„Sie sind nicht der Staat, Herr Bayern!“

■ In der Münchner Landtagsdebatte um den Polizeieinsatz beim Weltwirtschaftsgipfel langen die Redner kräftig hin

München (taz) — Bayerns Ministerpräsident Max Streibl (CSU) weiß auch über die taz gut Bescheid. Über die taz habe die RAF eine Botschaft an die DemonstrantInnen gegen den Weltwirtschaftsgipfel in München geschickt, die auf der Großdemo verlesen worden sei. Ein Beweis mehr für Streibl, daß „terroristische Gruppierungen“ den Gipfel zu sprengen gedachten. Dieser Überzeugung gab der Landesvater am Montag im Landtag noch einmal Ausdruck. Die Opposition hatte eine Sondersitzung zum brutalen Polizeieinsatz beim G-7-Treff beantragt.

Streibl bescheinigte zunächst der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Herta Däubler-Gmelin, Kritik geübt zu haben, ohne daß ihr Urteil durch die Realität getrübt worden sei. Realität sei, daß sich Bayern auf dem Gipfel in seiner kulturellen Vielfalt, landschaftlichen Schönheit und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit präsentiert habe. Die Meinung der Presse zum Weltwirtschaftsgipfel sei eine ganz andere als die der Bevölkerung, die „ruhig und gelassen“ das Sicherheitsspektakel hingenommen habe. Die DemonstrantInnen ihrerseits hätten auf eine geistige Auseinandersetzung „von vornherein verzichtet. Sie wollten die freiheitliche Grundordnung nicht akzeptieren“, so Streibl. Auf Rücktrittsforderungen in der Presse antwortete der Ministerpräsident, er werde seiner vom Volk überantworteten Aufgabe treu bleiben: „Unsere Heimat bleibt gewaltfrei und sicher.“ Die Kritik auf seine Hommage an die „bayerische Art“ sei so „unter Niveau, daß ich mich damit nicht befasse“.

Oppositionsführer Karl-Heinz Hiersemann (SPD) sagte dagegen, Streibl habe weder im Sinne der Verfassung noch der Bürger gehandelt. „Für Ihre reaktionär-autoritäre Staatsauffassung die ganze bayerische Bevölkerung in Haft zu nehmen ist unzulässig“, deklamierte Hiersemann und leistete sich einen echten Freud: „Sie sind nicht der Staat, Herr Bayern!“

Streibl und Innenminister Edmund Stoiber (CSU) hätten die Stimmung vor dem Gipfel aufgeheizt und sich mehr um Plätze im Gefängnis als um die Versorgung der neuntausend Sicherheitskräfte gekümmert. „Es hat keine Toten gegeben“, so Hiersemann. „Aber das ist nicht das Verdienst der Regierung.“ Allein das Urteil des Richters, der die DemonstrantInnen am Montag vor einer Woche von allen Strafvorwürfen freisprach, ließe hoffen, „daß Bayern noch ein Rechtsstaat ist“. Stoiber meldete sich im wesentlichen mit der Rede zu Wort, die er bereits auf der ersten Pressekonferenz nach dem Gipfel den JournalistInnen zugemutet hatte. Die FDP-Fraktion verließ daraufhin den Landtag: Nach zweieinhalbstündiger Aussprache hatte die Opposition einmal, die Regierung dreimal das Wort bekommen. Henrike Thomsen