100.000 Krebstote durch sowjetische Atomtests

Berlin (taz) — Der radioaktive Fallout der sowjetischen Atomtests soll allein in der Umgebung des Testgeländes Semipalatinsk in Kasachstan 100.000 Menschen das Leben gekostet haben. Diese Zahl nannte Boris Gusef, der Leiter des „Soviet Radiology Research Institute“ gegenüber der Presse. Gusef erklärte nach einem Bericht des Energiedienst WISE, daß die Opfer im Umkreis von 550 Kilometer um den Explosionsort der 200 sowjetischen oberiridschen Atomtests zwischen 1949 und 1965 gelebt hätten. Zu den genannten 100.000 Toten kommen nach Gusefs Angaben noch einmal 400.000, die Gesundheitsschäden durch Radioaktivität erlitten hätten. Die Leukämiefälle seien in der Region allein zwischen 1955 und 1960 um 70 Prozent gestiegen. Die Kindersterblichkeit habe sich damals verdoppelt.

Im vergangenen Jahr bekanntgewordene Studien erbrachten darüber hinaus Hinweise auf schwere Schädigungen des Immunsystems bei den nahe dem Testgebiet lebenden Menschen. Nach den Studien liegt die Rate der mit körperlichen Schäden geborenen Kinder dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt.

Nach dem Stopp der oberirdischen Versuche gingen die Atombombentests auf dem 10.000 Quadratkilometer großen Gelände, das 200 Kilometer entfernt von der Millionenmetropole Semipalatinsk liegt, unterirdisch weiter. Bis Oktober 1989 zünden die Sowjets insgesamt 700 Atomsprengköpfe in Kasachstan.

Ein einjähriges Moratorium ging im Oktober 1990 offiziell zu Ende. Seitdem reißen die Proteste nicht ab. Mehr als zwei Millionen Menschen sollen sich inzwischen der Bewegung gegen die Atomtests angeschlossen haben. Das Verteidigungsministerium und Gorbatschow kündigten dennoch an, daß 1991 und 1992 achtzehn weitere Atomsprengköpfe auf dem Gelände unterirdisch gezündet werden sollen. Im Januar 1993 solle nach den Vorstellungen der Militärs mit den Tests endgültig Schluß sein. Inzwischen testet das sowjetische Verteidigungsministerium seine Sprengköpfe trotz weltweiter Proteste auf der Insel Novaya Zemlja am Polarkreis. ten