Schauspielertheater

Hans-Michael Rehberg und Ingrid Andree spielen „Totentanz“ in Köln  ■ Von Gerhard Preußer

Kalt und erloschen sitzen beide da. Eheewigkeiten scheint es her, daß da noch etwas glimmte. Edgar, der Festungskommandant, saugt schmatzend an einem abgelutschten Zigarrenstumpen ohne Glut. Alice, seine Frau, stiert großäugig ins Leere, endlos weit dahinten scheint es ein Leben zu geben, auf das sie Rückschau hält. Grobheiten sind Routine: Gut gezielt tritt Edgar gegen ihr abgespreiztes Knie, als sie sich, Beine breit und Arme weit, in unerfüllter, empfangsbereiter Pose im Sessel fläzt. Er schlurft schon mal auf Socken, rückensteif und bauchbequem, zur Whiskyflasche hin und wieder her, sie nörgelt unfrisiert im Morgenmantel vor sich hin. Diese Toten wagen allenfalls im Jenseits noch mal ein Tänzchen, meint man.

Günter Krämer läßt den Anfang ganz herunterspielen, fast bis zur Leblosigkeit, fast bis zur Karikatur, damit die späteren Liebeshaßekstasen höher noch erscheinen als sie sind. Die zähe Anfangslähmung schlägt um in hektische Bewegung, zuckende Geschäftigkeit, sobald Kurt, Cousin und Jugendfreund, als Katalysator die müden Moleküle Mann und Frau zu neuen Reaktionen zwingt. Edgar wird albern und prahlerisch, vom Mümmelgreis zum dummen Jungen, Alice schalkhaft und verführerisch, von der Sofaschlampe zur Salonschlange. Und beide spielen zusammen das glückliche Paar. Sie streichelt ihm verliebt die Glatze, er tätschelt ihr Händchen: geborgte Gesten.

Selten und erst spät bricht der Haß dann offen auf, der diese beiden Ehekämpfer aneinander bindet. Jahrzehntelange Übung hat dieses Hasserpaar zu Virtuosen der versteckten Bosheit werden lassen. Ausfälle und Zusammenbrüche kommen unvermittelt und werden wieder überspielt. Plötzlich windet Alice sich heulend auf dem Stuhl, das Dienstmädchen läßt ein Glas fallen, kündigt wütend und verabschiedet sich mit einem quer über die Bühne an die Wand gepfefferten Holzschuh. In Sekundenschnelle ist das vorbei, die Scherben sind unter den Tisch gekehrt, das Chaos scheint wieder unter Kontrolle. Bis das nächste Glas zu Bruch geht. Diesmal zermahlt Edgar genüßlich die Scherben mit dem Stiefelabsatz. Noch als Alice, endlich allein mit Kurt, ihr Leiden beichtet, trägt sie diese Klage mit Lachen vor, ein Lachen, das umschlägt in verwegenen Hohn, in vulgäres Geifern, in jämmerliches Wimmern und doch immer noch den Anschein von Heiterkeit bewahren will.

Auf Steigerung und Enthüllung zielt Krämers Regiekonzept, langsam schraubt er die Kampfspirale eine Drehung höher: Nun wird, was bisher mit Sticheleien und Scherzen ausgefochten wurde, handgreiflich mit dem Säbel durchgekämpft. Als Edgar beim Schwertertanz zusammenbricht, nimmt Alice die Attribute des Männerkriegs an sich. Mit Stulpenstiefeln und gezückter Waffe stapft die kleine Frau herum und droht. Sie ist nicht nur das Opfer, das sie bisher schien. Sie setzt sich auf den im Sessel schlafenden Kurt, da kommt der schon gelähmt geglaubte Edgar angekrochen, und die drei verkeilen sich auf den Sesseln, Alice mit blitzender Klinge obenauf. Dem alten Haudegen bleibt als Waffe gegen seine Frau vorläufig nur der Schürhaken.

Dann werden die Waffengänge mit schwereren Geschützen ausgetragen. Phantastisch aufgeputzt in einer Paradeuniform präsentiert Edgar die Resultate seiner Intrigen: Enterbung, Scheidung, Demütigung. Alice zeigt nun ihre Künste im Ehegrabenkrieg: Kurt ist ihre Waffe. Sie reizt ihn auf, bis er sie demütigt (er reißt ihr den Kopf vor seine Hose, zwingt ihr Gesicht herab und besorgt sich dann selbst den Rest), um ihn dann wiederum zu demütigen (mit hochgezogenem Rock läßt sie sich die Schuhe küssen). Darauf bleibt Edgar nur der Griff zum Säbel, und erneut bricht er mitten in der wilden Zimmerjagd zusammen.

Das Ende führt dann wieder ganz zurück zum Anfang. Auf Alices gepacktem Koffer, den sie nie brauchen wird, sitzen beide, starren gerade vor sich hin. Edgar steckt Alice den Ehering, den sie ihm vor die Füße warf, wieder an die Hand. Sein Kreuz ist wieder steif, wieder spricht er nur mit dem kalten Stummel zwischen den Zähnen, und ihr bleiben nur noch resignierte Blicke, nach oben diesmal.

Schauspielertheater nennt man das wohl. Das Gegenteil heißt (nein, nicht Puppentheater) Regietheater. Worin der Unterschied besteht, läßt sich am Rhein ganz gut erkennen. Strindbergs Totentanz steht auch in Düsseldorf noch auf dem Spielplan. Dort prallen nur zwei Subjekte aufeinander: der Hysteriologe Werner Schroeter auf den Hysteriker Strindberg. Schroeter schafft den ersten und den zweiten Teil des Stückes in zweieinhalb Stunden Zeit. Seine Regie will Raum schaffen für seine Protagonisten. Bühnenbildner Gottfried Pilz hat dafür ein weites Rundgehäuse geschaffen, einen geräumigen Kerkerturm für endlose Ehehaft. Hans-Michael Rehberg und Ingrid Andree prägen die Inszenierung ebenso stark wie die Regie. Rehbergs Rundschädel mit dem breiten Grinsen darunter gibt Edgar eine Weichheit, die dazu verführt, ihn zu unterschätzen. Ingrid Andrees zierliche Figur läßt Alice anfangs ganz verschwinden, bis sie herrsich, mit großen Schritten, die Schultern breit, spielend leicht die Bühne füllt. Persönlichkeit nd Physis dieser Schauspieler sind nicht zu trennen vom Regiekonzept. Dennoch wird Krämers Handschrift auch in dieser Inszenierung deutlich: Das Mitleid mit den Figuren, das Strindberg selbst an seinem Stück hervorhob, fehlt. Dafür hat jede Figur und jede Aktion eine klare Schärfe, die zur Komik neigt. Erst die Schauspieler verhindern den Absturz in die besserwisserische Denunziation. Sie müssen die Spannung halten zwischen Bildeinfall und Bildeinfall.

Manche Regisseure brauchen keine Schauspieler, andere haben sie nötig.

August Strindberg: Totentanz. Regie: Günter Krämer, Bühne und Kostüme: Gottfried Pilz. Mit Hans-Michael Rehberg, Ingrid Andree, Bert Oberdorfer, Kölner Schauspiel (Schauspielhaus). Nächste Aufführungen: 25.Januar, 4., 14., 21., 23.Februar.