Es ist aus

Der Anfang des Größenwahns, das Ende mancher Beziehung: Ein Laden in Paris verkauft Wanzen und ihre Gegengifte  ■ Von Christoph Busch

C.I.A.-K.G.B. steht in Leuchtbuchstaben über dem kleinen Laden in Paris. Drinnen kein Boutiquen-Chic, sondern abgetretene, lose PVC-Kacheln, und die Ware liegt in selbstgebauten Vitrinen mehr herum: Wanzen in allen Größen und Qualitäten, für Telefone, für Unter-den-Tisch oder gleich in den Attachékoffer oder in den Mehrfachstecker einzubauen. Scanner zum Abhören der Wanzen stehen bereit, und für den schmalen Geldbeutel Sony-Radios, die so verstellt sind, daß auch sie die Wanzensender außerhalb der üblichen UKW-Radiofrequenzen empfangen können. Dann hört der Nachbar nicht zufällig mit, wie Mann seine Frau belauscht. Selbstverständlich sind auch die Gegengifte präsent: Wanzensuchgeräte bis rauf zum teueren Bond-Koffer, mit denen die kleinen, mit Mikrofonen versehenen Sender aufgespürt werden können. Abgerundet wird das Angebot durch Stethoskope zum Lauschen durch Betonmauern, Nachtsichtgläser nach der Art der schweigenden Lämmer, Tränengas, Elektroschockstäbe und Silencer.

Eine pakistanische Putzfrau im Dienstkittel wischt den Staub von Regalbrettern und Skalen. Die als Verkäuferin Auszubildende „Sabine“ führt einem älteren Herrn — Typ Künstler, graue Matte und Spazierstock mit Silberknauf — die preiswerteste Wanze (260Franc) vor: Der Sender in der schwarzen kleinen Schachtel wird an einer Schraube auf das verdrehte Sony-Radio eingerichtet und zusammen mit einem Metronom ins Nebenzimmer getragen. Im Radio, das auf der Theke bleibt, tickt es laut. Der Kunde ist zufrieden. Er kauft „den Floh“, wie die Biester in Frankreich genannt werden. „Soll ich Ihnen die Batterie gleich drinlassen?“ fragt die junge Dame. Selbstverständlich. Der Ladeninhaber im breitgestreiften Hemd hält sich derweil am 'Figaro‘ fest. Nach Abgang des Kunden werde ich von Jacques kurz verhört, dann läßt er sich auf meine neugierigen Fragen ein.

Die eben vorgeführte Wanze ist ein Eigenbau und der „Jeep für jedes Gelände“. Davon hat die Firma in den letzten neun Jahren 140.000 Stück verkauft, auch ins Ausland. Anfangs lief alles über Versand: Anzeigen in billigen Funkzeitungen, die wie bei uns für allen möglichen Nepp werben: Abmagerungs-Gummianzüge, Röntgenbrillen und Sex-Abos. Jacques schätzt seine Kundschaft entsprechend ein: harmlos bis naiv und durch Erfahrungen mit Versandhandel-Produkten „fatalistisch“ geworden. Wahrscheinlich brächten viele Besteller die Wanzen, die selbstverständlich funktionieren, trotz Gebrauchsanweisung nicht zum Laufen, beschweren sich aber gar nicht erst. Seit auch per Laden verkauft wird, kämen manchmal Kunden wieder, um sich zu beklagen: Die Wanze funke zwar jedes Wort, aber es ticke dabei nicht im Radio. (Sie hatten das Vorführ-Metronom für einen Teil der Anlage gehalten.)

Eine Frau aus dem Viertel, arm und dicke Beine, unterbricht das Gespräch. Sie kauft ein CS-Gel, als wär's ein Pfund Zucker. Mit Gel könne man gezielter arbeiten als mit Gas.

Jacques: Der Verkauf der Lauschsender sei in Frankreich legal. Der Gebrauch nicht. Aber selbst die Polizei kaufe bei C.I.A.-K.G.B. Gleich im Dutzend. Die privaten Wanzen seien billiger als die offiziellen. Deshalb mit weniger Verlust abzuschreiben. Wahrscheinlich aber auch leichter illegal, eben ohne Antrag, anzubringen. Die übrige Kundschaft läßt sich dreiteilen: Familienangelegenheiten, Business und bizarre Typen.

