Wien: Große Koalition gegen Antisemitismus

■ Schweigemarsch nach Zerstörungen jüdischer Gräber

Wien (taz) — Vom sozialdemokratischen Bundeskanzler Franz Vranitzky und seinem konservativen Stellvertreter Erhard Busek über den Leiter der jüdischen Dokumentationsstelle Simon Wiesenthal bis zu dem Dichter Ernst Jandl — eine breite Koalition gegen Antisemitismus hatte zu einem Schweigemarsch aufgerufen, an dem am Donnerstag knapp 10.000 WienerInnen teilnahmen. Anlaß für dieses auch in Österreich ungewöhnlich breite Bündnis, an dem sich nur die FPÖ des rechtsradikalen Jörg Haider nicht beteiligte, waren die neuesten Grabschändungen im jüdischen Teil des Wiener Zentralfriedhofs.

In der Nacht vom 10. auf 11. Oktober war es nicht beim Umschmeißen von Grabsteinen oder Schmierereien geblieben. Die Antisemiten hatten versucht, sechs Gruften zu zerstören. Es gelang ihnen, eine Gruft zu öffnen und dabei drei Särge so stark zu verwüsten, daß Knochen der Begrabenen herausfielen. In den letzten zwei Jahren sind durch antisemitische Aktionen bereits 73 jüdische Gräber auf diesem Friedhof zerstört worden.

Diesmal hatte der Zeitpunkt der Tat symbolische Bedeutung. Der Jerusalemer Bürgermeister Teddy Kollek war zu Besuch in seiner ehemaligen Heimatstadt. Seine Frau besuchte auf dem Friedhof das Grab ihres Großvaters, als die Gräberzerstörung entdeckt wurde. Das österreichische Fernsehen filmte die Zerstörungen zwar, sendete sie aber nicht. Begründung: Eine Verbreitung der Nachricht sei geeignet, Nachahmungstäter zu animieren und dem Ansehen Österreichs in der Welt zu schaden.

Eine Studie des Gallup-Instituts zeigt, daß dieses Verhalten Rückhalt in der Bevölkerung hat: 31 Prozent der Österreicher wollen lieber keine Juden als Nachbarn. Walter Oswalt