Zitronen und Videos im Orbit

Moskau (taz) — Sein Name ist Sergej Krikalew, und er bewohnt unfreiwillig die Raumstation „Mir“. Seit zehn Monaten hängt er über den Dingen und wartet auf den Rückflug. Sein Herkunftsland, die UdSSR, gibt es nicht mehr. Die Partei ist verboten. Früher erwartete ihn eine Auszeichnung als „Held der Sowjetunion“, man empfing ihn mit großem Tamtam. Und heute? Ja, heute ist nicht einmal klar, ob Baikonur im unabhängigen Kasachstan seinen Wüstensand dem Eindringling vom Friedensplaneten (Mir) zur Verfügung stellt.

Auch der Raumfahrt, dem ehemaligen Aushängeschild sozialistischer Schöpferkraft, geht es so dreckig wie allen anderen Wirtschaftszweigen. Es fehlt das Geld und auf einmal sogar das Interesse. Krikalew bekam es heftig zu spüren. Aus Kostengründen kommuniziert die Zentrale im Sternenstädtchen Kaliningrad vor den Toren Moskaus nur noch einmal wöchentlich mit ihm. Während des Putsches ließ man ihn sogar in einem Schwarzen Loch. Amateurfunker aus dem Westen waren seine einzige Quelle. Als sich dann im Oktober sein Kollege Sergej Wolkow mit einem Österreicher andockte, wußten die beiden Unglaubliches zu erzählen. Die Zitronen, auf die Krikalew nach soviel Vacuum-Food Heißhunger hatte, mußte der Alpengast in einem Moskauer Devisenladen auftreiben. Glawkosmos, die sowjetische NASA, hatte nicht eine Kopeke. Heute fliegt der deutsche Testpilot Major Flade hoch, er soll Honig mitbringen und neue Videofilme. Denn auch die Versorgungsflüge zwischendurch wurden aus Kostengründen eingestellt.

Als sich Kasachstan im Herbst schon krummlegte, machte Moskau ein Angebot. Ruhig solle ein kasachischer Kosmonaut auf die unendliche Reise gehen. Es fand sich nur keiner, der die komplizierte Mission hätte ausfüllen können. Jetzt bleibt nur zu hoffen, daß die GUS-Treuhand, wenn sie ihre Handwerker schickt, um die Teile für Moldawien und Georgien abzumontieren, noch einen Platz in der Rückkapsel freihält. Vermutlich will der Russe Krikalew nicht mit den Ukrainern zurückfliegen. Klaus-Dietrich Flade demgegenüber ist Feuer und Flamme für die hiesige Raumfahrt. Und es tut gut, ihm zuzuhören. Hier würde alles noch mit der Hand gemacht, schwärmte er. Das Improvisationstalent der Russen sei einmalig. Und wichtig: Das Personal sei außerordentlich verantwortungsbewußt. Dennoch drohen die Kosmos-Dispatcher mit Streik, weil sie schließlich nicht von Luft und Ozon leben können. Major Flade findet es traurig, wenn das Space-Programm geopfert wird, denn er hält seine Gastgeber auf diesem Gebiet nun wirklich für konkurrenzfähig. Nicht umsonst hat der russische Unterhändler Semjonow versucht, der NASA einiges Brauchbare aus ihrem Sortiment zu verkaufen. So das Sojus-TM, das Raumrettungsboot. Sie zögern noch, denn schließlich sitzt Krikalew ja auch noch dort. Klaus-Helge Donath