Mißglückte Premiere

■ Das Ergebnis des Müllentscheids ist auch eine Niederlage der direkten Demokratie KOMMENTARE

Die Bürgeraktion „Das bessere Müllkonzept“ hat recht, wenn sie sich nach ihrer Niederlage gegen die übermächtige Staatsregierung trotzig die Schärfung des „Abfall-Bewußtseins“ der Bevölkerung an die eigene Brust heftet. Der Disput über die sich zu Bergen türmende Hinterlassenschaft unseres Wohlstands, über die schleichende Vergiftung aus den Schloten der Verbrennungsanlagen, über die Frage des grenzenlosen Wachstums überhaupt, hat nicht nur in Bayern einen Schub bekommen — trotz der „Überthemen“ deutsche Vereinigung und Golfkrieg. Zu fragen bleibt allerdings, ob letztlich das Engagement der bayerischen Müllaktivisten in einem angemessenen Verhältnis zum Ergebnis steht. Zunächst einmal waren die brachialen Methoden erfolgreich, mit denen die CSU „ihr Volk“ zur Räson brachte. Nicht zuletzt deshalb tut das Ergebnis weh.

Auf dem Prüfstand stand jedoch bei der bayerischen Müll-Entscheidung auch das vielgepriesene ökologische Bewußtsein der Bevölkerung und mit ihm das Mittel der direkten Demokratie. Es war das erste Plebiszit zur Umweltproblematik überhaupt. Diejenigen, die sich bei den Grünen, in der SPD und insbesondere den Bürgerbewegungen der ehemaligen DDR unermüdlich für mehr plebiszitäre Elemente in der repräsentativen Demokratie stark machen, haben stets mahnend daran erinnert, daß dies auch bedeutet, Niederlagen einzukalkulieren. Die gängige Prognose lautete aber, daß sich das Wahlvolk bei Volksentscheiden über umstrittene Einzelfragen durchaus quer zu seinen langfristig festgezurrten Parteienpräferenzen einsortieren werde. Darin könnte ja gerade der Charme des Plebiszits liegen: Wähler und Wählerin huldigen ihrer Überzeugung, verpassen auch mal der „eigenen“ Partei einen Denkzettel und sind dennoch so frei, sich bei der nächsten Parlamentswahl so zu entscheiden, wie sie es immer schon getan haben.

Seit der mißglückten Premiere vom Sonntag ist nicht mehr ausgemacht, was 1986 beispielsweise nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder dem Rhein-GAU bei Sandoz unter Umweltschützern unumstritten war. Gäbe es das Instrument des Volksentscheids auf Bundesebene, daran wurde damals nicht gezweifelt, wäre der Ausstieg aus der Atomenergie und die Begrenzung der Chlorchemie praktisch beschlossene Sache.

Den Demoskopen bei Umfragen das eigene ökologische Bewußtsein unter die Nase zu reiben, ist das eine. Sich auch so zu verhalten, obwohl die eigene Partei mit Unratbergen vor der Haustür und explodierenden Müllkosten droht, ist offenbar etwas völlig anderes. Das beweisen jene 56 Prozent der Wahlberechtigten, die am Sonntag zu Hause blieben. Der Möglichkeit des Plebiszits wegen einer mißlungenen Premiere eine Absage zu erteilen, ist dennoch nicht geboten. Auch direkte Demokratie will gelernt sein. Am Sonntag war die erste Lehrgeld-Rate fällig. Gerd Rosenkranz