Häuser, die Häuser sein wollen

■ Die Kunst liegt im Detail: Die Architekturgalerie Aedes zeigt Arbeiten des Basler Büros Diener & Diener

Manchmal vergißt man ja, daß es die Schweiz gibt. Das Land ist so klein und so versteckt — obwohl mittendrin —, daß man flugs hindurchfahren kann, ohne irgend etwas Bedeutsames mitzubekommen. Nun ja, da gibt es die Berge, das Tessin, das großartige Bergell, auf dessen Adlerhorst Nietzsche hockte und nach Italien und weiter südwärts sich sehnsüchtelte. Die Vertreter der Schweiz haben es jedenfalls nicht leicht, in Europas Häuser zur Kenntnis genommen zu werden, geschweige denn heimisch zu werden — in allen Branchen. Künstler, Architekten?

Schweiz? — Man kennt vielleicht gerade noch Ferdinand Hodler, Max Bill und Charles Edouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, Swatch-Uhren, Genf als Treffpunkt vieler Dunkelmänner und die Weigerung des Durchschnittsschweizers, im Europäischen Haus eine Etage zu beziehen — man wohnt dort lieber etwas außerhalb und eigen in einem Reihenhäuschen. Dies Schweizerhaus macht auch bei uns in diversen Wohnhaus-Katalogen von sich reden, Exemplare davon stehen etwa in der Landschaft zwischen Kiel und Norditalien. Seit sich die Umwandlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat vollzog (1848), hat es dort immer wieder den Rekurs auf dieses Haus- und Wohnmodell gegeben, zumal in Krisenzeiten, als man meinte, ein eigenständiges Nationalgefühl ausdrücken zu müssen und dies in den Bauerndörfern und Kleinstädten zu finden glaubte. Zuletzt geschah das während der vierziger Jahre, als in den meisten europäischen Ländern der Hang zum verhinderten Neoklassizismus, zum Monumentalen und zum Pathos-Kitsch sich durchsetzte. Aber immer auch hat es Suchende gegeben, Künstler und Architekten, die über den Wiesenrand hinauszuschauen sich wagten und dort auch Neues sahen und entsprechend verwandelnd anwendeten.

Für die Tradition dieser Neuerer in der Architektur mögen diese Namen stehen: Hans Bernoulli, Hannes Meyer (Bauhausdirektor 1927-30), Hans Schmidt, Paul Artaria, Karl Moser, Alfred Roth, Max Ernst Haefeli, Max Bill, Werner M.Moser, Emil Roth, Ernst Gisel, Atelier 5, Alfons Barth, Hans Zaugg, Luigi Snozzi, Bruno Reichlin, Fabio Reinhart, Jaques Herzog und Pierre de Meuron; die Liste ist unvollständig. Immerhin wurden auch in der Schweiz, in La Sarraz 1928 nämlich, die »Congrés Internationaux d‘Architecture Moderne« (CIAM), die berühmt-berüchtigten »Kongresse des Neuen Baues« begründet, von denen der eine, der auf dem Dampfer »Patris 2«, mit der »Charta von Athen« endete (1933) — die wohl folgenreichste Erklärung im Städtebau der neuen Zeit überhaupt.

Die Schweizer Architektur also. Als letzte wirklich Aufmerksamkeit erheischende Bewegung sprach man in den siebziger und achtziger Jahren von der »Tessiner Schule«, dieser Haltung einiger im Tessin arbeitender Architekten (Snozzi, Reichlin, Reinhat, Botta), die gängigen Konzepten eine Absage erteilten und es verstanden, die Regulative des (internationalen) Neuen Bauens, des (italienischen) Rationalismus und des Regionalismus miteinander zu versöhnen. In den letzten Jahren vernimmt man wieder einige Namen von Schweizer Architekten, denen man Aufmerksamkeit schenken kann und sollte, da sie es verstehen — mit einfachen Mitteln der Baukunst—, Irritationen auszulösen bei den voreingenommenen Betrachtern ebenso wie bei den unvoreingenommenen, beim Laien wie beim Profi. Wie beim Blick auf die schlichteste aller Uhren, die Normaluhr in Bahnhöfen, die uns neben der Zeit auch ihre Schönheit preisgibt, schaut man da beizeiten auf Gebäude, die nichts mehr sind als eben Gebäude — die vor allem nicht mehr sein wollen. »Aha, ein Haus.«