Was die Familie angeht, läßt sich mit einer Wanze natürlich auch ein Baby belauschen. Oft sei das aber Schutzbehauptung. Nein, er frage nicht nach, sei froh, wenn die Kundschaft ihn nicht mit Privatem belästige. Aber er kriegt auch so viel mit: Männer würden am meisten lügen. Denn trotz Emanzipation hätten sie noch nicht kapiert, daß auch frau mal Lust auf einen Seitensprung hätte, einmalig und „point“. Wenn Frauen täten, was bei Männern als Parksünde gehandelt würde, werde die „virilité“ verletzt, und die geknickten Herren machten gleich ein Dauer-„Drama“ draus — lauter kleine Hamlets, die vergeblich die Sachlichen mimten. Sie ließen oft über Tausend Mark da, nur für das Gefühl, die Action wieder auf ihrer Seite zu haben. Dabei sei es, wenn sie den Laden betreten, ohnehin zu spät. Sie hat beteuert: Er bedeutet mir gar nichts — cést terminé, es ist aus. Aber er möchte kämpfen, auf die moderne Art. Und was bedeutet schon das Wort der Frauen, wenn der Nebenbuhler nicht aufgibt. Also wird das Gerät von den Männern meistens nach dem Geständnis gekauft und für den „kritischen Monat“ gebraucht. Das ist die Frist, innerhalb derer mit einem final recall des Konkurrenten zu rechnen ist: „Cést vraiment terminé?“ Wenn das klare „Nein“ der Frau auf Band ist, hat sich das Gerät amortisiert.

Für die Frauen beginnen nach Jacques' Erfahrung die kritischen Tage erst nach diesem Monat: Wenn sie merken, ihr Typ „est pris par la tete“, ist beim Kopf gepackt und nicht nur einmalig beim Schwanz, er könnte für immer gehen. Die Frauen kämen erst dann zu C.I.A.-K.G.B. Ihr Motiv sei sozial, ökonomisch: Was wird aus mir und den Kindern? Sie erzählen nicht unbedingt, worum es geht. Sie lügen aber auch nicht. Sie machen eben kein „drame“ draus, sondern sorgen vor und bringen oft ganz selbstverständlich die Freundin. Wanzen leisten könnten sich immer mehr Frauen: eigene Arbeit, eigener Etat. Der Gatte muß nicht ums Geld für seine Überwachung gebeten werden.

Der seltsamste Fall: Aus Angaben zur Aufgabenstellung konnte Jacques schließen, daß der Mann und die Frau, die nacheinander zu ihm kamen, sich gegenseitig überwachen wollten. Der Frau habe er vom Kauf des Mannes erzählt und ihr zur eigenen Wanze auch noch einen Detektor für das Gattentier verkauft. Oft kämen die Geräte gar nicht hinaus über den therapeutische Einsatz: Ich könnte, wenn ich wollte...

Was wird aus solchen Beziehungswanzen nach Gebrauch oder Nichtgebrauch? Einen Zweite- Hand-Markt gebe es nicht. Wahrscheinlich werde viel weggeworfen oder versteckt. Aus Scham. Es seien eben keine Bügeleisen. Diese Sorte Kunden täten eigentlich besser daran, das Geld für eine Woche Guadeloupe auf den Kopf zu hauen und sich den Hintern bräunen zu lassen. Aber C.I.A.-K.G.B. verkaufe keine Reisen.

Immer wenn Kundschaft kommt, verstummt unser Gespräch. Mehrmals werden Billig-Wanzen verkauft. Bei einem feinen Herrn ist Jacques sich anschließend sicher, daß er wirklich Kinder überwachen will. Jetzt reklamiert gerade älterer Mann, Typ netter Großvater, seinen Telefon-„Floh“: Seitdem er den in die Leitung eingebaut habe, kann er zwar in seinem verdrehten Radio jedes Gespräch gut mithören. Aber aus dem Telefon erklingt dafür Radiomusik. Ein Test im Laden mit Floh, Telefon und Radio verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Jacques vermutet, daß dem älteren Herrn über die Wanze ein nahegelegener privater Radiosender ins Telefon funkt. Vorsichtshalber aber wird das knopfzellenkleine Lauschteil umgetauscht.

Nun zu den Berufswanzen: Zuerst sind da mal die Wachleute. Die, die bei selbem Inhalt die CS-Flasche mit dem Polizeiemblem vorziehen. Die spielen eben gerne den „flic“, hängen sich Handschellen an den Gürtel und geben mit Wanzen an. Die Motive der Geschäftsleute und Unternehmer gefallen Jacques besser. Häufig sollen Sekretärinnen und Angestellte überwacht werden, um Abwerbung von Kunden oder Vertragsabschlüsse, die an der Firma vorbeilaufen, zu verhindern. Ein Beispiel aus der Pelzbranche: Die Mäntel hätten immer einen oberen Preis und einen chiffrierten unteren. Da habe eine Verkäuferin den Kunden immer einen mittleren Preis eingeräumt und mit dem Chef den unteren abgerechnet, „patsch, eine halbe Million“. In der gegenwärtigen Krise könnten sich immer weniger Firmen solche undichten Stellen leisten. Gut für „Flöhe“: Die Lausch-Firma hofft auf Expansion im Bereich der ökonomischen Eifersucht. Gibt es denn im richtigen Geschäftsleben tatsächlich auch den im C.I.A.-K.G.B.-Katalog geschilderten Fall: Pinkeln gehen und den Aktenkoffer mit eingebautem Rekorder unterm Tisch lassen, um Geschäftspartner auszuhorchen? „Oft genug!“

