Ein Senator auf der Flucht nach vorn

■ Eingeklemmt zwischen fremdbestimmten Fronten: Die Verantwortlichen für den Wettbewerb Potsdamer Platz

Am Freitag früh, drei Wochen nach der Entscheidung über den städtebaulichen Wettbewerb zum Potsdamer Platz, hat der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, zu einer Pressekonferenz geladen. Nach den Diskussionen in den letzten Wochen, nach harscher Kritik von seiten der Kritiker und Investoren an dem preisgekrönten Entwurf von Hilmar/ Sattler, sah sich der stadtbau-politisch Verantwortliche gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten. Ins Gefecht zog er mit den Preisrichtern der Jury: Gustav Peichl, Tom Sieverts und Jürgen Sawade. Aber schon bei der Auswahl gerade dieser Herren, zeigte sich die Strategie der folgenden zwei Stunden: die Flucht nach vorn.

Man hätte anderes erwarten können — es kam aber wie folgt: Hassemer zeigte sich »hocherfreut« über die öffentliche und heftige Auseinandersetzung, die über die Entscheidung entbrannt sei. Er sei sich der hohen Streitkultur bewußt — und auch stolz auf diese. Die Form der Diskussion allerdings habe ihn schon überrascht. Bestürzt gar zeigte er sich über das Mißverständnis, das in der Öffentlichkeit und bei der Presse herrsche über den Unterschied zwischen einem städtebaulichen Wettbewerb und einem Architekturwettbewerb. Zu häufig würde der Entwurf von Hilmar/Sattler überinterpretiert in Richtung eines die Architektur zu sehr einschränkenden Ergebnisses.

Aber, so Hassemer: an dem Entwurf werde festgehalten. Zwar würden alle geäußerten Ideen, die der Architekten, Kritiker und Investoren, bei der jetzt erfolgenden und notwendigen Überarbeitung berücksichtigt — in der Grundsubstanz aber bliebe er unberührt. Er ließ auch keinen Zweifel daran, daß er mit Senator Nagel »lückenlos einig« sei, daß diese Überarbeitung »gründlich und streitig« erfolgen werde. Nachdem Hassemer angekündigt hat, daß er noch für den November eine Senatsvorlage erarbeiten wolle und im Senat auch eine Entscheidung darüber fällen lassen wolle, wurde er gefragt, was er denn zu tun gedenke, wenn er mit seinen Vorstellungen nicht durchkäme. Er könne sich das zwar nicht vorstellen — so seine Antwort —, würde aber die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Welche — das ließ er offen. Warten wir also ab.

Nun schickte der die Mitglieder der Jury ins Rennen. Und hier durfte man sich über die relative Selbstkritiklosigkeit schon wundern: eine tour de force — der Ritt der Selbstgenügsamkeit. Fast aggressiv zu nennen die Verteidigung der gefundenen Lösung, das Eintreten für das, was man mittlerweile einen klassischen Kompromiß nennen muß, von den Verantwortlichen aber immer mit dem »Modell europäische Stadt« umschrieben wird. Was diese aber ist, wodurch sich diese auszeichnet, und warum bei europäischer Stadt immer wieder Paris und Mailand herbeizitiert werden müssen — das bleibt und blieb auch bei diesem Gespräch eher Geraune als klare Definition. Berlin ist eben doch Berlin, ist man geneigt zu sagen.

Was ist Stadt?

Im nachhinein ist festzustellen, das die vor dem Wettbewerb geführte Diskussion einen zu kurzen Vorlauf hatte und daß es Versäumnisse gegeben hat. Bei den uns jetzt vorliegenden Ergebnissen muß man fragen, ob denn der Ausschreibungstext wirklich den zuvor gefundenen Prämissen gerecht geworden ist — und ob man sich im Vorfeld genügend Zeit gelassen hat, um sich über eben diese Prämissen zu verständigen. Augenscheinlich hat man sich darüber, was Stadt — in diesem Falle Berlin — sein kann und zu sein hat, nicht genügend verständigt: Wie soll man sich sonst die großen Divergenzen bei den abgelieferten Arbeiten erklären?

Wenn wir zudem den ersten Preis betrachten, fällt einem sofort die Stadtidee auf: ein Baumuster, das lückenlos anschließt an das Raster der alten Stadt, ein Muster, das den Bruch eben nicht kennzeichnet, den das Gebiet im Laufe der letzten Jahrzehnte erfahren hat. Das Argument der hochgesetzten Traufhöhe zählt dabei nicht — auch wenn gerade dieses immer wieder ins Feld geführt wird: der Entwurf monumentalisiert eben nur das vorhandene Stadtraster. Eine neue Stadtidee, wie sie in anderen Städten an solchen Orten gefunden wurde — auch und gerade in den so gern zitierten europäischen Mailands und Paris' —, wird hier nicht definiert und nicht gefunden. Warum? Sie wurde vom Preisträger nicht gesucht. Und wie es aussieht, auch nicht von den Auslobern.

Die Entwürfe aber, die das herzustellen versucht haben, wurden höflich dort plaziert, wo sie Herr Senatsbaudirektor Stimman — brauchen wir so eine Stelle eigentlich wirklich in dieser Stadt? — haben wollte. Und andere Jurymitglieder augenscheinlich auch. Deutlich wird bei den meisten abgelieferten Entwürfen die Neigung, das Thema Potsdamer und Leipziger Platz als Zentrierung, als Stadtkrone, als Barockplatz mißzuinterpretieren. Die Platzfolgen- und Promenadenschinderei hilft dieses Thema nur unterstreichen.

Wer entscheidet?

Das Ergebnis steht fest. Wie aber kommt es zustande — und durch wen? Eine Jury. Ja, wir fragen uns weiter. Kann es nicht sein, das diese falsch besetzt war? Und vielleicht mit zu vielen Mitgliedern, deren Schwierigkeit darin bestanden haben mag, in zwei Tagen 16 Entwürfe anzusehen, zu interpretieren, zu beurteilen, gutzuheißen oder auszujurieren? Eine Jury, die während ihrer Sitzungen eben nicht die Zeit fand, das, was als Stadt am Ende entstehen sollte, zu suchen, auszudiskutieren und ansatzweise zu finden? Anzunehmen bei dem Umfang der Aufgabe ist schlicht eine Überforderung der Jury für diese zwei Tage — auch wenn diese eine solche Feststellung brüskiert von sich weist. Die Entscheidung darüber, wie entschieden werden sollte, fiel eben bei den politisch Verantwortlichen. Und am Ende sind natürlich auch diese zu fragen, warum sie als politisch Verantwortliche unbedingt in einer Fachpreisjury sitzen müssen? Auch wenn Herr Stimman irgendwann mal Architektur studiert hat, wäre eine Trennung der Entscheidungsbereiche vonnöten. Und obwohl diese Besetzungsstrategie in Berlin Tradition hat, wollen wir diese Tradition doch lieber abgeschafft sehen. Martin Kieren