Geiseln und Angehörige danken Willy

Willy Brandt kehrte am Freitag abend mit 193 Geiseln aus dem Irak zurück/ Großer Bahnhof auf dem Flughafen  ■ Aus Frankfurt Mathias Bröckers

Er wäre auch für einen einzigen Gefangenen nach Bagdad gefahren, sagte Willy Brandt am späten Freitag abend auf dem Frankfurter Flughafen — verärgert über die Kritik, daß seine Mission nicht alle Erwartungen erfüllt habe. Um 21 Uhr 30 war der Lufthansa-Airbus „Nördlingen“ mit 193 Geiseln und elf Besatzungsmitgliedern an Bord in Frankfurt gelandet — Jubel brauste unter den fünfhundert Angehörigen in einem zum „großen Bahnhof“ umfunktionierten Hangar auf, als die Maschine vor der Halle ausrollte und sich die Türen öffneten. Oben auf der Gangway verabschiedet der SPD-Ehrenvorsitzende die Freigelassenen, darunter 138 Deutsche und Angehörige elf weiterer Nationen, persönlich mit Handschlag, um dann zusammen mit dem Kapitän als letzter das Luftschiff zu verlassen, empfangen von Parteichef Hans-Jochen Vogel, Frankfurts Bürgermeister Volker Hauff und „Willy, Willy“-Rufen der Angehörigen, unter denen sich ergreifende Szenen mit „human touch“ abspielen. Wegen dieser Szenen ist ein internationales Heer von Journalisten angereist und jetzt nicht mehr zu halten — die Absperrungen, hinter die die Lufthansa die Presse „zur Sicherheit unserer Fahrgäste“ plaziert hat, werden überklettert. Gelassen bleiben nur die Kollegen einiger Fachblätter, die sich durch Vorauskontakte mit Angehörigen ihre Exklusivgeiseln bereits gesichert haben — der Rest der Meute ist auf Ellenbogen und Trittleiterchen angewiesen, um einen Kamerablick oder einen Fetzen O-Ton zu erhaschen. „Wer hat sie abgeholt?“ — „Meine drei Töchter und meine Frau“ — „Wie heißen die Töchter, und wie alt sind sie?“ — „Also, die Nicole ist dreizehn...“ Der Mann zählt Namen und Alter seiner Familie auf — „Ist ihre Mutter auch da?“ — „Nein, sie ist 78, das wäre zu anstrengend“ — „Wie heißt Ihre Mutter?“ — „Margarete“ — „Vielen Dank“.

Mutter Margarete (78) also ist aus Altersgründen zu Hause in Hamm geblieben — Willy Brandt (76) aber ist nach Bagdad gereist, und zwar „gegen die Leute, die glauben, mit Nichtstun Geiseln herausholen zu können. Nur, wenn man sich rührt, erreicht man etwas.“ Auch weiterhin will er sich rühren, „damit auch denen geholfen wird, die noch dort sind“. Die Lage im Irak bezeichnete Brandt als „sehr ernst“, als Begründung für die Besetzung von Kuwait hätte man in Bagdad historische Ursachen und das Öl angeführt. Er hoffe aber, daß Saddam Hussein trotz seiner markigen Haltung noch einlenken könne. In diesem Zusammenhang plädierte Brandt für eine umfassende Friedenslösung im Nahen Osten, in die auch Libanon, Palästina „und andere Fragen“ einbezogen werden müßten.

Unter den Freigelassenen befanden sich auch die beiden früheren deutschen Botschafter in Kuwait sowie insgesamt vierzig „lebende Schutzschilde“, die die letzten Monate an strategisch wichtigen Orten im Irak verbringen mußten. Auch zahlreiche ältere Menschen und Kinder gehörten zu den Rückkehrern. Nach Angaben des Auswärtigen Amts befinden sich jetzt noch 230 Deutsche in Irak. Einige von ihnen wollten versuchen, über Jordanien privat aus dem Krisengebiet auszureisen.

Zustimmung und Kritik zu Brandts Reise

Bonn (dpa) — Von eindeutiger Zustimmung bis zu vorsichtiger Kritik reichten am Wochenende die Reaktionen auf die Irak-Reise Brandts. In den Reihen seiner eigenen Partei wurde die Reise des SPD-Politikers als große Leistung gewürdigt. Brandt habe das Augenmerk der ganzen Welt verstärkt auf die Not der Geiseln gelenkt, sagte der SPD-Vorsitzende Vogel. Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff sprach dagegen von einem „Schatten“. „Große Ankündigungen hatten große Erwartungen geweckt — die Enttäuschung konnte nicht ausbleiben“, sagte Lambsdorff. Für CDU-Generalsekretär Volker Rühe hat die Reise „politisch nichts bewegt“. Nach einer Meinungsumfrage bewerten 82 Prozent der Bundesbürger auf dem Gebiet der alten Bundesländer die Reise Brandts als „richtig“, elf Prozent als „falsch“.