Das Hörbare und die Schrift

■ Über Unica Zürns Anagramme und ihre Vertonung durch die »Lachende Not«

Texte, die sich dem schnellen Verstehen entziehen, sind eine Herausforderung für Schauspielerinnen und Musikerinnen. Die Lust der Schreibenden an der Sprache und ihre Zerstückelung ähnelt der Lust von Kindern im Umgang mit aufregendem Spielzeug. Die Frage nach dem Sinn tritt in den Hintergrund, die Lust am Verlust augenfälliger Sinnhaftigkeit führt ins Ungewisse. Gertrude Stein ist eine Meisterin im Irritieren, ihr Satz »Ich bin, weil mein Hund mich kennt«, will mir schon lange nicht mehr aus dem Sinn. Eine andere irritierende Schriftstellerin, ebenfalls, aber ganz anders, Sprachversessene, ist die Berliner Schriftstrellerin Unica Zürn (1916-1970), die eine ganz Generation von Tänzerinnen, Schriftstellerinnen und neuerdings auch die Berliner Frauenband »Lachende Not« inspririert hat. Ende der 70er Jahre wurde Unica Zürn mit ihren Texten Mann im Jasmin, Dunkler Frühling und vor allem mit ihren Anagramm- Gedichten in Deutschland entdeckt. Diese rätselhaften Gedichte sind es vor allem, die den Berliner Musikerinnen als kompositorisches Sprungbrett dienten. Die Vertonung avantgardistischer Texte hat Tradition, an die Anagramme Zürns wagte sich bisher noch niemand.

Das Musikspektakel der Lachenden Not beginnt mit elf Buchstaben. Die fünf Musikerinnen tragen sie auf Schildern vor die Bühne und präsentieren sie dem Publikum. Zu gleichbleibenden Bläsersätzen aus der Konserve wird das poetische Verfahren vorgeführt, durch das Anagrammgedichte entstehen: UNICA ZUERN ist da programmatisch zu lesen oder aber auch, durch die Vertauschung von Buchstaben, AZUR IN NUCE (von Oskar Pastior erfunden) und UNICA ZU ERN (von Inge Morgenroth). Anagraphein bedeutet umschreiben, genauer gesagt: die Umstellung der in einem Namen, Satz oder Wort enthaltenen Buchstaben zu anderer Reihenfolge und neuem Sinn. Das liest sich dann zum Beispiel so: »Ich weiß nicht, wie man die Liebe macht/ wie ich weiß, macht man die Liebe nicht./ Sie weint bei einem Wachslicht im Dach./ Ach, sie waechst im Lichten, im Winde bei/ Nacht. Sie wacht in weichem Bilde, im Eis/ des Niemals, im Bitten: wache, wie ich. Ich/ weiß, wie ich macht man die Liebe nicht.«

Wie läßt sich musikalisch umsetzen, was schwer zu interpretieren, geschweige denn zu sprechen ist? Inge Morgenroth, Zürn-Verlegerin, Saxophonistin und Musikerin der Lachenden Not, über eine der Arten, sich mit den Anagrammen musikalisch auseinanderzusetzen. »Wir haben teilweise versucht, das gleiche Verfahren, was Unica Zürn beim Erstellen der Anagramme anwendete, beim Komponieren zu übernehmen. Analog zum anagrammatischen Verfahren beschränken wir uns bei bestimmten Stücken auf ein begrenztes Tonmaterial, das nach strengen Regeln geordnet wird.«

Das Ergebnis dieser strengen Regelanwendung ist verblüffend. Die harmonisch klingende, leise vorgetragene Vertonung des Anagramms Ich streue das weiße Nichts für Tenor-Saxophon korrespondiert auf rätselhafte Weise mit den weichen Vokalen des Gedichts. Andere Vertonungen halten sich hingegen nur an Assoziationen des Gelesenen, und das Ergebnis ist keineswegs leis und weich. Die während der Vorstellung projizierten Texte werden geschrien, geflüstert, einfach aufgesagt und zum Publikum gehaucht (Sprecherinnen sind neben Inge Morgenroth die Bassistin Angela Talliàn und die Multiinstrumentalistin Martina Zechendorf). In einem stilistischen Potpourri aus Jazz- und Rockelementen, Polka-Rhythmen und einer abgewürgten mit Geräuschgerümpel collagierten Callas- Arie entstehen immer wieder neue Lesarten der rätselhaften Anagramme. Am überzeugendsten sind die Bläsersätze, die Fagottistin Elisabeth Böhm-Christl und die eingestreuten Toncollagen. Immer wenn die Sprache der Musik dissonant und voller Stilbrüche ist wie in der Vertonung von Hotel de l'Esperance, Zimmer zweiundvierzig kommuniziert das Hörbare mit der Schrfit. Gabriele Mittag