Zurück in die Zukunft im Elektromobil

Stromkonzerne haben das Elektroauto wiederentdeckt/ Ihr neues Argument: Abgase der Innenstädte sollen entlastet werden  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Rechtzeitig vor den ersten Sommersmogmeldungen aus bundesdeutschen Städten und anläßlich des 100. Geburtstags des Dachverbands der deutschen Energieversorgungsunternehmen (VDEW) haben die Stromkonzerne eine regelrechte PR- Kampagne für Elektroautos losgetreten. Die Bayernwerke legten in der vergangenen Woche eine Studie zur ökologischen Verträglichkeit dieser Elektroautos vor. Und das Autorenteam der Studie, an der Spitze Professor Helmut Schaefer von der Münchener Technischen Universität, will in Kürze eine weitere Studie für den VDEW vorlegen.

Die Methodik beider Studien ist nach Schaefers Angaben gleich, aber die Ergebnisse sind verschieden. Das hängt mit den unterschiedlichen Parametern zusammen, die bei der Modellrechnung eine Rolle spielen. Die ermittelten Luftbelastungen fallen nämlich bei der Bayernwerk- Studie durchweg niedriger aus. Ausgangspunkt ist der bayrische Strommix mit 75 % Atomstrom und viel Wasserkraft. Dadurch bleibt der Anteil der klassischen Luftschadstoffe, die in Bayern für eine Kilowattstunde Strom erzeugt werden, gering. Das Elektroauto wird dadurch „umweltfreundlicher“. Für die VDEW-Studie hat Schaefer den bundesdeutschen Strommix zugrundegelegt: Etwa 40 % Atomstrom und 32 % Steinkohle. Demzufolge belasten Elektroautos aus diesen Steckdosen die Umwelt mehr. Die Probleme der Atomkraft spielen bei dieser Betrachtung keine Rolle.

Die Schäfer-Studie klammert auch die für die Industrie fruchtlose Debatte zur Ressourcenschonung durch Elektromobile aus. Statt dessen wird betont, daß Elektroautos gerade in den Ballungsräumen, wo die Luft durch den Verkehr stark mit Giften belastet ist, eine Entlastung bringen würden. „Es geht um die Lebensqualität in den Städten“, apostrophiert der Wissenschaftler. Die Schornsteine der Stromkathedralen, aus denen dann der Saft für die Elektroflitzer kommen könnte, liegen eben zumeist außerhalb der Städte. Der Münchner Wissenschaftler prophezeit, daß die Stickoxid-Emissionen und die Kohlenwasserstoff-Verschmutzung durch Elektroautos insgesamt um den Faktor vier bis sieben zurückgehen, unter bayrischen Atomstromverhältnissen sogar noch mehr. Beim Schwefeldioxid dagegen lägen Ottomotoren mit Katalysator deutlich unter dem Elektroauto. Die Staubbelastung ist beim Benziner gleich, Dieselautos lassen deutlich mehr ab. Die Bleibelastung durch die Kraftwerke wird bei der Studie ausgeklammert.

Der Individualverkehr in den Städten wird in beiden Studien nicht grundsätzlich in Frage gestellt. „Eine Möglichkeit ist, sie kaufen sich als Drittwagen so einen Karren“, sagt Schäfer. Dabei wäre eine Einschränkung des Individualverkehrs der einfachere Weg, um die Luftschadstoffe in den Innenstädten abzubauen. Diesen Weg verfolgt beispielsweise Bundesumweltminister Klaus Töpfer mit dem Vorschlag, Innenstädte bei besonders hoher Luftverschmutzung zu sperren. Das Elektroauto als lokaler Emissionsminderer wird zum letzten Aufgebot der Autoindustrie gegen die Sperrung der Innenstädte.

Schaefers Studie hat eine andere Zielrichtung. Wichtig für ihn ist, daß bei einem durchschnittlichen täglichen Fahrweg von 42 Kilometer pro Auto die meisten der Wege, die heute zurückgelegt werden, mit Elektroautos erledigt werden können. Dabei darf nicht übersehen werden, das ein Aufladen des E-Flitzers für Enfernungen über 100 Kilometer nach wie vor schwierig ist. Unmöglich ist es, konventionelle Autos so mit Solarzellen aufzurüsten, daß sie als Familienwagen taugen. Maximal 1000 Kilometer lassen sich jährlich aus den Solarzellen auf dem Autodach rausholen.

Die Entlastung der Stadtluft durch solche Autos hängt davon ab, daß relativ viele Elektroautos statt der normalen Benzinkutschen durch die Innestädte zuckeln. Aber selbst nach optimistischen Schätzungen werden im Jahr 2005 nicht mehr als sechs Prozent aller deutschen Autos einen Elektroantrieb haben. Die versprochene Entlastung der Umwelt in den Innenstädten ist durch eine Einschränkung des überbordenden Individualverkehrs ohnehin billiger und einfacher zu haben. Ganz davon abgesehen, daß der Einsatz von E- Mobilen weder die Straßen entlastet noch die Parkplatzprobleme löst.

„Stromintensivstes Gerät im Haushalt“

Elektroautos brauchen ungefähr genausoviel Energie wie ein vergleichbares normales Auto. Das wird von der Industrie nicht bestritten. „Bei der Primärenergie kommt man ungefähr beim gleichen Stand raus“, bestätigt auch Schaefer. Nur beziehen Elektroflitzer ihre Energie eben aus der Steckdose anstatt von der Tankstelle — ein erster Hinweis, warum Stromversorger ein besonderes Interesse für diese neue Form des Automobils aufbringen. „Elektrofahrzeuge können dazu beitragen, die Auslastung der vorhandenen Erzeugungs- und Verteilungskapzitäten zu verbessern“, erklärt Dietmar Winje, Vorstandsmitglied des Berliner Stromkonzerns Bewag. Im Klartext: Wenn Elektromobile nachts aufgeladen werden, können die Kraftwerke der Stromkonzerne besser durchlaufen und werfen mehr Geld ab. Insbesondere die Atommeiler, denn sie laufen nachts auf Grundlast durch. Für die Stromkonzerne hat das Elektroauto dann etwa die Funktion einer größeren Nachtspeicherheizung und ist damit eine Goldgrube. Peter Heidinger, Vorstandsvorsitzende des süddeutschen Stromkonzerns Energieversorgung Schwaben (EVS) hat das sogar offen zugegeben. Der Elektrozweitwagen werde das „mit Abstand stromintensivste Gerät im Haushalt“ sein.

Spannend ist die Elektroauto- Kampagne der Stromkonzerne weniger aus ökologischer sondern aus historischer Sicht. Elektroautos sind gar nicht so neu. Sie sind etwa so alt wie die Benzinkutschen. Schon „1899 durchbrach der Mensch eine Traumgrenze, auf vier Rädern schneller als 100 Kilometer pro Stunde zu fahren“, erzählt Winje. Inzwischen hätten die Japaner sogar ein Elektroauto konstruiert, daß eine „Spitzengeschwindigkeit von 176 Kilometer pro Stunde erreicht“, freut sich der Berliner Strommanager. „Diese Daten zeigen, welchen Anforderungen ein Elektrofahrzeug aus heutiger Sicht technisch schon gerecht werden kann.“ Winje ist von seinem eigenen Enthusiasmus für Elektroautos so hingerissen, daß er auf Postkarten der Jahrhundertwende überall Elektroautos zu entdecken glaubt: „Damals war das Elektroauto keineswegs die Ausnahme, es gehörte zum vertrauten Straßenbild. Kaiser Wilhelm II. hatte sogar gleich drei Elektroautos in seinem Fuhrpark.“