Wir ergänzen die oben begonnene Liste daher um den Büronamen »Diener & Diener Architekten Basel« und ergreifen die Gelegenheit, einen Querschnitt durch ihr Werk und ihre Arbeiten in der Architekturgalerie Aedes in den Charlottenburger S- Bahnhöfen am Savignyplatz zu betrachten.

Begriff und Entwurf

Der Großteil der Projekte des Büros wurde für Basel entworfen, für diese alte, traditionsreiche Stadt im Dreiländereck am Rhein. Sie liegen entweder in der Altstadt selbst, in den Vorstädten des 19. Jahrhunderts oder an den Straßen der Peripherie. Und allen Projekten haftet irgendwie der Geist von geschmackvoll abgestellten edlen Containern an: Die Baukörper haben die erhabene Ruhe und statische Gelassenheit, die sie erst einmal nicht aufdringlich, sondern selbstverständlich erscheinen lassen. Sie sind allerdings auch kalt und glatt. Aber erst das mag uns hinsehen lassen — genauer als sonst und vor allem fragender. Denn hinter der Schlichtheit verbirgt sich auch das Alter der Gebäude: Sie haben oft das Quantum an Zeitlosigkeit, das viele gute Architektur als Eindruck hinterläßt. Sie biedern sich der Umgebung nicht an, sind in ihrer Artikulation selbständig und sind im Erscheinungsbild, in ihrer Gestaltung immer aus ihrer Funktion heraus erklärbar.

Dieser Haltung liegt aber kein platter Funktionalismus zugrunde, jedenfalls nicht im Sinne einer reinen Zweckerfüllung der jeweiligen Bauaufgabe. Ihre städtebauliche Einbindung in den jeweiligen Kontext behaupten diese Gebäude immer mit einer Neuinterpretation des Ortes, an dem sie stehen. Dabei ist diese Neuinterpretation nie vom unbedingten Suchwillen nach neuen, vorlauten Gestaltungsmerkmalen gekennzeichnet, sondern eher zu finden in den Anleihen, die diese Architekten bei allen Errungenschaften der modernen Architektur im besten Sinne machen: Lochfassade, große Fensteröffnungen, schmale Fensterprofile, schlichte Kubaturen, horizontale oder vertikale Gliederungselemente, Vorzeigen der Konstruktionsmerkmale, materialgerechte Ausführung.

Und wieder: diese Anleihen sind keine schlichten Übernahmen schon anderswo vorgeführter Bauweisen, -techniken und Gestaltungsmerkmale; es ist die Besinnung auf die dem Architekten immer schon gebotenen einfachen Möglichkeiten des Bauens. Es wird nichts gesucht, sondern alles wird gefunden, da es schon vorhanden ist. Man kann Diener & Diener fast als Forschungsteam bezeichnen, das in immer weiterführender Arbeit diese architektonischen Selbstverständlichkeiten aus der täglich größer werdenden optischen Tabula rasa herauszuschälen versucht.

Natürlich wird dabei manchmal ein hoher Abstraktionsgrad erreicht, der beim gewöhnlichen Beschauer Zweifel am Gestaltungswillen der Gruppe aufkommen lassen kann — aber, so Wilfried Wang in seinem Katalogbeitrag: »Diese Abstraktion in der Architektur hat es erlaubt, das Dilemma der formalen Erfindung zu überwinden.«

