Sechsspurig im Tal über den Hienberg

Bürgerprotest formiert sich gegen den Aus- und Neubau der A9 von Berlin nach Nürnberg/ Autobahnplaner wollen schnelle Entschärfung der „hochempfindlichen Trasse“/ Das Dorf Osternohe wehrt sich gegen die Hienberg-Überquerung  ■ Vom Hienberg Bernd Siegler

„Und vielen herzlichen Dank für den Gestank unserer neuen Autobahn im voraus!“ Am Eingang des kleinen Ortes Osternohe unterhalb des Hienbergs in der Nähe von Schnaittach steht kein Willkommensgruß für die erholungsuchenden Wanderer, die das lauschige Tal wegen seiner Fachwerkhäuser, Bäche und Mischwälder schätzen, sondern ein Protestschild. In der ganzen Ortschaft sind Plakate gegen den geplanten sechsspurigen Aus- und Neubau der Autobahn A9 von Nürnberg nach Berlin geklebt. Von den 500 Einwohnern ist mittlerweile fast jeder zweite inklusive des Pfarrers aktiv in der „Bürgerinitiative Osternoher Tal“.

„Wir kämpfen für das Machbare“, betont deren Vorsitzender Wolfgang Köhler, der sich vorher noch nie in irgendeiner Form politisch betätigt hat. Mit seinen 55 Jahren hält sich der Verkaufsleiter für „zu alt, um noch Utopien nachzuhängen“. Für die Beibehaltung der getrennten Fahrtrassen am Hienberg und gegen den Plan, alle sechs Spuren plus zwei Standspuren auf der Ostseite des Hienbergs im Osternoher Tal zu verlegen, haben Köhler und die BI-Mitglieder deshalb bereits 1.500 Unterschriften gesammelt. Gegen den prinzipiellen Ausbau der Autobahn wehren sie sich jedoch nicht. „Das können wir nicht verhindern“, meint Köhler, zudem sei die A9 wirklich total überlastet.

In der Tat ist das Verkehrsaufkommen auf der gesamten A9 seit der Grenzöffnung im November 1989 in die Höhe geschnellt. Im nördlichen Abschnitt (Raum Hof- Naila) ist die Zahl der Kraftfahrzeuge um 300 Prozent gestiegen. Mußte der Abschnitt Lauf-Nürnberger Kreuz früher durchschnittlich 30.000 Fahrzeuge pro Tag verkraften, sind es heute schon 60.000, an Spitzentagen gar 80.000. Die älteste Autobahn Deutschlands ist mit ihren starken Steigungen und engen Kurven sowie ohne Stand- oder Kriechspuren seit zwei Jahren ständig überlastet. „Jedes geringste Hindernis löst auf der höchstempfindlichen Trasse einen Riesenstau aus“, weiß Oberfrankens Polizeipräsident Walter Wölker aus Erfahrung. Brennpunkte sind dabei vor allem die Münchberger Senke und der wegen seiner Steigung und steilen Abfahrt berüchtigte Hienberg. Staus von bis zu 170 Kilometern und nicht zuletzt die Massenkarambolage am 19. Oktober 1990 mit 10 Toten katapultierten die A9 problemlos an die Spitze der 17 Vorhaben im „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit“, die Bundesverkehrsminister Günther Krause „beschleunigt“, das heißt mit reduzierter Planungszeit und Bürgerbeteiligung verwirklichen will.

Die A9 im Blick, spricht Bayerns Finanzminister Georg von Waldenfels von einer „historischen Herausforderung angesichts der wiedergewonnenen Einheit“. Er fordert, daß das Beschleunigungsgesetz für die Verkehrswegeplanung auch auf die alten Bundesländer übertragen werden muß. Schließlich lägen 130 der 385 Kilometer von Nürnberg nach Berlin auf bayerischem Boden. Die Bezirksregierung in Bayreuth mißt der A9 gar eine „Schlüsselfunktion für das Zusammenwachsen Deutschlands und für den wirtschaftlichen Aufschwung in Ostdeutschland“ bei.

Bei solch großen Worten läßt sich die Autobahndirektion Nordbayern nicht lumpen. Mit riesigen Brückenkonstruktionen will Werner Bös, Leiter der Planungsabteilung, die Senken entschärfen und die Steigungen auf maximal 4,5 Prozent begrenzen. Neutrassierungen sollen Kurvenradien von mindestens 500 Metern bringen, eine zusätzliche dritte Fahrspur und eine Standspur den Verkehr beschleunigen und die Sicherheit erhöhen. Robert Kreitmaier, Chef der Autobahndirektion, rechnet mit dem Abschluß der planungsrechtlichen Phase für den 1,7 Milliarden teuren Abschnitt in Nordbayern „bis spätestens 1994“. Noch vor der Jahrtausendwende soll die neue A9 fertig sein.