Die Interessenten für Wanzensuchgeräte teilt Jacques in zwei große Gruppen: die Klienten mit einer „echten Macke, mit einer eingebildeten Fernsteuerung oder einem Sender im Kopf“, und die „Paranos“. Letztere sind vom Leben so gebeutelt worden, daß sie schlicht mit dem Schlimmsten rechnen. Sie wollen zum Beispiel nicht wieder gefeuert werden. Lächerlich findet er die „Politischen“. Mit Watergate habe das nichts zu tun, sondern mit Sich- wichtig-Machen. Wie einer aus dem Viertel: Der klebe nachts Plakate und glaube nun, sein Telefon werde von der gegnerischen Partei abgehört. Aber nie ist ein Detektor-Kunde triumphierend mit einer aufgespürten Wanze in den Laden zurückgekommen.

Das Funktelefon piepst wieder mal. Jacques hört nicht lange zu, bevor er sagt: „Dann verklagen Sie mich eben.“ Das sei eine Sekretärin gewesen. Im Büro würden seit einiger Zeit ihre privatesten Angelegenheiten herumgetratscht. Sie habe den Grund rausgefunden: Eine Wanze Marke C.I.A.-K.G.B., von Kolleginnen unter dem Schreibtisch plaziert.

Den Verkauf verweigert hat Pierre nach eigenen Angaben noch nie. Sogar einem Zuhälter habe er kürzlich ein Gerät verkauft. Der wolle seine Frauen bei der Arbeit belauschen. Aber nicht, wie es oft mit Einverständnis der Frauen geschehe, zu ihrem Schutz, sondern ohne deren Wissen.

Manchmal bringen die Leute Zeichnungen ihrer Wohnung oder ihres Büros mit, um sich bei der Plazierung beraten zu lassen. Am besten würden Wanzen „frei und hoch“ angebracht, wie Radiosender eben. Auf dem Schrank oder oberhalb von Gardinen. Eisen, in Betonwänden oder sonstiger Form, sei auf jeden Fall zu meiden. Das fresse die Sendeenergie wie ein Faradayscher Käfig. Zur Befestigung habe sich ein Stückchen doppelseitiges Teppichklebeband bewährt. Die Film-Nummer mit der Wanze unterm Tisch sei allerdings nicht sehr sinnvoll: Fällt den Belauschten etwas runter, und sie bücken sich, wird das „Kaugummi“ entdeckt.

Er selbst habe noch nie eine Wanze eingesetzt. Nicht mal zum Scherz. Aber man solle nie nie sagen: Wenn er sich eines Tages im abgedrehten Zustand eifersüchtiger Männer wiederfände, wer weiß. Ein Gerät benutzt Jacques aber schon heute, und mit Vergnügen. Mit seinem neuen „Cirfolk“-Scanner kann er schnellstens die unmöglichsten Funkfrequenzen außerhalb des Radiobereichs absuchen, abhören und sogar darauf senden. Neulich habe er eine Heroinaktion mithören können. Nach den Vornamen zu rechnen, wären ungefähr zehn Zivile im Einsatz gewesen, um einen „Maulwurf“ beim Transport und der Übergabe eines Koffers mit Heroin im Auge zu behalten. In der Haut des Kofferträgers hätte er nicht stecken mögen. Die Heroindealer wüßten doch auch, was ein Scanner ist.

Gut sei auch im Scanner zu empfangen gewesen, was eine Frau in seiner Nachbarschaft ihrem Telefon anvertraut habe. Wochenlang. Offenbar habe da jemand eine Wanze eingebaut und sei nicht mehr dazu gekommen, sie wieder abzuholen. Da die Sendekapseln in der Sprechmuschel vom Telefonstrom versorgt werden, hätte das noch ewig so weitergehen können. Er, Jacques, habe aber die belauschte Nachbarin an ihrer Stimme erkannt und sie angerufen. Sie habe ihm erst geglaubt, als er ihr ein Gespräch vorspielte, das sie kurz zuvor geführt hatte. Vive la communication!

Wer mehr wissen will über diese neuen Informationstechniken, die alle Menschen zu Schwestern und Brüdern machen, tippt einfach „3615 PRAGMA“ in sein Minitel- Gerät, eine in Frankreich breit durchgesetzte Bildschirmtext-Maschine, und schon kann er oder sie im C.I.A.-K.G.B.-Katalog blättern und bestellen. Natürlich bietet die Firma auch für Minitel nützliches: Eine Schaltung, die die letzten 500 angewählten Nummern behält. Aber nicht für sich. Eine von der Post auf Verlangen gelieferte detaillierte Rechnung zeigt dagegen nur die ersten Stellen der gewählten Nummern an. Der Buchstaben-Code „PRAGMA“ steht übrigens für „Pragmatisme“. Leicht zu merken. Auf Deutsch: Wer nichts zu verbergen hat...