Potentielle Deserteure

■ Diskussions- und Informationsveranstaltung über Totalverweigerung/ Politische Aktivitäten statt Märtyrertum gefordert/ Auch ehemalige NVA-Soldaten können noch verweigern

Friedrichshain. Was tun, wenn plötzlich im Briefkasten ein Musterungsschreiben der Bundeswehr liegt? Nachdem das Wehrerfassungsgesetz jetzt auch in Berlin gilt, für viele Männer bis zum besten Alter von 32 Jahren ein bange Frage. Am Freitag diskutierten knapp 20 Personen im Max Hoelz Antiquariat in der Mainzer Straße über die Pespektiven der Totalverweigerung.

»Mir ist ein politisch aktiver Zivildienstleistender lieber, als ein Totalverweigerer, der ein Jahr im Knast hockt«, so die Einschätzung eines Sprechers der Berliner Graswurzel- Revolution. Im Gegensatz zur DDR, wo sich die Totalverweigerer gemeinsam organisiert hätten, seien in der Alt-Bundesrepublik die Totalverweigerer isolierte Einzelkämpfer. Ein Märtyrertum hält der Graswurzel-Sprecher für »politisch total ineffektiv«. Primär müsse es in Berlin darum gehen, daß »sich die Bundeswehr hier gar nicht einnisten kann«. In naher Zukunft sollen Protestaktionen vor den neu einzurichtenden Kreiswehrersatzämtern stattfinden.

Besonderen Schwerpunkt legt die »Kampagne gegen Wehrpflicht« auf den innergesellschaftlichen Aspekt des Militärdienstes. Im Militär werde den Männern das Gehorsamprinzip beigebracht, das dann in den Betrieben weitergeführt werde. Gefahr besteht aber auch für Frauen: immer wieder werde versucht, Frauen in die Bundeswehr einzubeziehen oder ein »Soziales Pflichtjahr« einzuführen. Besonders durch die Verkürzung der Zivildienstzeit und dem Wegfall billiger Arbeitskräfte im sozialen Bereich sei diese Gefahr wieder aktuell.

Drastisch verschlechtert hat sich die Situation für ehemalige DDR- Totalverweigerer: Seit fünf Jahren wurden Haftstrafen nicht mehr vollzogen. Jetzt stehen den Betroffenen nach BRD-Recht neue Verfahren und theoretisch bis zu fünf Jahre Gefängnis ins Haus. In der Regel kommen aber »nur« die Hälfte der Totalverweigerer hinter Gitter, gewöhnlich für ein Jahr.

Als Tip für angehende Totalverweigerer gilt: Nicht auf die Musterungsschreiben reagieren und sich kollektiv organisieren. Für viele unbekannt: auch Reservisten, die vor etlichen Jahren bei der NVA dienten, können noch nachträglich totalverweigern. Rochus Görgen

Kontakt: AG Frauen und Militär: heute um 20.30 Uhr im Blauen Saal, Mehringhof; für Männer: Informations- und Aktionsstelle zur Totalverweigerung: jeweils montags und mittwochs um 19 Uhr ebenfalls im Mehringhof.