Kalkars Brennelemente bald schottisch kariert

RWE-Brütertochter will plutoniumhaltige Brennelemente ins schottische Dounreay exportieren/ Die Schotten wollen die Brennstäbe billig oder umsonst/ Zehn Kilogramm waffenfähiges Uran abhanden gekommen  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Der Stopp des Brüterprojekts Kalkar im vergangenen Jahr bescherte nicht nur dem Niederrhein eine 7 Mrd. DM teure Investitionsruine, er hinterließ den Brüter-Betreibern auch 205 plutoniumhaltige Brennelemente. Dieses strahlende Erbe soll jetzt ins schottische Dounreay exportiert werden, erfuhr die taz. Eine Genehmigung des Bundesamtes für Außenwirtschaft in Eschborn liegt für die in Deutschland lagernden 123 Brennelemente bereits vor. Auch die notwendige Transportgenehmigung ist bei einer anderen Bundesbehörde, dem Bundesamt für Strahlenschutz, beantragt.

Reaktorruine und Brennelemente gehören nach dem Abbruch des Projekts der Schnell-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft (SBK), einer 68prozentigen Tochter des Stromriesen RWE. Anteile halten außerdem holländische und belgische Stromversorger. Wie die Anteile der SBK, so waren auch die Brennstäbe in den vergangenen Jahren geographisch verteilt. 123 „deutsche“ Brennelemente lagerten im Bundesbunker auf dem Siemens-Gelände in Hanau, 82 Brennelemente fanden bis vor kurzem im belgischen Dessel Unterstand. Die gefährliche Erblast hatte die Hanauer Atomfirma Alkem einst speziell für den Brüter gefertigt.

Ein Teil des Kalkar-Plutoniums ist schon in Schottland. Mitte November landete ein Teil des „belgischen“ Brennstoffs im schottischen Atomzentrum an. Ein Sprecher des RWE-Konzerns bestätigte ausdrücklich, daß mindestens 18 Brennelemente aus Belgien nach Schottland transportiert worden seien. Schottische Umweltschützer wie Chris Bunyan von der Northern European Nuclear Information Group nehmen sogar an, daß alle belgischen Elemente bereits in Dounreay sind.

Die nach Leukämiefällen in der Umgebung umstrittenen Atomanlage an der Nordspitze Schottlands verfügt selbst über einen Brutreaktor, dessen Finanzierung durch die britische Regierung allerdings 1994 ausläuft. Die Schotten würden die deutschen Brennelemente gern umsonst erhalten, um sie zu verbrennen und so die wirtschaftliche Zukunft ihres Brüterprojekts wieder rosiger zu gestalten. Andrew Mc Craig, Sprecher der Anlage, bekennt ganz offen, daß „die Zukunft unseres Pilot-Brüters“ an den Kalkar-Brennstäben hängt. „Wir wollen die Kosten senken. Ein Teil des Pakets ist der Erhalt von billigem Brennstoff.“

Allerdings müßte der Atombrennstoff für die Dounreay-Brüter modifiziert werden. Der Wert aller 205 Brennelemente wird in Schottland auf rund 60 Millionen Pfund (180 Millionen Mark) geschätzt. Deutsche Hilfe wird der schottischen Atomanlage schon vom Hahn-Meitner-Institut in Berlin und der Braunschweiger Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zuteil. Beide haben Verträge zur Lagerung ihres Atommülls mit den Schotten geschlossen.

Das RWE bestätigte auf Anfrage, daß die Tochter SBK einen „Verkauf der Brennelemente an interessierte Nutzer“ anstrebt. Verwendung gebe es für den speziellen Brüterbrennstoff nur in Dounreay und im skandalumwitterten Atomzentrum Hanford im US-Staat Washington. Dort geht die US-Regierung wegen der atomaren Verseuchung durch das Atomwaffenprogramm von einem Sanierungsbedarf von über 50 Mrd. Dollar aus.

Dounreay vermißt waffenfähiges Uran

Straßburg (afp) — Aus der britischen Atomanlage Dounreay an der schottischen Nordküste sind 13,7 Kilo Uran verschwunden, davon 10,2 Kilo waffenfähiges Uran 235. Dies bestätigte der EG-Kommissar für Außenhandelsbeziehungen, Frans Andriessen, gestern vor dem Europaparlament in Straßburg. Der Verlust sei im vergangenen November bei einer Routinekontrolle der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom festgestellt worden. Bisher sei nicht bekannt, ob das Uranium tatsächlich abhanden gekommen ist oder ob es sich um einen Buchungsfehler handelt. Abgeordnete der Sozialisten und der Grünen wiesen darauf hin, daß die fehlende Menge Uran 235 ausreichen würde, um eine Atombombe zu bauen. Hinzu kämen erhebliche Umweltrisiken, da ein Gramm angereichertes Plutonium eine radioaktive Strahlung von bis zu 100 Milliarden Bequerel habe und damit die „giftigste bekannte Substanz in der Welt“ sei, betonte der SPD-Abgeordnete Rolf Linkohr. Nach der Verlustmeldung der Euratom-Inspektoren im November war die aus einem schnellen Brüter und einer Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe bestehende Zentrale Dounreay vorübergehend wegen möglicher Risiken für die Beschäftigten geschlossen worden. Sie wurde wieder eröffnet, nachdem die britischen Behörden versichert hatten, es sei keine erhöhte Radioaktivität festzustellen.