Multikulturelle Drogentherapie

■ Die einzige interkulturelle sozialtherapeutische Wohngemeinschaft in der BRD und West-Berlin feiert ihr zweijähriges Bestehen / Im Ausland geborene Süchtige bleiben in der Regel ohne Chance auf eine Therapie

Wannsee. Wer von der Droge Heroin loskommen will, hat es schwer - wer dazu auch noch im Ausland geboren und in Deutschland aufgewachsen ist, hat es doppelt schwer: In den normalen Therapieeinrichtungen bestehen für MigrantInnen häufig Probleme - mit der Sprache, mit der Kultur und den Lebensgewohnheiten. Seit zwei Jahren gibt es in West-Berlin die einzige multikulturelle Therapieeinrichtung Deutschlands. Am Wochenende zog sie Bilanz.

Im September 1988 wurden die Drogenberatungsstelle Haltestelle und die sozialtherapeutische Wohngemeinschaft Nokta gegründet. Die Idee, so Nokta-Leiter Orhan Akbiyik, entstand aus seiner siebenjährigen Erfahrung in der Drogenberatung. Für den Personenkreis, der weder deutscher noch türkischer oder arabischer Mentalität entspräche, gab es vorher wenig Chancen für eine Drogentherapie.

Beispiel: Arif* ist 21 Jahre alt, mit drei Jahren kam er aus der Türkei nach West-Berlin. Die Ferien verbrachte er meist in der Türkei und wuchs so mit zwei Kulturen auf. 1985 fing er mit Haschisch an, stieg dann auf Heroin um. „Ein Jahr ging's mit der Droge“, meinte er, dann mußte er dealen, um seinen Heroinkonsum zu finanzieren. Nachdem er dreimal von der Polizei erwischt wurde, machte das Gericht ihm eine Therapie zur Auflage. Vier Tage hat er bei Nokta entzogen, jetzt ist er bereits 15 Monate clean und WG -Verantwortlicher. „Es hat mir viel geholfen, daß hier meine Landsleute sind - die Betreuer wissen, was wir für Probleme haben könnten.“ In einigen Wochen wird er wieder eine Arbeit aufnehmen, bald die Wohngemeinschaft verlassen. Er ist sicher, daß er jetzt auf die Droge verzichten kann.

Hasan* ist erst seit zwei Wochen bei Nokta. „Bis jetzt geht's mir ganz gut.“ Vor 20 Jahren kam der heute 28jährige nach West-Berlin. Fünf Jahre nahm er Heroin. Vor sechs Monaten hat sich seine Frau wegen der Droge von ihm scheiden lassen. Freiwillig machte er daraufhin den Entzug im Krankenhaus und kam dann zu Nokta. „Ich war der einzige in der Familie, der Drogen nahm. Ich schäme mich dafür.“ Er glaubt, daß er es schaffen wird: „Ich dachte, es wär‘ noch härter, aber es macht Spaß.“ Leicht fällt es ihm trotzdem nicht.

Rund ein Drittel der bei Nokta aufgenommenen schaffen das knapp 18monatige Therapieprogramm. Ein hoher Wert im Vergleich zu anderen Therapieeinrichtungen. In den ersten Monaten der Therapie sind alle Außenkontakte verboten. Später kann eine normale Arbeit aufgenommen werden, schrittweise werden die Betroffenen wieder an das „normale“ Leben herangeführt.

Die Nachfrage nach Therapieplätzen bei Nokta überstiegt bei weitem das Angebot. 14 Personen sind heute bei Nokta, 39 stehen auf der Warteliste. Weitere 60 Anfragen gab es aus Westdeutschland, die jedoch wegen der bereits hohen Nachfrage aus West-Berlin abgelehnt werden mußten. Hauptproblem sind die fehlenden Betreuungskräfte: Das zum Teil in Eigenverantwortung ausgebaute Gebäude in Wannsee hätte eine Kapazität für 18 Personen. Wenn der Senat als Geldgeber weitere Betreuerstellen bewilligen würde, könnte die Therapie auch für Frauen angeboten werden. Langfristig soll die Einrichtung auch für deutsche Drogenabhängige geöffnet werden.

Rochus Görgen

Weitere Informationen sind bei der Drogenberatungsstelle Haltestelle, Muskauer Straße 55, Berlin 36 erhältlich.

(* Namen auf Wunsch der Betroffenen von der Redaktion geändert)