Die Rehabilitation des Grafen Lambsdorff zu Tokio

Warum der Vorsitzende der FDP die deutsche Nummer eins in Japan ist: Der einzige deutsche Politiker, mit dem sich über Japan zu reden lohnt  ■ Von G. Blume

Tokio (taz) — Otto Graf Lambsdorff traf kürzlich in Tokio ein. Dies hätte ich wohl in der Vergangenheit für keine weiter bemerkenswerte Begebenheit erachtet. Denn erstens ist Lambsdorff allen intelligenten Deutschen nicht nur als moralisch äußerst zweifelbarer und ideologisch grundsätzlich unbelehrbarer Charakterkopf bekannt. Und zweitens hat er nicht erst seit dem letzten Parteitag der FDP viel von seiner politischen Ausstrahlung verloren; wenngleich er Reste davon im Gegensatz zur großen Überzahl deutscher Politiker weiterhin besitzt. Das alles aber reicht nicht, um in Tokio Graf Lambsdorff zu erwähnen.

Dennoch sei diese Kolumne ihm gewidmet: Denn der Graf war und wird wohl für die nächsten Jahre der einzige aktive deutsche Politiker bleiben, mit dem sich über Japan zu reden überhaupt lohnt.

Seit 1973, so erklärt Lambsdorff jederzeit voller Stolz, habe er sich in Japan schon an die dreißig Mal eingefunden. Nur in den letzten zwei Jahren sei er dem Land aufgrund der deutschen Wiedervereinigung ferngeblieben. Schlimm ist, daß eine solche Liebeserklärung an Japan unter seinesgleichen in Deutschland tatsächlich nur ihm und keinem zweiten angemessen erscheint. Als ich vor zwei Jahren hier in Tokio antrat, hatte ich noch voller Naivität erwartet, daß es in der Bonner Regierung, im Außenministerium, in Parteien und Gewerkschaften doch Leute von Rang geben mußte, die alle Facetten der japanischen Gesellschaft studiert hatten, um zu Hause über das kommende Industriezeitalter mitreden zu können. Nichts dergleichen hat sich bis heute bewahrheitet.

Ganz im Gegenteil bezeugen die hohen Gesandten der Bundesrepublik in Japan stets meisterhaft ihre Begabung, zwar viel zu sagen, aber nichts dazuzulernen. Zuletzt legte Frau Staatsministerin Seiler-Albring, immerhin die Stellvertreterin Hans-Dietrich Genschers, für diese deutsche Dummheit Zeugnis ab. Mit den Augen einer Provinzmissionarin beobachtete sie, wie „präzise vorbereitet, aufgeschlossen, ruhig, gut informiert und sympathisch“ ihr die japanischen Politiker und Beamten begegnet wären. Überraschend sei dies gewesen, denn in Europa, so stellte Seiler-Albring tiefschürfend fest, sei Japan immer noch „sehr weit weg“. Die deutsche Außenpolitkerin lieferte damit genau jenes Potpourri aus europäischer Überheblichkeit und Unbekümmertheit, dessen Unverfänglichkeit die japanischen Verantwortlichen seit Jahren erfreut. Denn solchem Besuch muß Japan keine Antwort geben. Er wird in Tokio nur verlacht.

Graf Lambsdorff gehört nicht zu diesen Tolpatschen. Er kennt seine Gesprächspartner seit Jahr und Tag und versucht es wenigstens, persönliche Verbindlichkeiten herzustellen, ohne die politische Einsicht in Japan undenkbar ist. Eine lange Nacht mit dem jetzt ernannten Außenminister Michio Watanabe, mit dem Lambsdorff vor Jahren zechte, stellt sich nämlich heute als wesentlich wichtiger für das offene deutsch-japanische Regierungsgespräch heraus, als die vielen, routinierten Schönwetterbekundungen am Rande der Weltwirtschaftsgipfel.

Aber wer von den neuen deutschen Politikern des proklamierten „savoir vivre“ träumt schon davon, mit japanischen Kollegen saufen zu gehen? Ihnen graut es wohlmöglich davor, weil solche Aktionen in Japan ja angeblich mit zur Arbeit gehören. Oder ihnen ist der Flug „first class“ zu lang, und sie kommen erst gar nicht. Doch ohne informelle Kontakte und Intimkenntnisse der japanischen Politik werden deutsche Politiker von Nippons industriepolitischen Geheimnissen nie etwas auch nur erahnen können. Lambsdorff verdanken die Deutschen darüberhinaus, daß die politische Japan-Debatte in der Bundesrepublik von Anbeginn nicht jenen überlassen blieb, die regelmäßig von den Kriegszügen japanischer Großkonzerne sprechen und Japan nur noch mit martialischen Vokabular abhandeln. Als erster namhafter Politiker sprach der Graf 1980 von „Bereichen der japanischen Industrie, die uns offensichtlich überlegen sind“. Natürlich wählte er diese Worte zur Akzentuierung seiner damaligen Wendepolitik. Dennoch setzte sich seine Wahrnehmung Japans auch damals schon konstruktiver und fairer mit der japanischen Realität auseinander, als alle Versuche das vermeintlich ferne Land lediglich als Störenfried der westlichen Wohlstandskultur zu mißachten. Seine Art und Weise, Japan auf eigene Faust zu erkunden und ernst zu nehmen, hat Graf Lambsdorff bis heute nicht aufgegeben. Er, der mein politischer Gegner bleiben wird, hat sich damit in Japan als unersetzbarer Gesprächspartner erwiesen.