DOKUMENTATION
: »Gewalt ist ein wesentliches Merkmal«

■ Die »West-Autonomen« haben binnen kurzer Zeit das Ruder im Ostteil übernommen

Berlin. Nächste Woche wird der Jahresbericht 90 des Verfassungsschutzes dem Senat vorgelegt. Der erste seiner Art, der im Landesamt erstellt wurde. Teile daraus wurden bereits in der Autonomen-Zeitschrift 'Interim‘ veröffentlicht — sehr zum Ärger des Innensenators (siehe taz von gestern). Wir dokumentieren im folgenden auszugsweise die Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz über die autonome Szene in Berlin gewonnen hat:

1.Grundlagen, Ziele

Die [...] Mehrheit der Autonomen sind Jugendliche bzw. jüngere Erwachsene zwischen 18 und 28 Jahren. Zumeist sind es Schüler, Auszubildende, darunter viele, die mit der Lehre oder dem Studium nicht zurechtkommen, Gelegenheitsjobber, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Viele Autonome wenden sich schon nach wenigen Jahren ernüchtert von der Szene ab, enttäuscht über das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit autonomer Lebensziele...

2.Strukturen

Schon vor der Maueröffnung stellten die Autonomen in Berlin (West) mit mehr als 400 Anhängern das größte Kontingent innerhalb des deutschen linksextremistisch motivierten Gewaltpotentials dar... Teilweise verlegten Autonome ihren Wohnsitz in den Ostteil der Stadt. Dabei gelang es ihnen, sich innerhalb kurzer Zeit in der neuen Umgebung einzurichten, Führungsrollen zu übernehmen und die dort anfänglich friedlich agierenden Gruppen zunehmend zu gewaltorientiertem Handeln zu veranlassen. Inzwischen ist davon auszugehen, daß es eine einheitliche, gegenwärtig etwa 650 Personen umfassende autonome Szene in Berlin gibt...

Bei der Zahl der Berliner Autonomen ist hinsichtlich ihrer tatsächlichen Stärke ein mobilisierbares Potential in der Berliner Alternativ-Szene und unter türkischen Jugendbanden zu berücksichtigen. Das Ausmaß dieser zusätzlichen Mobilisierungsmöglichkeiten hängt weitgehend vom jeweiligen Anlaß ab...

3.Militanz

Gewalt ist geradezu ein wesentliches Merkmal »autonomer« Politik... Seit 1989 ist jedoch ein Differenzierungsprozeß im autonomen Lager in der Gewaltfrage sichtbar geworden. Während einerseits autonome Gruppen weiterhin »klandestine militante Aktionen«, wie Brandanschläge o.ä. durchführten, zeigte sich andererseits, daß Autonome durchaus bereit sind, auf den Einsatz von Gewalt zu verzichten, insbesondere dann, wenn Militanz für die Erreichung des Ziels nicht opportun erscheint.

4.Autonome Hausbesetzer

Nachdem im Westteil Berlins [...] fast alle besetzten Häuser von der Polizei geräumt worden waren, konzentrierten sich West-Berliner Autonome auf die Neubesetzung von Häusern im Ostteil der Stadt oder zogen in dort bereits besetzte Häuser ein. Dabei gelang es [ihnen]... innerhalb kürzester Zeit Führungsrollen zu übernehmen...

5.Ausblick

Die Bevormundung der »Ostautonomen« durch ihre aus dem Westen zugereisten Gesinnungsgenossen führte vor allem in der Hausbesetzer-Szene im Ostteil Berlins zu einer zunehmenden Isolierung »Westautonomer«, die mit ihrer »Nichtverhandler-Position« inzwischen in die Minderheit geraten sind. Trotz der notorischen Organisationsfeindlichkeit Autonomer wurden in jüngster Zeit Vernetzungsbemühungen [...] erkennbar.