Dies ist mein Leib oder: Madonna ist erschienen

■ „In Bed with Madonna“ auf den Filmfestspielen Cannes

An-ja: seeliger-Hingabe, so unser Cannes-Berichterstatter Thierry Chervel, habe er es nicht mangeln lassen. Er sei bereit gewesen, für eine Einladung zur einzigen Vorführung des Madonna-Films, vorgestern nacht um halb zwölf, zu kämpfen. Das sei aber gar nicht notwendig gewesen: die Karte wurde ihm ohne weiteres ausgehändigt. Aber dann habe ihn die Palastwache doch abgewiesen. „Tenue de soirée“ stand auf der Einladung: Smokingzwang. Ein derartiges Kleidungsstück firmiert aber nicht im Kleiderschrank unseres Korrespondenten. Also habe er seine Karte an einen angemessen gekleideten Fan verschenkt. Die Kontinuität der Berichterstattung bleibt dennoch gewahrt: Heute berichtet aus Cannes unsere New Yorker Kolumnistin Marcia Pally.

Madonna: Verführerin, Schnulzensängerin, Peinigerin der Begierde und eine der Ikonen unserer Tage. In ihren Musikvideos ist sie alles zusammen. Als ihr Film In Bed with Madonna in New York startete, war sie auf allen Titelseiten als schwarze Witwe zu sehen: „Sleaze Queen landet neuen Schlag unter der Gürtellinie“. Als der Film in Cannes lief, wartete eine Horde von Motorradfahrern auf ihre Ankunft im Hôtel du Cap und ließ bereits Stunden vorher die Maschinen aufheulen. Sie trug (ich habe niemanden getroffen, den das nicht interessiert hätte) einen schwarzen schulterfreien Spielanzug und Strümpfe, die den Blick auf ihre harten, venösen Bizeps und einen Ring von bloßem Fleisch um die Oberschenkel herum frei ließen. Tout le monde showed up. Madonna hielt Hof wie der Papst.

Ihr großes Talent liegt nicht darin, ein neues Image zu erfinden, sondern sich der bereits Vorhandenen zu bedienen. Sie kreuzte die Insignien der Sicherheit — Familie, Kirche — mit denen der Begierde und erzählt ihrem Publikum, daß es beides haben kann. Madonna hat etwas faustisch Verzücktes, sie verführt unsere Gefühle mit einem Angebot, das wir nicht ablehnen können. Der Pakt ist: leugne sie nicht, und Madonna wird Deiner gnädig sein. Wenn sie auf der Kommunionsbank kniet, gibt sie den Worten „Dies ist mein Leib, nehmet hin und esset“ eine neue Bedeutung. Oder vielleicht eine sehr, sehr alte.

In Bed with Madonna, Alek Keshishians Rockumentarfilm von Madonnas internationaler Tournee 1990, zeigt diese Hexenkunst am besten in den MTV-gestylten Konzertszenen: eine Kreuzung aus Sex und Sekten, Reinheit und Profanität. Die schwarz-weißen Backstage-Passagen zeigen sie in Beziehung zu ihrer Truppe und zu ihrer Familie: eine neckische Welt. Keine schweren Jungs, kein großes Geld wird da enthüllt, nur tuschelnde Backfische. Kurz: Sie bemuttert ihre Band, schlichtet deren Streit, und im Konzert stehen sie gemeinsam zum Gebet. Madonna als sexy Babysitter: Ich glaube nicht, daß Keshishian dieses Leinwand-Image vorher mit ihr verabredet hat. Es gab einfach nichts anderes zu filmen.

PS: Angeblich soll Madonna versuchen, Michael Jackson zu einem Video zu überreden. Auf der Party in Cannes sagte sie, er habe abgelehnt. Er habe keine Lust, sich als Mädchen zu verkleiden (was mir in Anbetracht seines neuesten Gesichts die Sprache verschlug). Ich schlage vor, Madonna soll es mit Cicciolina versuchen. Marcia Pally