Arbeitslosigkeit in Deutschland
: Dreigeteilt? Schon längst!

■ Auch das Kapital hat den Uraltwünschen der deutschen Rechten etwas entgegengesetzt: In Sachen Arbeitslosigkeit hat sich das einig Vaterland schneller davongestohlen, als Kohl denken kann. Ratlosigkeit bei den Fachleuten, die Ostdeutschen üben Nullarbeit.

Dreigeteilt? Niemals!“ Lange Jahre begleitete der plakative Slogan die konservative Forderung nach Wiedervereinigung Deutschlands. Jetzt nach Herstellung der deutschen Einheit ist die Republik real dreigeteilt — was den Arbeitsmarkt betrifft. Arbeitslosenquoten von über zehn Prozent in den nördlichen Ländern der alten Bundesrepublik, nahezu Vollbeschäftigung in manchen Bezirken der Südstaaten Bayern und Baden-Württemberg — und für die fünf neuen Bundesländer: Horrorszenarien. So lautet denn auch die Bilanz eines Seminars der Evangelischen Akademie Tutzing in Nürnberg, am Sitz der Bundesanstalt für Arbeit: „Drei Welten in einem Land“.

„Wir sind Bundesbürger zweiter Klasse in den neuen Billiglohnländern“, beklagt sich stellvertretend für die Situation der neuen Bundesländer Evi Pohl, Betriebsratsvorsitzende der Firma HauWa in Neuhaus im Thüringer Wald. Die HauWa, Teil der Großhandelsgesellschaft Haushaltswaren, sollte auch nach der Wende Umschlagplatz für Ostwaren dieser Branche sein. Doch die sind nicht mehr gefragt. „Nach Qualität und Preis wird nicht geschaut, alle kaufen nur noch Westwaren“, schildert die Sekretärin die Lage. Der Umsatz der HauWa ging denn auch stetig zurück. Schon Ende Juli 1990 wurde für vier Fünftel der Belegschaft „Kurzarbeit auf Null“ angemeldet, das heißt Beziehung von Kurzarbeitergeld bei totalem Arbeitsausfall. „Wer einmal auf Null ist, ist arbeitslos“, lautet die Erfahrung von Evi Pohl. Das betrifft nicht nur die HauWa. In der ganzen Region Neuhaus sind 85 Prozent auf Kurzarbeit null. „Angst, arbeitslos zu werden, hat hier jeder.“

Dieter Schlosser kommt aus einem westlichen Problemgebiet, der Oberpfalz. Der Betriebsrat der Maxhütte hat Angst, daß ein über zehnjähriger Kampf um den Erhalt von nur mehr 1.600 von einstmals über 9.000 Arbeitsplätzen in der Oberpfalz umsonst gewesen sein könnte. So war die „Sanierung“ des im Konkurs befindlichen Stahlwerks nur möglich durch die 45prozentige Beteiligung des Freistaats Bayern an einer neuen Gesellschaft. Jetzt hat der Freistaat aber generelle Überlegungen angestellt, sich von Staatsbeteiligungen nach und nach zurückzuziehen. Das könnte das endgültige Aus der Maxhütte sein.

Sozialarbeiter Bernd Korten arbeitet in einem Arbeitslosenzentrum in Bremen. Das Viertel ist mit 33 Prozent Sozialhilfeempfängern zu einem sozialen Brennpunkt geworden, typische Ghettobildung hat eingesetzt. Aus der öffentlichen Berichterstattung bekommt er den Eindruck, daß es Arbeitslosigkeit nur noch in der Ex-DDR gebe und im Westen die Arbeit auf der Straße liege. Dem Nürnberger DGB-Chef Herbert Weiniger geht es ähnlich. „Wir hatten im Westen Deutschlands schon vor der Vereinigung erhebliche Strukturmängel.“ Diese Probleme würden jetzt angesichts der Situation im Osten einfach vergessen.

Wie aus einer anderen Welt klingt da die Situationsbeschreibung von Rudolf Streppel aus der Personalabteilung der Mercedes Benz AG. „Unser Problem ist nicht die Arbeitslosigkeit, sondern wir suchen händeringend nach Arbeitskräften.“ Mercedes müsse sich jetzt subtilere Maßnahmen überlegen, um an Arbeitskräfte heranzukommen. Verbesserung des Images, neue Arbeitsorganisationen, flexiblere Arbeitszeiten und innerbetriebliche Qualifizierung, lauten seine Schlagworte.

