Ostarbeitsmarkt weiterhin stetig auf Talfahrt

■ Die Kluft zwischen den Arbeitsmärkten in Deutschland West und Deutschland Ost wird kontinuierlich größer. BfA-Chef Franke räumte gestern ein, daß es durch die demnächst anstehenden...

Ostarbeitsmarkt weiterhin stetig auf Talfahrt Die Kluft zwischen den Arbeitsmärkten in Deutschland West und Deutschland Ost wird kontinuierlich größer. BfA-Chef Franke räumte gestern ein, daß es durch die demnächst anstehenden Quartalskündigungen zum 30.Juni noch dicker kommen wird.

Wenn man mental gut drauf ist, gewinnt man.“ Heinrich Franke, Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, bemühte gestern den zeitgenössischen Philosophen Boris Becker, um einen möglichen Ausweg aus der katastrophalen Situation auf dem Arbeitsmarkt im Osten Deutschlands zu umreißen. Frankes Meinung nach „findet vieles im Kopf statt“, doch die aus „40 Jahren sozialistischer Mißwirtschaft“ resultierende Mentalität lasse sich nun mal nicht kurzfristig ändern. Er sei aber „felsenfest davon überzeugt“, daß es letztendlich zum Matchball kommen werde. Den Zeitpunkt der „Überwindung des Tals“ sieht er allerdings erst frühestens 1992 gekommen.

So muß der BfA-Präsident bis dahin Monat für Monat mit neuen traurigen Rekordzahlen für die ehemalige DDR aufwarten. Während die Arbeitslosenquote im alten Bundesgebiet von 7,0 % im Februar auf 6,5% (bezogen auf abhängige, zivile Erwerbspersonen) im März zurückging, erreichte die Zahl der Arbeitslosen dort im März mit 808.389 einen neuen Höchststand. Die Arbeitslosenquote stieg von 8,9 auf 9,2 %. Dieser relativ geringen Steigerung gegenüber dem Vormonat wird jedoch ein sprunghafter Anstieg in der Arbeitslosenstatistik des Monats April gegenüberstehen. Dann schlagen die in hohem Umfang zu erwartenden Kündigungen zum Quartalsende zu Buche. „Wer zum 31. März gekündigt wird, der kann frühestens zum 1. April arbeitslos werden“, betonte Franke. Nach dem 31. März werde dann der 30. Juni der nächste „schwierige Termin“.

Unverkennbar besteht in der Ex- DDR zwischen Mecklenburg-Vorpommern (11,7 %) und Sachsen (8,0%) ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. In zunehmendem Maße sind Frauen betroffen; betrug ihr Anteil im Oktober noch 54,2%, liegt er jetzt bei 55,2%. Zum ersten Mal seit der Vereinigung stieg die Zahl der Kurzarbeiter in den FNL über die Zwei- Millionen-Grenze. Der Zuwachs gegenüber dem Vormat beträgt dabei knapp 100.000. Franke gab zu, daß die Zahl der Kurzarbeiter und das Ausmaß des Arbeitsausfalls auf ein „hohes Maß an verdeckter und zurückgestauter Arbeitslosigkeit hinweisen“. So stieg der durchschnittliche Arbeitsausfall von 44% im September 1990 auf annähernd 56% im März 91. Für 516.000 Arbeitnehmer fällt mittlerweile mehr als 75% der Arbeit aus.

Als „weiter sehr verhalten“ bezeichnete Franke die diesen negativen Tendenzen entgegensteuernden Entwicklungen auf der Seite der Arbeitskräftenachfrage. Steigerungen beim Stellenzugang und bei den Arbeitsvermittlungen gehen vor allem auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) zurück. Die Maßnahmen der Bundesanstalt wie z.B. ABM, Kurzarbeitergeld, berufliche Qualifizierung und Vorruhestandsregelungen entlasten die Arbeitslosenstatistik derzeit in einer Größenordnung von 1,3 bis 1,4 Millionen.

Doch Franke will die Unternehmen bezüglich der Situation im Osten nicht aus der Verantwortung entlassen. „Wir sind die Bundesanstalt für Arbeit, und nicht die Bundesanstalt für alles.“ Erklärtes Ziel sei es z.B., daß im Herbst dieses Jahres alle Bewerber eine Lehrstelle gefunden haben sollen; das lasse sich aber nur durch „gemeinsame Anstrengungen von Wirtschaft, Tarifpartnern und Politik“ erreichen. Aussagen, daß dann Tausende junger Menschen ohne Ausbildung bleiben würden, verwies der BfA-Präsident in das Reich der Panikmache. Es sei falsch, aus den bisherigen Bewerbern und den bisher gemeldeten Ausbildungsstellen einfach einen „Saldo unversorgter Bewerber“ zu bilden, da weder alle Ausbildungsstellen noch die Zahl der Bewerber bekannt seien.

Um sein hochgestecktes Ziel zu erreichen, appellierte Franke an die ausbildende Wirtschaft in den neuen Bundesländern, Ausbildung als „wichtige Investition in die Zukunft“ zu betrachten. „Der junge Mensch, der jetzt aus der Schule kommt, soll die soziale Marktwirtschaft nicht so erfahren, daß er keinen Ausbildungsplatz erhält.“ Bernd Siegler, Nürnberg