Auch ohne Kopf zufrieden

■ Makabre Zeichnungen von Bryin Abraham in der Galerie Bellevue

Selbstmord?« fragt Bryin Abraham, als ich ihm erzähle, warum ich mich verspätet habe. »Nein, Stromausfall«, erwidere ich verdutzt. Das zumindest hat der BVG-Beamte erklärt. »Vielleicht doch Selbstmord«, sagt Bryin trokken. Er schließt keine Fatalität aus, aber das war nur das makabre Vorspiel zu seiner Ausstellung, wie mir noch klarwerden sollte.

Die Galerie Bellevue in Tiergarten stellt zur Zeit rund fünfzig Tuschfederzeichnungen von Bryin Abraham aus, entstanden in den Jahren 1990 und 1991. Es sind allesamt Miniaturen in der Größe 10 x 15 cm, schwarz auf weiß. Der Amerikaner, der 1985 am Otis Art Institute in Los Angeles sein Kunststudium beendete und seitdem zwischen Berlin und Kalifornien pendelt, bevorzugt dieses Format, weil es zum genauen Hinschauen zwinge.

Und genau das müssen sie und er, wenn sie es aushalten können. Der schwarze Rahmen der Zeichnungen erinnert an einen Trauerrand. Die simple Technik und die klaren Linien offenbaren den schwarzen Humor erst auf den zweiten Blick.

In den True Life Stories begegnen uns Menschen und Gestalten in einem Spiel auf Leben, Liebe, Angst und Tod. Sie handeln zu wenig, um glücklich zu sein, und sie sind zu lebendig, um einfach zu sterben. Die Wunden liegen sichtbar offen, doch das Leben geht weiter. So lächelt in einer Zeichnung der Selbstmörder, das Messer noch in der Hand, den Kopf zu seinen Füßen. Kopflos ist so mancher. In der Zeichnung The Waiter serviert der Kellner süffisant dem Gast sein eigenes Haupt. In einer anderen stemmt eine starke Frau zwei Männer. Die Gewichtstange durchbohrt die Köpfe der beiden, und wie es scheint, sind sie damit zufrieden.

Überhaupt beherrschen die Frauen die Szenerie, wenn sie sie erst einmal betreten. Sie sind den Männern überlegen, denn die verfallen ihren Trieben und Passivität. Die Androgynie taucht auf. Eine Frau trägt einen Zwerg auf ihrer Handfläche, aus ihrer Vagina windet sich die Schlange Phallus zischelnd hin zum kleinen Mann.

Bryin Abrahams Frauen sind immer nackt, die Männer fast immer bekleidet. Da verrenkt sich der Mann mit Hut den Hals nach einer Frau, deren nackter Körper kopflos ist. Der Trauerrand gibt den Blick auf ihr Gesicht nicht frei. Ausnahmsweise grinst er dreckig, die anderen lächeln meist ergeben, was immer ihnen auch zugefügt wird.

Wenn Bryin Abraham seine Zeichnungen mit dem Ausspruch »Fred Feuerstein trifft Hieronymus Bosch« kommentiert, hat er insofern recht, daß sich seine Gestalten wie Tom und Jerry Knüppel zwischen die Beine schmeißen und die Schwächen der zwischenmenschlichen Beziehungen personifiziert werden. Das Laster steckt in allen, und Angst bestimmt den Ausdruck. Bryin Abraham kann seine weltverneindenden Tendenzen offenbar nur dadurch bewältigen, daß er »das Leben köstlich morbid auf die Schippe« nimmt, wie er selbst formuliert. Ralf Knüfer

Noch bis zum 7. Juni in der Galerie Bellevue, geöffnet Mittwoch bis Sonntag 17-21 Uhr