Nur fliegen ist schöner

■ Zwei Ausstellungen — Abheben, Amüsieren und Landen

So ist das eben: Die angeblichen und vielgepriesenen Highlights der Ausstellungs- und Museumsszenerie weden so gut besucht, wie sie gepuscht werden: ob von American Erpress oder der anderen Presse: alles und alle strömen dann eben zu olle Rembrandt und Co. Ganze Familienscharen stellen sich stundenlang im Regen an, um diesen längst toten und manchmal gar nicht so aufregenden Maler beziehungsweise seine umstrittenen Mach- und Malwerke zu begucken (manche glotzen auch nur so...). So ist das eben.

Ach was kann man sich da über große leere Ausstellungshallen freuen, in denen noch was passiert! In denen man umherlaufen und sich die Augen wundsehen kann an den vielen kleinen und großen Erfindungen einer handvoll Menschen, die sich ganz in den Dienst einer fixen Idee gestellt haben: der des Fliegens. Seit August birgt der ehemalige Hamburger Bahnhof die Ausstellung Hundert Jahre deutsche Luftfahrt — Lilienthal und seine Erben, und wir müssen leider vernehmen, daß diese Schau erst von 50.000 Besuchern gesehen worden ist — gegenüber den mehr als 300.000, die sich bislang bei Harmensz van Rijn (na ja: olle Rembrandt) eingefunden haben. Um den eigenen Ausstellungsbesuch ist es ja gut bestellt, wenn so wenige sich da tummeln: da hat man Zeit und Muße zum Gucken, man wird nicht geschoben, keiner stellt sich vor die hehre Kunst. Und vor allem: Man wird nicht durch diese oft saublöden und altklugen Kommentare derer gestört und belästigt, die immer alles besser wissen.

Hier, bei Lilienthal und seinen Erben, herrscht bei den Besuchen (meist Väter mit Kindern oder Alt- Begeisterte und Narren) Kennerschaft und Freude vor — Freude, die bis zur Begeisterung sich zu steigern vermag. Hier ist das »Oooch! Guck' ma ejh« noch echt und kommt von Herzen, hier wird knochenhart- sachlich argumentiert über jedes Detail eines Motors, über jede Sollbruchstelle eines Propellers und über alle eventuellen aerodynamischen Schwächen eines Flugzeugflügels. Hier wird um die Exponate (pah! det iss allet echt, nix Kunst!) herumgeschlichen, wird der Kopf gewogen, als gelte es, die letzte Prüfung vorzunehmen, bevor dieses Teil auf den technischen Prüfstand kommt. Hier werden die Augen noch aufgerissen vor den Vitrinen, in denen ein unglaubliches Sammelsurium um das Fliegen herumsummt.

Mit welcher Kenner- und Leidenschaft, mit welcher Liebe und Hingabe das Material zusammengetragen wurde, läßt sich nur in den Köpfen derer ermessen, die selbst einmal — egal auf welchem Gebiet — der Sammelleidenschaft gefrönt haben. Was sich hier findet an Eintrittskarten zu Flugtagen, an Büchern, Abzeichen, Flugzeugteilen, Meßgeräten, Sitzgelegenheiten, Büchsen, Reifen, Seilen, Hölzern, Fotos, Modellen, Fliegerkneipeninszenierungen, Statistiken, Motoren, zerschroteten wie heilen Flugapparaten und -kisten — das ist schon echt Klasse. Wer sehen will, was für mitunter absurde Ideen die Menschen gehabt haben (und natürlich heute noch haben), um den Lüften ein Schnippchen zu schlagen, um sich da oben irgendwie einzurichten und vorwärts zu bewegen, wer Lust auf ein wenig Technik- und somit Kulturgeschichte hat, sich nicht mit alten Ölschinken zu amüsieren, sondern mit öligen Klapperkisten und deren Insassen, deren Begeisterung und Lebensfreude — dem sei diese Ausstellung verordnet.

Man kann sich auch mal ruhig neben die alten Herren stellen, die vor allem im »Richthofen-Kabinett« und vor beziehungsweise unter den in echt hier herumstehenden Flugzeugen ins Schwärmen geraten: wie sie vom »wirklichen Kampf« sprechen, vom Duell — bei dem dann auch olle Richthofen »einen abgekriegt hat«... (aber vorher!...) Dann wird einem auch das mitunter völlig bekloppte und unausrottbare Gestammel eines Teils einer Generation bewußt, der erst Europa in Schutt und Asche gelegt hat, um anschließend diese Geschichte in persönlich erlebte Episödchen zu zerlegen: absurd, aber wahr. Lachen und Weinen. Schrecken und Lust. Fliegen und fallen. Oder: Runter kommen sie immer.