Die extreme Spaltung des Arbeitsmarkts belegt Gerhard Kühlewind, Wissenschaftlicher Direktor am „Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung“ der Bundesanstalt für Arbeit, mit Zahlen. Arbeitslosenquoten von 2,8 Prozent in Göppingen und 3,9 in München stehen 14,6 Prozent in Emden und 12,1 in Bremen gegenüber. Der Osten ist dagegen kaum gespalten: 11,9 Prozent in Rostock, 11,3 in Sangenhausen (Sachsen-Anhalt) und 10,4 in Nordhausen (Thüringen). Für die alte BRD prognostiziert Kühlewind selbst bei optimistischen Annahmen für das Jahr 2.000 keinen entscheidenden Rückgang der Arbeitslosigkeit. Ganz anders jedoch im Osten. Schon ein Jahr nach der Wende betrage der Beschäftigungsabbau 1,2 Millionen. 50 Prozent davon wurden arbeitslos, je 25 Prozent sind abgewandert bzw. haben Vorruhestandsregelungen und ähnliches in Anspruch genommen. Damit sei die Talsohle jedoch noch lange nicht erreicht, da die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu langsam verlaufe. Kühlewind zitiert eine Umfrage des Münchener IFO-Instituts: Danach bezeichnen westdeutsche Unternehmer die „rechtlichen Schwierigkeiten zum Beispiel beim Grundstückserwerb“ als gravierendstes Investitionshemmnis, gefolgt von „administrativen Verzögerungen,“ „Infrastrukturmängeln“ und „Unwägbarkeiten in der Kalkulation der Lohnkosten“. Arbeitslosenquoten in der Größenordnung von 50 Prozent hält der Wissenschaftliche Direktor aber für „unrealistisch“. Er warnt vor einer Dramatisierung: „Langfristig geht es allen besser.“

Auch Helmut Jungbauer, Hauptgeschäftsfühhrer der Industrie- und Handelskammer Bayreuth, setzt auf den Faktor Zeit. „Ein Minimum an Geduld“ sei unverzichtbar, der Westen habe schließlich auch 40 Jahre gebraucht, um Wohlstand zu erreichen. Jungbauer fordert für die Ex-DDR die sofortige Schaffung einer leistungsfähigen Infrastruktur, eine Qualifizierungsoffensive und Bedingungen, daß Unternehmerengagement „frei laufen“ könne.

Qualifizierung heißt auch die Zauberformel der Bundesanstalt für Arbeit. Herbert Pfuhlmann, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik der BfA, verweist auf den durchschnittlichen Wirkungsgrad von 70 Prozent bei Fortbildungsmaßnahmen. Natürlich könne es „in einer Marktwirtschaft keine Garantie“ geben, aber eine Weiterqualifikation stelle immer einen Vorteil beim Wettbewerb um einen Arbeitsplatz dar. Um die Anreize für Fortbildungsmaßnahmen zu erhöhen, stellt Pfuhlmann das derzeitige Kurzarbeitergeld in Höhe von 90 Prozent des vorherigen Verdienstes zur Disposition. „Das ist viel zu hoch, da fehlt doch jedem die Motivation für eine Fortbildung.“ Als dann der Langzeitarbeitslose Hans-Joachim Böhme aus Neustadt in Thüringen angesichts der Situation in der Ex-DDR von einer „geschmacklosen Kohlsuppe, die nun das gesamte deutsche Volk auslöffeln“ müsse, sprach, ist es mit Pfuhlmanns Geduld zu Ende. „Die deutsche Einheit ist als Geschenk zum Hoffnungsträger Europa hinzugekommen“, poltert er vom Podium. Im Westen hätte man dieses Jahr immerhin vier Prozent Wachstum verzeichnen können. „Wer hat das denn bezahlt“, ruft Böhme empört dazwischen.

Welten tun sich auf, als Bernd Korten angesichts der langfristigen Strukturprobleme bei der Bundesanstalt eine Unterstützung von Initiativen anmahnt, die den Betroffenen helfen wollen, mit Arbeitslosigkeit leben und umgehen zu können. „Arbeitslosigkeit muß immer ein ständiger Unruhezustand sein“, kontert Pfuhlmann. Wenn es um konkrete Lösungsmöglichkeiten für die Schieflage auf dem Arbeitsmarkt geht, muß aber auch Pfuhlmann weitgehend passen. Er greift auf das christliche Gebot zurück, „Teilung durch Teilen“ zu überwinden und fordert positives Denken. „So oft wie möglich sollten wir über Fortschritte reden, auch wenn sie noch so klein sind.“ Pfuhlmann warnt jedoch, daß man sich in der Ex-DDR auf einen „Dammbruch“ einstellen müsse, der den sozialen Frieden schnell gefährden könne. „Auf lange Sicht sind wir alle tot“, zitiert er den britischen Ökonomen John Maynard Keynes und drängt auf schnelle Lösungen. Bernd Siegler