Mit diesem Programm verschwindet aber das Hauptmerkmal für eine Architektur, die nur zur Kenntnis genommen werden will, die nur auf sich selbst zeigt, ohne die Ansprüche, die an sie gestellt werden, einzulösen: die scheinbare Originalität, die durch formale Erfindung hergestellt sein will. Und auch die Handschrift des Architekten, des Urhebers und Autors, ist schwer wiederzuerkennen in dieser Haltung, die nur als gebautes Ergebnis in Erscheinung tritt. Diener & Diener versuchen zunächst, die architektonische Lösung herauszuarbeiten und sie mittels einer inneren und äußeren Logik zu legitimieren, um sich dann in der städtebaulichen wie architektonischen Ausformulierung fast vollständig zurückzunehmen. Sie dienen ausschließlich ihrer Idee, die zur Lösung des architektonischen Problems geführt hat (Konstruktion, Disposition des Grundrisses, Anordnung der Fenster), indem sie die Gestalt nur noch manipulativ verändern müssen, die sich im Arbeitsprozeß längst ergeben hat. Die Architektur verweist in diesem Zusammenhang nur noch auf die vorher getätigten Gedankengänge und Vorgehensweisen. Sie ist deren bestes Resultat.

Kein Zufall im Detail

Die oben beschriebene Haltung schließt aber keineswegs aus, daß im Büro Diener & Diener mit Akribie, Besessenheit und Lust entworfen wird. Gerade eine angestrebte Bescheidenheit wird darauf achten müssen, kein Detail dem Zufall zu überlassen. Seien es Fensterprofile, Dachabschlüsse, Treppengeländer, Handläufe, Türklinken und Verriegelungsmechanismen oder spezielle Oberlichter: Alles wird bei Dieners in das System einbezogen, innerhalb dessen alle Details dem letzten Zweck dienen, optisch und funktional.

Die Ausstellung zeigt diesen Sachverhalt mehr als einmal. Man wird ja in den wenigen Architektur- Ausstellungen und vor allem in den Architektur-Zeitschriften häufig genug mit Zeichnungen konfrontiert, denen man die Absicht ansieht, eines Tages in einem Museum hängen zu wollen. Nicht wenige Architekten fertigen nach Beendigung eines Entwurfs extravagante Zeichnungen und Schaubilder an, um sie bei allen Gelegenheiten als »Architekturzeichnungen« auszugeben. Das ist mitunter verlogen und letztlich Kitsch.

Die Projekte von Diener & Diener repräsentieren sich anders. Den ausgestellten Zeichnungen ist die Herkunft aus dem direkten Arbeits- und Denkprozeß anzusehen: schlichte, aber mit größter Präzision und sauberstem Bleistiftstrich gezeichnete Ansichten, Schnitte und Details auf Transparentpapier. Diese Zeichnungen kommen zum Teil direkt aus dem Planarchivschrank des Büros — man sieht am oberen Rand die angeklebte Banderole mit den Löchern, an denen solche Pläne hängen. Das mag wie Understatement wirken, ist aber, in unserer vorlauten Vorzeigezeit, eher beruhigend, auf jeden Fall sympathisch.

Und wieder sind wir bei der Einfachheit, die nie simpel ist, bei der Reduktion, die nichts vermissen läßt, bei der Unauffälligkeit, die nie banal erscheint. Das Ästhetische wird hier nicht zum Fanal erklärt, sondern es stellt sich her durch den Prozeß der Arbeit. Dieser Prozeß aber setzt sich eben nicht nur mit dem Einzelgebäude und seiner Inszenierung auseinander, sondern will mit der komplizierten Bedeutungsvielfalt der Stadt ein Stück gestaltetes Objekt zurückgeben. Eine zusammengesetzte Summe aus einfachen Details — eine Interpretation und Kulturauffassung, wie sie die europäische Stadt durchaus zuläßt. Innerhalb dieser Stadt kann sich ein Gebäude aber erst zur Entfaltung bringen, wenn es dem Kontext zuhorcht, sich diesem aber nicht unterwirft, wenn es die Nutzungsvielfalt ermöglichen hilft, ohne in Beliebigkeit abzustürzen. Und so dienen die Diener & Dieners uns, dem Sehen und der Stadt, in der sie planen. Martin Kieren

In der Galerie Aedes, Savignyplatz, S-Bahn-Bogen 600, täglich 10-18 Uhr, bis 22. August. Katalog im Verlag Ernst + Sohn, 38 Mark