La Loca

■ Eine amerikanische Lyrikerin im Gespräch mit Waltraud Schwab

Eigentlich heißt sie Pamela Karol. Seit fünf Jahren jedoch nennt sie sich La Loca, die Verrückte. Sie ist in den letzten zwei Jahren zu einer der bekanntesten amerikanischen Lyrikerinnen aufgestiegen.

Sie hat eine Kindheit und Jugend hinter sich, die von Mißhandlung und Mißbrauch durchzogen ist. „Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du dir wünschen, tot zu sein“, verspricht ihr der Stiefvater, als er sie mit einem Gürtel schlägt. Sie entwickelt eine bemerkenswerte Widerstandskraft. Mit 15 geht sie von zu Hause weg, um ihre Erfahrungen auf der Straße und mit Männern mannigfaltig zu wiederholen. Sie studiert in den USA und Frankreich Film, bekommt Stipendien, arbeitet in allen möglichen Berufen, in Bars, beim Film, als Sekretärin, fängt mit 35 zu schreiben an und erkrankt ein Jahr später lebensgefährlich an Krebs. Sie überlebt.

Mit der Lyrikerin sprach Waltraud Schwab.

Waltraud Schwab: Wiederholst du die schrecklichen Erfahrungen deiner Kindheit in deinem Leben, in deiner Krankheit und in deinen Gedichten?

La Loca: Ich hoffe, daß ich das nicht mehr mache. Ich nehme an, daß ich heute bewußter mit mir umgehe, aber früher als Teenager, Twen, und bis ich über dreißig war, habe ich für mein Leben auf jeden Fall eine Choreographie gewählt, bei der ich Psychopathen, normalerweise Männer, als Freunde, Chefs, Nachbarn, manchmal auch als dominante Freundinnen, in mein Leben eindringen ließ. Diese Leute entsprachen genau den Personen, die meine Kindheit durchzogen.

In meinen Gedichten wiederhole ich die Erfahrungen auf jeden Fall. Das ist das wiederkehrende Thema. Wie ein geschlagenes Kind zu einer geschlagenen Frau wird und wie ich einerseits unbewußt, andererseits zielstrebig immer wieder die negativen Erfahrungen meiner Kindheit wiederhole.

Kannst du deine persönliche Nähe zu den Schwarzen oder Mexikanern erklären?

Du meinst, meine Nähe zu allen unterdrückten Leuten, egal, wo auf der Welt? Es fing an, als ich von 1967 bis 1970 in Berkely zur Schule ging. Zu diesem Zeitpunkt waren überall Rassenunruhen in den USA, und ich las alles, was von schwarzen Amerikanern, mexikanischen Amerikanern, asiatischen Amerikanern und der Frauenbewegung geschrieben wurde und ich merkte, daß es mir half, ein Gefühl für meine eigene Befreiung zu entwickeln. Ich hatte in meiner Kindheit und in meiner Schulzeit so viel Beschissenes erlebt. In der Schule hackten reiche Kinder voller Haß auf Kindern herum, die nichts hatten. Weil ich die Zielscheibe des Hasses anderer war, ist es mir leicht gefallen, mich mit Leuten zu identifizieren, die diese Erfahrungen auch gemacht haben.

Kannst du dich selbst schützen? Es wird gesagt, daß mißhandelte Kinder sich selbst nicht schützen können.

Bis jetzt war ich nicht sehr gut darin, aber ich bin versucht zu sagen, daß ich heute ein Arschloch auf hundert Meilen Entfernung riechen kann, und ich fliehe, weil das meine Überlebensstrategie ist... Nein, ich glaube, es wird ein ewiger Kampf bleiben.

In einem deiner Gedichte sagst du: „Ich muß als Ohr auf den Knien leben.“ Ist das Publikum heute dein Ohr, anstatt du selbst?

Diese Zeile entstand, weil meine Mutter eine Sängerin und Tänzerin war und meine Großmutter eine Opernsängerin, und sie hatten Egos wie Lastwagen, die alles platt walzten, was sich ihnen in den Weg stellte, und sie zwangen ihre Kinder in die Rolle des Publikums. Sie hatten eine so bösartige Macht, daß die Kinder sie ständig beobachten mußten, daß die Kinder sie nicht eine einzige Sekunde aus den Augen lassen konnten. Nicht umgekehrt. Wir mußten sie beobachten, deshalb konnten wir nie herausfinden, wer wir selber sind. Ich durfte mir nie einen so eigenen Willen erlauben, ich wurde verrückt gemacht, und genauso verhalten sich viele Dichter in der USA. Sie sind so egoistisch, daß sie das Publikum unterwerfen müssen, bis das Publikum nur noch sie sieht und ihre Gedichte hört. Ich versuche, vorsichtig zu sein und dem Publikum seinen Willen zu lassen. Wenn mir jemand erzählt, daß sie oder er nach meiner Lesung so inspiriert war, daß sie sich die ganze Nacht hinsetzten und selbst schrieben, dann habe ich den Eindruck, ich habe meine Mission als Lyrikerin erfüllt.