Des Fliegens zweiter Teil

Kommt ein Vogel geflogen... — sind die Jungen auch nicht weit: grad ist irgendein Jubiläum — flugs sind sie zur Stelle. In diesem Falle war es Jeannot Simmen, der es sich zur Aufgabe machte, dem Phänomen des Fliegens, besser der »Schwerelosigkeit« in der Kunst nachzuspüren und das Ergebnis dieser Spurensuche auszustellen: Schwerelos Das Unternehmen scheint aber doch zu schwer, um wirklich abzuheben — ihm fehlt die Leichtigkeit.

Die Große Orangerie des Schlosses, in der die Ausstellung aufgebaut ist, kommt, nimmt man die Illustration auf den Katalogumschlag-Innenseiten ernst, selbst als Propeller daher: In der Mittelhalle sind gleichsam als Transmissionsriemen die mit dem wirklichen Fliegen beschäftigten Exponate ausgestellt. Darunter ein nach Plänen von Tatlin gebautes Flugobjekt, ein ganz komisches Plastikauto von Panamarenko und allerlei Lilienthaliana.

Die eigentliche Ausstellung erstreckt sich dann jeweils nach links und rechts in die rotierenden Flügel des Schloßanbaues. Zu lesen haben wir das folgendermaßen: »Die Exponate als über Generationen im Unterbewußtsein vererbte Gedanken erscheinen auf der Netzhaut der Betrachterin beim Durchschreiten des Raumes entlang der flankierenden Blick- und Geh-Achsen wie Informationsvektoren einer Urgeschichte, deren Kontext von einem Ende zum anderen jederzeit erfaßt werden kann?« Wirklich, in echt? Jedenfalls schreibt das im Katalog der für die Ausstellungsarchitektur verantwortliche Burkhard Entrup.

Hier noch die Leitideen des Ausstellungsmachers: »Schwerelos ist die thematische Ausstellung eines ästhetischen Problems. Erzählt wird nicht Kulturgeschichte, berichtet wird von Künstler-Experimenten .... Nicht interessiert, was dargestellt ist, SCHWERELOS fragt anders, nach dem Wie. Wie kann die für unsere Augen unsichtbare Schwere dargestellt werden? ... Die simple Idee war die thematische Teilung in die beiden Flügel:

—Kreis/Kugel oder das Abstraktwerden des Realen, das Realwerden des Abstrakten (Ostflügel);

—Quadrat/Kubus oder das Immateriellwerden, von der Konstruktion zur Vision (Westflügel).

Bezeichnet werden damit die beiden Pole der Ausstellung: natürliches Bild steht zur menschlich konstruktiven Idealform.«

Wenn wir uns auf den Weg durch die beiden Flügel der Schau machen, bekommen wir schöne Kunst zu sehen. Doch, es macht Spaß das eine oder andere wirklich feine und selten gezeigte Werk berühmter »Klassiker« zu sehen, die Ikonen. Angefangen bei den russischen Konstruktivisten, hin zu Klee und Kandinsky, vorbei an Magritte, Beckmann, Piene, Rickey und hin zu Yves Klein und Geoffrey Hendricks. Doch, wir sehen das alles mit Neugierde und gern.

Nun fragt sich bei dem einen oder anderen Werk aber doch, warum es ausgerechnet in dieser Ausstellung zu sehen ist, was es auszeichnet, hier zu sein. Fraglich z.B.ist so ein Bild wie Grotta azzurra (1980) von Sandro Chia. Kompositorisch, thematisch und maltechnisch ist das einfach nicht bewältigt — und nur weil da ein Mann mit Anzug hintenrücks zu schweben scheint...? Na ja. Überhaupt: Da kommt einem manches recht spanisch vor (bezieht sich auf Nichtverstehen). Der junge, in New York lebende Maler Ross Bleckner ist gleich mit mehreren Bildern vertreten: so mit Schlafanzugstreifen und welche mit angedeuteten Himmelsgewölben. Nun mag das ja alles raffiniert aufgetragen sein (die Farbe) und es mag auch irgendwie ein bißchen psychedelisch wirken — aber mit Schwerelosigkeit hat das wenig zu tun, tut mir leid. Und was zu diesen Bildern im Katalogteil von Herrn Bernhard Bürgi beigegeben wird — mit dieser Art Bildbeschreibung und Kunstgeschichtsgeraune diskreditiert man ganze Malergenerationen; oder umgekehrt: man macht aus allem Hochkunst, was einem persönlich zusagt.

Aber es gibt natürlich viel Feines zu sehen, und man sollte nicht mit der Kopflastigkeit der Ausstellungsmacher das Unternehmen besuchen. Man kann diesen natürlich einfach dafür danken, daß sie das alles herbestellen und uns präsentieren konnten: warum und unter welchen Vorzeichen — das mag in den Sternen des Herrn Bleckner unleserlich stehenbleiben. Martin Kieren

Ausstellung im Hamburger Bahnhof nur noch bis 1.Dezember: also hin! Ausstellung in der Orangerie im Schloß Charlottenburg bis 22. Januar 1992