„Die handeln nach der Devise ,Wissen ist Macht‘“, wirft Köhler den Verantwortlichen der Autobahndirektion vor. Konkrete Planungen würden weder den BIs noch den betroffenen Gemeinden wie zum Beispiel Schnaittach mitgeteilt. Während die Autobahndirektion immer nur von Vorentwürfen gesprochen habe, favorisiere man dort seit langem die Variante mit den sechs Spuren im Osternoher Tal, schon allein weil der Verkehr nahezu ungestört vom Neubau weiterlaufen könnte. Ohne Vorwarnung seien bereits im Februar dieses Jahres im Bereich der Brücken bei Lauf und Schnaittach die ersten Rodungen durchgeführt worden. Man habe die „Vegetations-Ruhephase“ ausnutzen müssen, begründeten die Autobahnplaner ihre Nacht- und Nebelaktion, mit der sie Fakten geschaffen haben. Auch das mittlerweile abgeschlossene Planfeststellungsverfahren für den sechsspurigen Ausbau von der Raststätte Frankenwald nach Bad Steben sieht der Bund Naturschutz (BUND) als taktisches Vorgehen der Autobahnbauer. „Wenn einmal ein Abschnitt auf sechs Spuren ausgebaut ist, folgen die anderen.“ Hubert Weiger, Nordbayern-Beauftragter des BUND, will der „planerischen Selbstherrlichkeit der Autobahndirektion“ Einhalt gebieten. Der Ausbau der A9 auf sechs Spuren sei „weder ökologisch verträglich, noch verkehrstechnisch sinnvoll“. Die Verkehrspolitik müsse den „Stellenwert der WAA“ bekommen, betont Weiger.

Damit dies gelingt, haben sich nicht nur der BUND, der DGB und der Verkehrsclub Deutschlands (VCD) zu einer „Bürgeraktion Verkehr“ zusammengeschlossen. Vor fünf Wochen verbündeten sich zwölf BUND-Ortsgruppen und zahlreiche Bürgerinitiativen entlang der Autobahn zu einem „Verkehrsbündnis A9“. Sie wollen die ausufernden Planungen auf das nötigste zurechtstutzen und hoffen, beim Autofahrer auf Verständnis zu stoßen. Schon Ende Februar verteilten BUND-Mitglieder an die verdutzten Autofahrer die Informationsschrift 'Autopsie — Die Zeitung für den aufgeschlossenen Stauteilnehmer‘. Mathematisch wiesen sie darin nach, daß der Bau einer zusätzlichen dritten Spur nur eine minimale Kapazitätsausweitung bringen würde. Diese könne aber „kostensparender durch ein Tempolimit auf der bisherigen Autobahn erreicht werden“.

Die A9-Allianz, der sich auch Wolfgang Köhler und die Osternoher BI angeschlossen hat, fordert ein Tempolimit von 100 beziehungsweise 80 Stundenkilometer, die Beibehaltung der jetzigen Trassen, die Modernisierung der Ein- und Ausfahrten, den Bau von Standspuren und die Erweiterung am Hienberg nur zur Bergseite hin. „Dann ist aber auch schon Schluß“, betont Peter Beierlein, grüner Gemeinderat von Simmelsdorf. Der Allgemeinarzt weiß, daß „nur ein Wunder“ den Ausbau der A9 aufhalten könne. Ihm geht es vor allem darum, „langfristig Bewußtseinsarbeit für eine andere Verkehrspolitik“ zu betreiben.

Auf ein „Wunder“ im Bereich Hienberg hofft auf jeden Fall Wolfgang Köhler und mit ihm Siegfried Ruckriegel, der stellvertretende Bürgermeister von Schnaittach. Sollten alle sechs Spuren ins Osternoher Tal verlegt werden, dann „ist der Fremdenverkehr bei uns gestorben“, ist sich der SPD-Mann sicher. Die riesige Brückenkonstruktion kurz vor Osternohe und der Kahlschlag auf der Ostseite des Hienberges würde die reizvolle Landschaft kaputtmachen und die Wanderer vertreiben. Das Tal würde angesichts der überwiegenden Westwind-Strömung in den Schadstoffen der Autobahn ersticken. „Dann verlangen wir gleich wie in Mexico-City riesige Ventilatoren zur Umwälzung der Luft“, entrüstet sich Köhler. Der Waldgürtel dürfe als Filter für Lärm und Schadstoffe auf keinen Fall wegfallen.

Ruckriegel wertet die Einleitung eines Raumordnungsverfahrens für den Hienberg als ersten Erfolg der Bemühungen der Bürger. Damit sei zumindest eine Anhörung der Betroffenen gesichert, auch wenn im Rahmen des Beschleunigungsgesetzes der Rechtsweg und die Fristen verkürzt würden. In einem Musterprozeß will das „Verkehrsbündnis A9“ erreichen, daß endlich Grenzwerte für gesundheitsgefährdende Abgase von Autos festgesetzt werden. Man fordert dazu eine Studie zur „Gesundheitsgefährdung durch den Ausbau der A9“. Bislang, so Köhler, gebe es entlang der Autbahn noch nicht einmal Schadstoffmessungen.