieren sie auf ehemaligen NVA- oder GUS- Truppenübungsplätzen in Erfurt, Colbitz-Letzlinger Heide und anderswo, wie man mit Nebelgranaten linke Zentren oder Flüchtlingswohnheime angreift und dann den flüchtenden „Chaoten und Asylanten“ mit „Nahkampfwaffen“ den Rest gibt. Als Reaktion auf einen entsprechenden Bericht von Spiegel TV startete zwar das Innenministerium von Thüringen eine Razzia und nahm fünf Personen fest. Der Drahtzieher Thomas Dienel blieb jedoch auf freiem Fuß.

Auch in Westdeutschland formieren sich schlagkräftige rechtsextreme Truppen. So wirbt Jürgen Schützinger, baden-württembergischer Landesvorsitzender der rechtsextremen „Deutschen Liga für Volk und Heimat“ (DL), in seinem Heimatort Villingen-Schwenningen für eine Bürgerwehr. In der DL-Postille Blitz-Schlag sucht er deutsche Staatsangehörige, die „gesund und sportlich“ sind und mit nächtlichen Streifengängen für die „Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ sorgen sollen. Für Helmut Rannacher, Vizepräsident des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz ein Alarmsignal. Das Thema Bürgerwehr werde „erstmals nicht nur vom gewaltbereiten Spektrum, sondern von einer politischen Partei aufgegriffen“.

In der jüngsten Ausgabe ihrer Parteizeitung Deutsche Rundschau wirbt die DL für die „Deutsche Kampfsport-Initiative“. Dieser Zusammenschluß „patriotisch denkender Kampfsportler“ mit Kontaktadresse in Solingen hat sich zum Ziel gesetzt, „im nationalen Lager Kampfsport zu verbreiten“. Das ist kein Einzelfall. Im Raum Bonn stellt sich ein „Deutscher Hochleistungskampfkunstverband“ (DHKKV) neonazistischen Organisationen als Ordnerdienst zur Verfügung.

Während die einen das körperliche Training übernehmen, suchen andere derweil die späteren Einsatzorte aus. Unter dem Stichwort „Anti-Antifa“ startete die Hamburger „Nationale Liste“ (NL) um Christian Worch im Sommer eine Kampagne. Die gesamte August- Ausgabe der NL-Postille Index befaßt sich mit der Beschreibung von „linken Objekten und Institutionen“ in Hamburg. Das Beispiel macht Schule. Im internen Mitteilungsblatt der Kaderorganisation „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, wird für September die erste Ausgabe des „Anti-Antifa-Magazins EINBLICK“ angekündigt. Auch in Bonn kündigte eine Gruppe an, über „gewaltbereite Autonome, bürgerliche Antifaschisten oder Gegner überhaupt künftig alle bekannten Daten zu speichern“ und „uns für die Repressalien der letzten Jahre zu revanchieren“.

Während die Arbeitsteilung in der Neonaziszene funktioniert und sich rechtsextreme Parteien und militante Organisationen aufrüsten, sieht Generalbundesanwalt Alexander von Stahl „keine Gefahr für den Staat“. Für die Mehrzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten konstatiert er eine „lokale, spontane und nicht selten mit erheblichem Alkoholkonsum“ verbundene Motivation. Dementsprechend schleppen sich auch Ermittlungen gegen die „Nationalistische Front“ (NF) und Ableger des „Ku-Klux-Klans“ (KKK) wegen des Verdachts auf Gründung einer terroristischen Vereinigung nach §129a seit neun Monaten hin.

Öffentlichkeitswirksam wurde die Einleitung der Ermittlungen nach den Pogromen in Hoyerswerda und anderen Städten Ende letzten Jahres als großer Erfolg verkauft. Bei Durchsuchungen von 21 Objekten in fünf Bundesländern fand man zwar „bei allen Beschuldigten Unterlagen, die eine Zugehörigkeit zum KKK belegen“, doch seitdem ist Funkstille. Ebenso im Fall der NF, deren damalige Führer im Verdacht stehen, den Tatbestand des §129a mit der Gründung eines „Nationalen Einsatzkommandos“ (NEK) für den „Kampf gegen Ausländerverbrecherbanden und Linke“ erfüllt zu haben. Schon im Januar dieses Jahres konnte die „Hausleitung“ des NF-Zentrums in Detmold-Pivitsheide nach insgesamt 14 Hausdurchsuchungen bereits wieder Entwarnung geben. Unterdessen laufen die Aktivitäten der NF ungestört weiter. Zuletzt veranstaltete man vom 18. bis 20. September im Raum Hannover eine bundesweite Schulung mit dem Ziel, „eine eingespielte, ausgerichtete und schlagkräftige Kadertruppe“ zu werden.

Nach dem Pogrom in Rostock tauchten die gleichen Ermittlungsverfahren wieder in der Presse auf, um starke Aktivitäten des Staates gegen die rechtsextreme Szene zu suggerieren. Ein Eindruck, der täuscht. So wurden von insgesamt sechs in den letzten beiden Jahren eingeleiteten 129a-Verfahren gegen elf Beschuldigte aus dem rechtsterroristischen Bereich alle wieder eingestellt.

Auch das vom Bundesinnenministerium geplante „Sofortprogramm“, das eine Offensive gegen die Gewalt von rechts einleiten sollte, enthält nur alte Hüte. Man wolle einen „Sondermeldedienst fremdenfeindlicher Straftaten“ einrichten, hieß es darin. Den hätte man schon früher haben können. Kurz nach den Vorfällen von Hoyerswerda im September letzten Jahres hatte das BKA aufgrund der lückenhaften Erkenntnislage zu den Tätern und ihren Motiven die Einrichtung eines „Sondermeldedienstes“ angeregt. Zum Jahreswechsel lehnte die Mehrheit der Bundesländer in der Innenministerkonferenz ein solches automatisiertes Meldeverfahren jedoch ab. Bernd Siegler