Sprichst du über Liebe immer im Sinne von Nichtliebe?

Weil ich als Kind so drastisch die Erfahrung gemacht habe, was es heißt, nicht geliebt zu werden, schreibe ich darüber. Natürlich habe ich unbewußt alles in meinem Leben so dirigiert, daß nur noch Verfolger aufgetaucht sind. Es war wie Tantalus. Die hielten mir die Trauben und das Wasser der Liebe vor die Nase, aber wenn ich nach dem Wasser griff, um zu trinken oder nach den Trauben, wurden sie weggezogen und ich wurde gefoltert. Ich schreibe in meinen Gedichten viel darüber. Ich glaube, ich habe mit Männern nur Niederlagen gehabt, weil die wirkliche Macht der Frau die sexuelle Macht ist, intellektuelle Macht ist immer libidinös.

Ist das ein Ideal, daß Sex und Liebe zusammentreffen?

Sex, Liebe und Intellekt — das auch. Ich suche wirklich nach einer solchen Beziehung. Das einzige Positive, was ich sagen kann, daß ich letzten Monat vierzig geworden bin und daß es der glücklichste Geburtstag meines Lebens war. Ich meine, 36 Jahre lang habe ich nur an Selbstmord gedacht, 36 Jahre lang hatte ich Depressionen, aber jetzt lebe ich alleine und ich bin glücklich allein. Ich brauche keinen Mann mehr, um glücklich zu sein. So war das vorher. Ich weiß also nicht, ob ich die ideale Beziehung je erleben werde, aber ich muß sie heute nicht erleben. Ich bin zufrieden und ganz und glücklich und vollendet.

Sprichst du nur über deine eigenen Erfahrungen, oder drückst du auch die Summe der Erfahrungen von Frauen aus?

Ich bekomme viele Briefe — die der Männer sind furchtbar, wie Liebesbriefe, überhaupt nicht realistisch, eher psychomäßig — aber die Briefe von Frauen sind manchmal unglaublich. Und alle identifizieren sich mit dem, was ich in meinem Leben erlebt habe. Geschlagene Frauen, geschlagene Kinder, verlassene Frauen, der Mann abgehauen, Frauen, die jetzt vier Kinder versorgen müssen, überqualifizierte Frauen, die wirklich blöde Jobs annehmen müssen, um zu überleben... Ich schöpfe aus meinem eigenen Leben. Ja, die Ideen sind autobiographisch, aber ich mache mehr daraus im Gedicht.

Das Gedicht mit dem Titel „Krieg“ stellt eine Verbindung zwischen der Vergewaltigung eines Kindes und der Bombe auf Hiroshima her. Wie kommt es, daß so ein Gedicht immer noch als autobiographisch bezeichnet wird?

Es ist nicht über mich, es ist über meine Mutter. Als ich ungefähr 13 oder 12 war — ich weiß nicht mehr genau, wie es war, aber ich war mit meiner Mutter in einem Zimmer, und sie machte irgendetwas, bügeln oder kochen, und plötzlich erzählte sie mir, daß sie vergewaltigt wurde, als sie 13 war. Ein Deutscher soll es gewesen sein, der beste Freund ihres Vaters. Der Deutsche ist danach zurück nach Deutschland gefahren und hat im Krieg gegen die Amerikaner gekämpft. Sie hat es nur ein einziges Mal erwähnt in meinem ganzen Leben. Meine Mutter ist eine pathologische Lügnerin, also kann es sein, daß es sich um eine Lüge handelte. Es war also vielleicht nur eine ihrer Geschichten, mit denen sie versuchte, mich zu kontrollieren, damit ich zum Beispiel selbst Angst davor bekomme, vergewaltigt zu werden — oder aber die Geschichte war wirklich wahr, aber die Frauen ihrer Generation konnten nicht darüber sprechen. Ich meine, das ist doch das Schrecklichste und Abscheulichste, was einer Frau passieren konnte, und sie konnte es weder der Polizei noch ihrer Mutter erzählen. Für eine Schriftstellerin ist es gleich, ob die Geschichte wahr war oder nicht. Das Bedürfnis dieser Frau, es in diesem einen Moment zu sagen, hat auch schon eine Bedeutung. Es sagt etwas über sie und ihr Leben und ihre Mentalität aus. Ich benutzte diese Erfahrung, egal ob wahr oder nicht, und schrieb das Gedicht.

[Sicher mag Frau Karol schreiben, was immer sie will. Aber nichts scheint mir so freiwillig wie das Lesen. Halleluja! d.S.]