Deutschlands teuerste Wasserleitung eröffnet

■ Der Bau des 171 Kilometer langen Kanals von Bamberg nach Kehlheim hat im Altmühltal ein ökologisches Desaster hinterlassen. Auch die Wirtschaftlichkeit des Prestigebauwerks ist umstritten...

Deutschlands teuerste Wasserleitung eröffnet Der Bau des 171 Kilometer langen Kanals von Bamberg nach Kehlheim hat im Altmühltal ein ökologisches Desaster hinterlassen. Auch die Wirtschaftlichkeit des Prestigebauwerks ist umstritten. Seine Auslastung ist fraglich, die Verbindung von der Nordsee zum Schwarzen Meer ist auf dem längeren Seeweg trotzdem schneller und billiger.

Wenn heute um neun Uhr die Bamberger Symphoniker in der Nürnberger Meistersingerhalle zum Festakt aufspielen, wird Bayerns Ministerpräsident Max Streibl von der „Verwirklichung eines alten europäischen Traums“ schwärmen. Sein Wirtschaftsminister August Lang wird tönen, daß die bayerische Staatsregierung „in der Debatte um den Standort Deutschland einen weiteren Meilenstein“ gesetzt hat, und der Stargast der morgendlichen Feierstunde, Bundespräsident Richard von Weizsäcker, wird von nichts geringerem als dem „Leitgedanken der Völkerverständigung“ reden. Grund des Stelldicheins der deutschen Politprominenz am Morgen in Nürnberg und am Nachmittag in der 2.500-Seelen-Gemeinde Berching in der Oberpfalz ist die Eröffnung des Rhein-Main-Donau-Kanals. Nach 30jähriger Bauzeit hat damit die Rhein-Main-Donau-AG (RMD-AG) die Verbindung zwischen Rhein und Donau hergestellt und damit die Möglichkeit, 3.500 Kilometer von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer zu tuckern, ohne an Land gehen zu müssen.

4,8 Milliarden Mark hat man sich die 171 Kilometer lange Kanalstrecke, die zwischen Bamberg und Kehlheim den Main mit der Donau verbindet, kosten lassen. Zusätzliche zwei Milliarden wurden für den Ausbau des Mains aufgebracht. Noch einmal 1,3 Milliarden wird die ab 1996 anvisierte Kanalisierung der Donau zwischen Straubing und Vilshofen schlucken. Summa summarum also über 8 Milliarden Mark für ein Bauwerk, das Ökonomen und Ökologen auf die Barrikaden bringt — auch heute noch.

Mit der Idee einer Verbindung zwischen Rhein und Donau ist nicht nur vor 1.200 Jahren schon Karl der Große gescheitert, sondern 1850 auch Bayernkönig Ludwig I. Bayerns ehemaligem Landesfürsten Franz Josef Strauß sollte dies nicht passieren. Mit aller Macht nutzte er den Bruch der sozialliberalen Koalition 1982, um die Vollendung des Kanals in der christlich-liberalen Koalitionsvereinbarung fest zu verankern. Die FDP fiel in der Kanalfrage um, der Bundestag beschloß die Vollendung des Projekts. Seitdem wurde fieberhaft an der 55 Meter breiten und vier Meter tiefen Rinne gebaut.

Für Bayerns Wirtschaftsminister Lang ist die Wasserstraße daher Ergebnis des „politischen Durchhaltewillens der bayerischen Staatsregierung“. In der Tat hatte der Haushaltsausschuß des Bundestags auf Drängen des damaligen SPD-Verkehrsministers Volker Hauff beschlossen, mit dem Freistaat Bayern über ein „qualifiziertes Ende“ des Kanalbaus zu verhandeln. Hauff hatte angesichts knapper Finanzen den Kanal als das „dümmste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel“ bezeichnet. Die Wasserstraße bringe „verkehrlich nur einen sehr geringen Nutzen“, binde Mittel „in Milliardenhöhe über das Jahr 2000 hinaus“, führe zu „gravierenden Eingriffen in Natur und Landschaft“ und erhöhe die Verluste der Bundesbahn.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich an diesen Argumenten nichts geändert. Insbesondere die Wirtschaftlichkeit des Kanals ist immer noch heiß umstritten. Bereits 1966, als die Kassen noch voll waren, kam ausgerechnet der Oberste Bayerische Rechnungshof zu dem Ergebnis, daß „ein wirtschaftliches Bedürfnis für den Weiterbau der Schiffahrtsstraße über Nürnberg hinaus nicht feststellbar“ sei. Hatte 1969 das Münchner IFO-Institut für Wirtschaftsforschung noch ein jährliches Frachtaufkommen von 14 Millionen Tonnen vorausgesagt, schraubte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) diese Prognose schon 1976 auf 3,7 Millionen Tonnen zurück. Hauffs Amtsvorgänger Kurt Gscheidle (SPD) hatte daraufhin behauptet, daß sich der Kanal „am besten als Badeanstalt eignen“ würde. Heute rechnen selbst Prognosen der Bundesregierung nur mit einem durchschnittlichen Jahresumschlag von sieben Millionen Tonnen. Bayerns Wirtschaftsminister Lang fegt jedoch alle Gutachten beiseite: „Ich kann mir 8 bis 10 Millionen Tonnen vorstellen.“

Ausgelegt ist der Kanal für eine Jahreskapazität von 14 Millionen Tonnen. „Das wird er niemals erreichen“, ist sich Eugen Wirth, Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Erlangen, sicher. Seine Berechnungen haben ergeben, daß Transporte per Schiff von der Nordsee zum Schwarzen Meer über die Route Ärmelkanal, Gibraltar und Dardanellen viermal schneller und zehnmal billiger sind als über den Kanal. Kein Wunder, schließlich müssen die Europakähne allein in Bayern auf ihrem Weg von Passau nach Aschaffenburg 49 Schleusen überwinden.

Je mehr die Wirtschaftlichkeit des Kanals umstritten war, stellten die Kanalbefürworter das Argument der Wasserüberleitung aus dem Lech- Donau-Gebiet in das wasserarme mittelfränkische Gebiet in den Vordergrund. Kritiker meinen, eine solche Wasserleitung hätte man billiger bekommen können. Eugen Wirth bezeichnet unter Abwägung aller Argumente den Kanal als „großes Prestigewerk, das die Macht des Staates sehr klar und deutlich demonstrieren“ solle.

Trotz des zweifelhaften Sinns des Jahrtausendprojekts und der gravierenden ökologischen Folgen hielt sich der Widerstand vor Ort in Grenzen. Naturschützer, die die unwiderrufliche Zerstörung ganzer Tallandschaften anprangerten, sammelten zwar 800.000 Unterschriften gegen das Projekt, das war aber auch schon alles. Durch opulente Ausgleichszahlungen und großzügige Zuschüsse für die Kommunen hat es die RMD-AG verstanden, sich die Willfährigkeit der Gemeinden zu sichern.

Doch bei der von der RMD-AG propagierten Kanalisierung der Donau zwischen Straubing und Vilshofen soll das anders werden. Gegen das Projekt, das die völlige Zerstörung der ökologisch wertvollen Auen zwischen Straubing und Vilshofen bedeuten würde, bläst der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschlands (BUND) zum Generalangriff. Für die Kanalbauer ist der Ausbau ein Muß, damit die niederbayerische Donau auch bei häufigem Niedrigwasser von schweren Lastkähnen befahren werden kann. BUND-Chef Hubert Weinzierl prophezeite der bayerischen Staatsregierung in dieser Frage jedoch ein „deutlicheres Debakel als in Wackersdorf“. Bernd Siegler