CAFÉSATZ VONCHRISTOPHBUSCH

In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier? Christoph Busch hat das Rezept ausprobiert und seine Erfahrungen in einer Serie aufgeschrieben. Die nächste Folge erscheint am Mittwoch.

Mit ihrer Freundin sitzt sie am Tisch vorm Café in der Fußgängerzone. Aus der Tasche holt sie eine große Schreibkladde, DIN-A4, bunt. Die Freundin blättert und ist enttäuscht: Da steht ja gar nichts drin.

Ich sitze am selben Tisch, zufällig, und frage, ob das ein Tagebuch werden soll. Das soll es. Sie habe gerade gekündigt und viel zu klären, schriftlich. Daher das neue Buch. Ob ich lesen darf, wenn es voll ist, frage ich nur halb im Ernst. Vier Wochen später ist die Kladde halb voll und ich lese, statt Iceberg-Fragen zu stellen.

„Sie klingelte, und dann standen die beiden voreinander, begrüßten sich sehr herzlich und setzten sich. Der Mann hatte chinesischen Tee gekocht und so tranken sie beide den ,Tee der Nähe', wie er es nannte, unterhielten sich dann noch eine ganze Weile miteinander und es lief ein wunderschönes Lied. Sie nahmen sich zärtlich in die Arme und tanzten miteinander. Wenig später war dann wohl einer der bedeutendsten Momente im Leben der Frau passiert, denn sie war nun keine Jungfrau mehr! Nun war sie eine richtige Frau und fühlte sich sehr glücklich. Alle Schauergeschichten der Freundinnen von Defloration hatten sich als absolut nichtig erwiesen.“

Viele Seiten später läßt sie die Enttäuschung heran an die erste Person, an sich: „Erstaunlich ist für mich heute noch, daß er zu den typischen 3-R-Männern gehörte. Die Hauptsache war er. Was aus der Frau wurde, war ihm ziemlich egal. Wie dem auch sei, er ist nun endgültig abgehakt. Soll er Sabine doch die Ohren mit seinem psychologischen Mumpitz vollquatschen. Sie leidet offensichtlich für ihr Leben gerne. Soll sie mit ihm glücklich werden. Denn ganz abgesehen davon, daß er für seine 38 Jahre viel zu schnell ermüdet, quarzt er sich jeden Tag 40 Fluppen durch die Lunge und gießt sich pro Tag mindestens 15 Tassen Kaffee hinter die Binde und wundert sich immer wieder aufs neue, warum er bloß solche Magenschmerzen hat. Aber er weiß ja sowieso alles besser und kehrt ewig den Erfahrenen raus. Was der sich auf seine zehn Jahre älter als ich eingebildet hat! Jedenfalls wird ihm seine ,Erfahrung' auch nicht weiterhelfen, wenn er in spätestens zehn Jahren ein körperliches Wrack ist. Er bildet sich ein, sinnlich zu sein, doch manchmal kommt er nicht mal auf die einfachsten Methoden. Der perfekte Liebhaber ist er jedenfalls nicht, wenn ich mir das zunächst auch eingeredet habe.

Ganz zum Schluß habe ich ihm dann einen acht Seiten langen Brief geschrieben und meine ganze Wut abgelassen. Der Brief ist vom Feinsten und hat ihn sehr nachdenklich gemacht, wie ich später von Sabine erfahren habe.

Ich mache nach außen hin oft den Eindruck, als ob ich die kleine zierliche und hilflose Frau bin, mit der man alles machen kann. Doch oft werden die Leute recht schnell eines Besseren belehrt. ,Die ist ja eigensinnig, Frau Schürkötter, Sie glauben's ja nicht', sagte die Nonne aus dem Kindergarten ständig zu meiner Mutter. Ich hatte eben bereits als Kind meinen eigenen Kopf.“

Tagebuch habe sie das letzte Mal in der Pubertät geschrieben, sagt sie mir bei der Übergabe. Ihr achtjähriger Bruder habe damals gerade lesen gelernt und sei pfiffig genug gewesen, um den Schlüssel zur Schreibtischschublade zu finden. Er habe sicher nicht geahnt, daß das ein ihr besonders nahestehender Text war. Ihre Eltern hätten wohl auch mitgelesen. Jedenfalls sei sie plötzlich mit Sachen konfrontiert worden, die nur aus ihren Tagebüchern stammen konnten. Vorhaltungen habe sie ihren Eltern deshalb nie gemacht.

Das Tagebuch als indirekte Rede, auch mit mir? Hat sie für mich geschrieben? Nein, sagt sie. Ein wenig vorsichtig schon, weil sie eine vulgäre Phase habe. So schreibt sie „Fr...e“ statt Fresse. Und im Gespräch tituliert sie ihren ehemaligen Freund anschaulicher als auf Papier: „Dreckschüppengesicht.“

„Letztens habe ich einen kennengelernt, der gefiel mir auf Anhieb. Ich war ganz schön von der Rolle, hat er allerdings nicht gemerkt. Ich beherrsche es perfekt, mich einem Mann gegenüber völlig normal und ungezwungen zu verhalten. Ein Pluspunkt ist schon mal, daß er älter ist, denn junge Schnösel reizen mich einfach nicht. Ältere Männer sind so weltgewandt, erfahren, so souverän und meistens sehr gebildet, das imponiert einer Frau, wenn jemand so sicher auftritt, mir jedenfalls! Die strahlen was aus, irgendwie Wärme und Männlichkeit, Sicherheit, sogar eine emanzipierte Frau fühlt sich in deren Gegenwart wohl. Ältere Männer tauschen erotische Zärtlichkeiten aus und fummeln nicht so linkisch und unsicher herum. Sie bringen eine Frau durch interessanteste und originelle Ideen dazu, sich in sie zu verlieben, gehen ganz langsam an die Sache ran.“

Das liest der ältere Leser gern. In der dritten Person.

8.WIEIMBUCH