Autofahrer — nur eine kleine radikale Minderheit?

Auf dem Deutschen Umwelttag diskutieren 300 VerkehrswissenschaftlerInnen die Verkehrsentwicklung der Zukunft  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Frankfurt am Main (taz) — Am Frankfurter Hauptbahnhof strömen wie an jedem Werktagmorgen die Pendler aus den S-Bahnen und Vorortzügen. Seidenschlips, Kostüm und Kashmirpullover beherrschen die Bahnhofs-Szenerie. Wenige Kilometer entfernt in der Hamburger Straße biegen nacheinander zehn Autos um die Ecke, Besetzung je ein(e) FahrerIn.

„Mobilität in der Stadt“ lautete das Thema eines wissenschaftlichen Kongresses zum Abschluß des Deutschen Umwelttages in Frankfurt. Um es vorwegzunehmen, es war ein Tribunal über den Autoverkehr und die Gesellschaft, die ihn möglich macht. Dabei gingen die nüchternen, technisch denkenden Verkehrsplaner gar nicht soweit, wie der Münchener Philosoph Peter Sloterdijk, der in seinem Abendvortrag behauptet: „Wer zweifelt daran, daß die Androhung des Automobilentzugs einen Bürgerkriegsgrund darstellt?“

Sloterdijk, der eine Stunde lang geistreiche Pointen ausstreute, vom Pferdewagen bei Platon bis zum Auto als dem „kinetischen Allerheiligsten der Moderne“, brachte den Kampf in der Verkehrspolitik auf den Punkt. Der Bayreuther Verkehrswissenschaftler Rolf Monheim beobachtet bei seinen Studien: „Die Autofahrer sind eine kleine radikale Minderheit.“ Befragungen in der Münchener Innenstadt hätten deutlich ergeben, daß Autofahrer nicht etwa dann das Auto benutzten, wenn sie es brauchten. „Die mit dem Auto kommen, kommen immer mit dem Auto, während die große Mehrheit der Münchener angesichts des Innenstadtverkehrs sagt, ich bin doch nicht blöd, und komm' mit dem Auto.“

Ob es wirklich nur um eine kleine radikale Minderheit geht, da war sich die Verkehrswissenschaftlerin Meike Spitzner nicht so sicher. Die Forscherin am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie wartete mit interessanten Zahlen auf. 1989 besaßen 72 Prozent aller Männer ein Auto, aber nur 37 Prozent aller Frauen. 100 Männer der Altersstufe der 44- bis 54jährigen verfügten über 107 Blechkisten.

Spitzner forderte zugunsten von Fußgängern, Radfahrern und Benutzern öffentlicher Verkehrsmittel, „den Autoverkehr massiv und offensiv zu deprivilegieren. Der Anwohnerparkplatz muß mindestens so weit weg sein wie die Haltestelle.“ Bislang geht der Zug noch eher in die andere Richtung. Weil der Autoverkehr fließen soll, mußten nicht nur die Fußgänger, sondern auch der öffentliche Nahverkehr — die U-Bahn — unter die Erde, mit der Folge einer drastischen Verteuerung. Ein Kilometer U-Bahn sei 40mal so teuer wie ein Kilometer Straßenbahn. „Immer noch gehen neun von zehn Mark in das Autoverkehrssystem, wenn man alles zusammenrechnet“, schimpft Heiner Monheim, Verkehrsplaner im Düsseldorfer Verkehrsministerium. Und nicht nur das: „Wir perfektionieren das Verkehrssystem für die Leute, die weit weg fahren wollen.“ 80 Prozent des Geldes gehe in den Fernverkehr der Geschäftsleute und nicht in die nahen Wege des Alltags.

Der Autoverkehr für sich selbst sei immer sicherer geworden, die Autos immer schwerer. Radfahrern und Fußgängern nütze das nichts. Jede Minute, die ein(e) FußgängerIn oder ein(e) RadfahrerIn auf der Straße verbringe, sei „sehr viel unsicherer geworden“, sagte Monheim. Sloterdijk zählte noch anders. In der alten Bundesrepublik würden jährlich rund 700 Menschen Gewalttaten zum Opfer fallen, 10.000 Menschen dagegen dem Straßenverkehr. „Eine Zivilisation, die sich nicht nur an der Oberfläche mit der Abschaffung von Menschenopfern identifiziert, macht sich verdächtig, wenn sie 10.000 Verkehrstote einfach so hinnimmt, nicht wahr?“