Häuptling Silberlocke auf Tour

■ Der Präsident aller Deutschen startete Rundreise durch Thüringen/ Bei seiner Antrittsrede in Erfurt verbreitete er Optimismus wie stets

Erfurt (taz/adn) — Die fünf neuen Länder sind nicht nur neu, sie werden immer neuer und das ganze Deutschland mit ihnen — so sieht es zumindest Berufsoptimist Richard von Weizsäcker. Noch sei die endgültige Gestalt nicht bekannt, aber es sei klar, daß nicht alles beim alten bleiben wird in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, auch nicht in der alten Bundesrepublik gab der Bundespräsident gestern vor dem Thüringer Landtag seine Visionen zum besten.

Mit dieser Rede begann er eine zweitägige Thüringenvisite, die zugleich den Abschluß seiner Antrittsbesuche in den fünf ostdeutschen Ländern bildet. Diese Reisen, so betonte der Gute Deutsche in Erfurt, hätten ihn immer klarer erkennen lassen, was der Prozeß der deutschen Vereinigung alles bringt und was er allen abverlangt. Die Wirtschafts- und Währungsunion habe nicht nur den Markt gesamtdeutsch gemacht. Greifbarer als bisher sei nun auch der gesamtdeutsche Charakter seiner sozialen Bindungen.

Weizsäcker lobte in diesem Zusammenhang das Gemeinschaftsprogramm „Aufschwung Ost“ als eine neue Qualität der Herausforderung des Westens. Der Thüringer Landesregierung klopfte er auf die Schultern für ihr Bemühen, die Unabhängigkeit traditionsreicher Unternehmen wie Carl Zeiss Jena zu erhalten und sie sicher in die Marktwirtschaft überzuleiten. Wer es ernst meine mit der Privatisierung, müsse auch die Voraussetzungen dafür schaffen. Dazu zählte Weizsäcker auch die Sanierung von Unternehmen. Mit der Aufspaltung großer Kombinate können, so Weizsäcker, der Mittelstand und der freie Wettbewerb gefördert werden.

Er setzte sich dafür ein, Marktwirtschaft und Sozialbindung nicht voneinander zu trennen. „Diese Einstellung sind wir den Menschen schuldig, für die es im Angesicht drohender Beschäftigungslosigkeit nicht ausreicht, auf gute Aussichten in ferner Zukunft verwiesen zu werden“, sagte der Bundespräsident. Jeder Mensch brauche die Gewißheit, daß er mit dem, was er leisten kann und will, seinen Platz findet, auf dem er benötigt wird. Dazu gehöre vor allem Arbeit, meinte Weizsäcker mit Blick auf die Sorgen und Nöte der BürgerInnen in den fünf neuen Bundesländer.

Als „Thüringer Trümpfe“ bei der Bewältigung der Zukunftsaufgaben nannte der Bundespräsident die ungewöhnliche Konzentration hochqualifizierter Fachkräfte, die auch in vierzigjähriger Planwirtschaft nicht wirklich gebrochene Handwerkstradition und sehr gute Böden für die Landwirtschaft. Die Thüringer Identität sei in mehr als tausend Jahren mittelalterlicher Aufteilung, neuzeitlicher Kleinstaaterei und schließlich totalitärer Gleichschaltung in den vergangenen sechzig Jahren nicht verloren gegangen.

Auch Goethe und dessen Bemühungen für die Einigung der deutschen Nation zur Lösung damaliger sozialer und wirtschaftlicher Probleme mußte bei Bildungsbürger Weizsäcker herhalten. Er betonte: „Auch wir stehen vor einer beispiellosen Umwälzung, vor materiellen und immateriellen Problemen, die die Deutschen nur gemeinsam lösen können. Gewarnt, aber auch ermutigt durch die Erfahrungen unserer Geschichte, werden wir uns dieser Aufgabe stellen.“